Autodesign Der Charme der alten Schönheiten

Seite 2/3

Mythos SL

Mercedes 300 SL Quelle: dpa

Entscheidend, so Tumminelli, sei für die Käufer nicht der wehmütige Blick in die Historie, der Rückbezug auf den Käfer der Fünfziger. Es genügt ihnen die vage Anmutung von Retro, die sich in den weichen, schwellenden Formen manifestiert. In der Vorliebe fürs Runde, Weiche, Strömende, so Tumminelli, drückt sich ein urmenschliches Wahrnehmungsverhalten aus: „Die Menschen sehen Automobile anthropomorph, sie mögen freundliche Autogesichter, ziehen, quer durch alle Altersklassen, das runde dem eckigen Design vor, die gewölbten den scharfkantigen Formen.“

Peter Pfeiffer, der schon seit 1968 bei Mercedes das Design gestaltete, erinnert sich, dass es einige Jahrzehnte eher darum ging, das Technische und die Sicherheit im Automobil mit Design zu unterstützen: „Heute dagegen zählt wieder mehr die Marke, das Image, und die Emotionalität kehrt wieder in das Design zurück.“

Ewig gültige Proportionen

Es ist also kein Wunder, dass die Erfolgsautos der Automobilgeschichte allesamt zum Rundlichen tendierten, dass der würfelartige Panda gegen den Fiat 500 mit seiner Brötchenform bis heute keine Chance hat und alle Wahrnehmungstests die Präferenz des Publikums für die fließenden Formen der Fünfzigerjahre bestätigen. Mercedes hat auf diese Konstante relativ spät reagiert, mit den biomorph inspirierten Rundungen der Baureihe R 230 von 2001 und mit dem Supersportwagen SLS AMG von 2009: Die geschwungenen Flügeltüren, aber auch der Kühlergrill, die runden Schultern, die zwei Wölbungen der Motorhaube und die muskulös gestreckten Kotflügel zitieren demonstrativ das klassische 300 SL-Coupé von 1954.

Wenn Mercedes-Benz jetzt zum 60. Geburtstag des SL in den Firmenfundus greift und den restaurierten Urahn der SL-Baureihen, den Rennsportwagen „300 Super Leicht“ der Baureihe W 194 von 1952, präsentiert, dann wird die Designtradition der Fünfzigerjahre gefeiert, der weiland futuristische Geist von Geschwindigkeit und Motorisierung: Der W 194, so heißt es in Stuttgart, begründe mit seiner „schlanken, eleganten, mattsilberfarbenen Karosserie“ und den kurzen, an Einstiegsluken erinnernden Flügeltüren den „Mythos SL“ und verkörpere „hohe Fahrgeschwindigkeit quasi schon im Stand“. Eine Form, die für Pfeiffer sportwagentypisch ist und ewig gültige Proportionen verkörpert: „Lange Haube, niedriger Aufbau und kurzes Heck.“ Ganz so wie auch ein anderer Idealtypus des Sportwagens, der Jaguar E-Type, bei dem es Jaguar versäumt habe, „einen Nimbus zu schaffen, und es bis heute trotz zahlreicher Versuche nicht geschafft hat, an diesen Erfolg anzuschließen“.

Weitaus erfolgreicher als das Urmodell war der eigentliche „Flügeltürer“ von 1954, der noch heute Auto-Verrückte wie Laien in Entzücken versetzt. Mit Retro habe das wenig zu tun, sagt Lutz Fügener, Professor für Transportation Design an der Hochschule Pforzheim. Die zwanglose Verbindung von Kraft und Eleganz mache den SL zum Klassiker des Automobildesigns. Funktionalität und Ästhetik greifen beim SL ineinander. Die Form ist durchgehend ingenieurtechnisch motiviert: Selbst die hoch ansetzenden Flügeltüren, so Fügener, seien keine „verrückte Designeridee“, sondern eine Konsequenz des Rohrrahmens, der im Schwellenbereich extrem voluminös ausfällt, um das Auto bei hohen Geschwindigkeiten verwindungssteif zu halten.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%