Energie Brennendes Eis: Neue Fördertechniken für Öl und Gas

Öl- und Gaspreise explodieren, die Vorräte schwinden. Mit raffinierten Bohr- und Fördertechniken zögern die Konzerne das Ende hinaus. Mit Methan-Eis erschließen sie zudem einen neuen hoffnungsvollen Energieträger der Zukunft.

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Erdgas-Förderplattform: Beim Quelle: dpa-dpaweb

Meter für Meter frisst sich der Bohrmeißel ins Gestein. Nach jahrelanger Pause wird in Deutschland wieder nach Öl gebohrt. Die international tätige Wintershall ist sicher, dass sie im niedersächsischen Emlichheim unweit der holländischen Grenze erneut fündig wird. Dort fördert die BASF-Tochter bereits seit 65 Jahren. Die neue Bohrung soll dafür sorgen, dass die jährliche Fördermenge von 140.000 Tonnen zumindest noch einige Jahre konstant bleibt.

Die Ausbeutung eines der bedeutendsten deutschen, im internationalen Maßstab allerdings winzig kleinen Erdölvorkommens ist bisher schon eine technische Meisterleistung. Seit 25 Jahren lässt sich die zähflüssige Masse nur unter Einsatz von 300 Grad Celsius heißem Dampf verflüssigen und an die Oberfläche treiben. Jetzt wenden die Techniker einen weiteren Kniff an, um den Ertrag zu verbessern: das Horizontalbohren. Wenn der Meißel in einer Tiefe von 800 Meter die Öl führende Schicht erreicht hat, wird er allmählich in die Horizontale umgelenkt. Damit erschließt er ein vielfach größeres Volumen, sodass die Fördermenge steigt.

Ihr neu gewonnenes Wissen wollen die Ingenieure nutzen, um es in große Förderländer zu exportieren und dort einzusetzen. Wintershall hat sich bereits mit Partnern in zahlreichen Staaten zusammengetan, vor allem in Russland. Dort fördern die Kasseler gemeinsam mit Gazprom Erdgas und mit Lukoil Erdöl. Anders als bei den dünnflüssigen Ölen, die beispielsweise in Libyen und im Nahen Osten gewonnen werden, sind in Russland neue Techniken nötig, um die Ausbeute zu erhöhen. Heute werden weltweit noch 95 Prozent des Erdöls – in Deutschland weniger als 20 Prozent – konventionell gefördert, also ohne Zuhilfenahme ertragssteigernder Techniken. „Weltweit wächst aber das Interesse, die Felder besser auszunutzen“, weiß Foppe Visser, der bei Wintershall für neue Technologien zuständig ist.

Die Mehrkosten sind bei den heutigen Ölpreisen locker zu verkraften. Visser will zwar über Förderkosten nicht reden: „Das ist unser Geheimnis.“ Immerhin verrät er so viel: „Auch wenn der Ölpreis nur halb so hoch wäre, würde sich eine Förderung in Deutschland noch lohnen.“ Derzeit kostet das Barrel (159 Liter) am Weltmarkt rund 130 Dollar. Bei diesem Preis rechnet es sich sogar noch, eine Lagerstätte wie Bockstedt im Landkreis Diepholz weiter auszubeuten. Denn was dort aus der Erde gepresst wird, besteht nur zu zwei Prozent aus Öl.

Der explodierende Rohölpreis und der technische Fortschritt beflügeln die Fantasie der Mineralölmultis in aller Welt. Felder, die mit herkömmlichen Methoden nichts mehr bringen, aber noch bis zu 70 Prozent der ursprünglichen Rohölmenge enthalten, sollen wieder eröffnet werden, um bis zu 50 Prozent der Restmenge mit den neuen Verfahren zu fördern. Ein einziges Prozent, das durch tertiäre Techniken zusätzlich aus allen Feldern der Welt geholt wird, ergäbe eine Menge von von 20 bis 30 Milliarden Barrel, rechnet der Mineralölkonzern Shell vor. Das ist etwa die Menge, die pro Jahr derzeit weltweit gefördert wird. Nach Schätzungen von Shell lassen sich wenigstens zehn Prozent der Vorräte aus bereits aufgegebenen Feldern mit neuen Techniken fördern.

In erster Linie denken BP, Exxon, Shell & Co. bei den sogenannten tertiären Techniken an die Injektion von heißem Dampf. Die sogenannten Enhanced-Oil-Recovery-Methoden verteuerten die Förderung um allenfalls zehn Dollar pro Barrel, schätzt Visser. Alternativen, um die Ausbeute zu erhöhen, sind das Einpressen von Stickstoff oder Kohlenstoffdioxid.

Zum ersten Mal wurde die Horizontalbohrtechnik in Deutschland zur Erschließung der größten heimischen Lagerstätte eingesetzt: Mittelplate im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer. Gut zwei Millionen Tonnen holen Wintershall und RWE Dea dort mithilfe der einzigen deutschen Ölförderplattform jährlich aus dem Meeresboden. Von der Landstation Dieksand aus wühlten sich die Meißel fast 10.000 Meter durch den gewaltigen Büsumer Salzstock bis ins Feld unter Mittelplatte. Noch heute zählt eine dieser insgesamt sieben Bohrungen zu den fünf längsten weltweit.

Um 1908 konnte das Deutsche Reich noch seinen gesamten Ölbedarf aus Quellen auf eigenem Boden decken. Heute machen die rund 3,42 Millionen Tonnen Öl, die jährlich aus den Tiefen Niedersachsens und Oberbayerns, des Rheintals und des Thüringer Beckens gefördert werden, nur noch etwa 3,4 Prozent des gesamten Ölverbrauchs aus. Dennoch ist die heimische Ölförderung für die Mineralölgesellschaften interessant: In den vergangenen Monaten wurden Lizenzen für die Ölsuche auf einer Fläche von insgesamt 8000 Quadratkilometer neu vergeben. Neben Wintershall und RWE Dea sind Gaz de France und Exxon dabei, ebenso der österreichische Ölmulti OVM, der ab Sommer im Allgäu nach Öl bohren will. „In Bayern waren wir bislang nicht sehr erfolgreich, aber wir lassen uns nicht entmutigen“, sagt OMV-Chef Wolfgang Ruttenstorfer.

Neuartiges Verfahren

Bei der Suche nach Lagerstätten setzen die Exploratoren ein Verfahren ein, das 3-D-Seismik genannt wird. Weiträumig verteilte Rüttelmaschinen oder Sprengladungen, die in geringer Tiefe zünden, lösen leichte Erdbeben aus. Die Schallwellen, die in den Boden eindringen, werden je nach Gesteinsart unterschiedlich reflektiert. Geophone fangen die Signale auf, eine Software errechnet daraus ein dreidimensionales Modell des Untergrunds. Darin erkennen Experten Regionen, in denen die Wahrscheinlichkeit groß ist, Öl oder Gas zu finden. Sie erkennen außerdem die Beschaffenheit des Gesteins, sodass besonders harte Felsen, in denen das Bohren mühsam und teuer ist, umgangen werden können. Wintershall hat, um die 3-D-Modelle begutachten zu können, in der Kasseler Zentrale für mehr als eine Million Euro einen Visualisierungsraum eingerichtet, in dem Fachleute mit Spezialbrillen die Untergrundmodelle begutachten.

Große Erwartungen setzen die Ölförderunternehmen auch in spezielle Mikroorganismen. Wintershall beispielsweise arbeitet auf diesem Gebiet mit Luca Technologies aus Golden im US-Bundesstaat Colorado zusammen. Das Unternehmen züchtet Mikroorganismen, die Kohle und Erdöl in den Lagerstätten in das billiger und ergiebiger zu fördernde Methan umwandeln. Weil Mikroorganismen noch in den kleinsten Poren tätig aktiv sein können, lassen sich mit ihrer Hilfe statt 40 bis 50 Prozent des Öls bis zu 90 Prozent fördern.

Bei Weitem nicht so launisch ist Erdgas. Normal poröse Lagerstätten lassen sich ohne komplizierte technische Tricks zu mehr als 80 Prozent leeren. Als einziges Hilfsmittel benötigen die Ingenieure hier gewaltige Pumpen, die am oberen Ende der Bohrung einen Unterdruck erzeugen, sodass das Erdgas praktisch aus dem Untergrund herausgesogen wird. Auch hier erschließen Horizontalbohrungen unter einer einzigen Plattform ein Feld mit mehreren Kilometern Durchmesser.

Während der Erdgasriese Katar im Nahen Osten auf einem Vorrat von 25 Billionen Kubikmetern sitzt – womit Deutschland 280 Jahre auskäme –, werden in Europa selbst winzige Felder ausgebeutet, die meisten davon in der Nordsee. Teure Förderplattformen lohnen sich da nicht. Sie werden durch Unterwassermodule ersetzt, wie sie das norwegische Unternehmen FMC Technologies und Siemens entwickelt haben. Sie fangen das ausströmende Gas auf und leiten es zu einer bis zu zehn Kilometer entfernten großen Förderplattform.

Bisher sind sie nur für „easy gas“ geeignet, wie Visser das selbstständig austretende Erdgas nennt. Pumpen, die das Feld gewissermaßen leersaugen, sind auf den Unterwassermodulen nicht vorgesehen, was sich aber ändern soll. „Diese Technik hat noch viel Potenzial“, glaubt der Wintershall-Experte Konrad Siemer.

Kühne Bohrungen

Da Erdgas an den Ölpreis gekoppelt ist und deshalb stetig an Wert gewinnt, setzen die Konzerne auch bei der Förderung dieses Energieträgers immer aufwendigere Techniken ein. Per Horizontalbohrung erschließen sie Lagerstätten, deren Poren so klein sind, dass sich das Gas nicht so einfach austreiben lässt. Das zunächst mit einer Stahlhülle abgedichtete Bohrloch wird dann mithilfe von gezielten Sprengungen an vielen Stellen perforiert. Eine Flüssigkeit, die mit Hochdruck eingepresst wird, dringt durch die Löcher und sprengt das Gestein auf – das Gas kann fließen.

Auch wenn bessere Erschließungs- und Ausbeutungsmethoden das Ende hinausschieben, gehen Öl und Gas allmählich zur Neige – nach aktuellen Berechnung wird in 40 bis 50 Jahren die letzte Tonne gefördert sein. Spätestens dann hängen Wohlstand und Wachstum davon ab, dass Ersatzrohstoffe zur Verfügung stehen.

Der russische Gasriese Gazprom gehört zu denen, die bereits daran arbeiten, eine neue Energiequelle zu erschließen. Im sibirischen Permafrost und einige 100 Meter unter dem Meer lagern gewaltige Mengen an Methanhydrat – im Prinzip gefrorenes Erdgas. Die weltweiten Vorräte sind mehr als doppelt so groß wie die an Kohle, Öl und Gas und würden genügen, die Menschheit einige Jahrhunderte mit Energie zu versorgen.

Gerüchten zufolge hat der Mineralölkonzern BP vor der kanadischen Küste bereits begonnen, die energiereichen Klumpen zu fördern – was extrem schwierig und gefährlich ist. Eisförmig ist das Gas nämlich nur unter relativ hohem Druck und bei niedrigen Temperaturen. Sobald sich einer dieser Parameter ändert, verwandelt es sich in Gas, steigt an die Oberfläche und entweicht in die Atmosphäre. Die Folgen für das Klima wären verheerend. Methan ist als Wärmeisolator 30-mal wirkungsvoller als Kohlendioxid und würde die Erde in ein Treibhaus verwandeln. Alles wird also darauf ankommen, das Methan-Eis kontrolliert abzubauen.

Vor zwölf Jahren gelang es Wissenschaftlern an Bord des deutschen Meeresforschungsschiffs „Sonne“ erstmals, ein Methanhydrat-Lager zu lokalisieren und einen Klumpen davon an Bord zu hieven. Die Forscher staunten nicht schlecht, als das Eis zu brennen anfing, als einer von ihnen eine Flamme an den faustgroßen Klumpen hielt. Der Rest verdampfte innerhalb von Minuten. Seitdem fühlen sich deutsche Wissenschaftler berufen, das Material zu erforschen, das die Energieversorgung für Jahrhunderte sicherstellen könnte.

Alle Fäden laufen im Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-Geomar) in Kiel zusammen. Zunächst geht es um eine wissenschaftlich fundierte Abschätzung das Gefahrenpotenzial eines Abbaus. Zugleich suchen die Wissenschaftler nach sicheren Verwertungsmethoden. Professor Klaus Wallmann, Leiter der Forschungseinheit Marine Geosysteme am IFM Geomar, glaubt, dass es noch Jahre dauert, ehe Methanhydrat industriell genutzt werden kann. „Angesichts der aktuellen Debatte um die Energieversorgung der Zukunft ist es wichtig, den Entstehungsprozess von Methanhydrat sowie die ökologischen, ökonomischen und rechtlichen Aspekte dieser Ressource intensiv zu erforschen“, sagt Wallmann. Die Kieler haben bereits eine faszinierende Idee, die gleichzeitig das Kohlendioxid-Problem lösen könnte: Flüssiges Kohlendioxid aus den Abgasen von Kraftwerken soll in Methanhydratlagerstätten fließen. Dort verdrängt es das Methan aus dem Hydrat und bildet selbst eine stabile Eisschicht. Noch gibt es allerdings keine großtechnische Lösung, das frei werdende Methan komplett einzufangen, ohne das Risiko einzugehen, dass es in die Atmosphäre entweicht.

Einfacher haben es da Länder, die über Methanhydratvorkommen im Permafrost verfügen. Sie können auf Techniken zurückgreifen, die für die Ölförderung genutzt werden: auf Horizontalbohrungen und eingepressten Dampf, der das Energie-Eis schmelzen lässt, sodass es an die Erdoberfläche strömt. Die Vorkommen im Meer sind jedoch um ein Vielfaches größer.

Ein anderer Hoffnungsträger ist Ölsand. Die größten Reserven lagern in Kanada. Ölsande entstanden, als Erdöl an die Oberfläche trat und die flüssigen Bestandteile verdunsteten. Zurück blieb Sand, überzogen von zähem Bitumen, dessen Nutzung erst bei den heutigen Öl- und Gaspreisen wirtschaftlich wird. Vorreiter ist das kanadische Unternehmen Syncrude. Mittlerweile sind aber alle großen Mineralölkonzerne in das Geschäft eingestiegen. Weltweit lassen sich mindestens 100 Milliarden Tonnen Öl aus derartigen Sanden gewinnen. Das genügt, um den Weltverbrauch für gut drei Jahre zu decken. In Kanada sind es 24 Milliarden Tonnen. In gewaltigen Waschmaschinen trennen Laugen und heißes Wasser den Sand von dem Bitumen. Daraus lassen sich die gleichen Produkte herstellen wie aus Rohöl.

Das Problem dabei: Um den Ölsand zu fördern, müssen Wälder auf einer Fläche gerodet werden, die der von England und Wales entspricht. Zudem ist für die Treibstoffproduktion aus Ölsanden viermal so viel Energie nötig wie für die aus Rohöl. Greenpeace in Kanada hat sein Urteil denn auch schon gefällt. Für den Energieexperten der Organisation, Mike Hudema, wäre der Abbau von Ölsanden „das schwerste Umweltverbrechen, das es je gab“.

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