Vor einer schwierigen Klausur noch bis in die Puppen lernen? Das dürfte genau die falsche Strategie sein. Denn ausreichender und guter Schlaf ist wichtig, um Gelerntes zu festigen, soviel steht fest. Wie das jedoch im Detail passiert, ob der Traum- oder Tiefschlaf dafür den Ausschlag gibt, ist auch für Experten noch ein Rätsel.
Tatsächlich sind die nächtlichen Aktivitäten unseres Denkorgans wesentlich schlechter erforscht als das Tagverhalten. „Aber das Gehirn arbeitet nachts mindestens ebenso kompliziert, wahrscheinlich sogar noch komplizierter“, sagt Dieter Kunz, Chefarzt der Klinik für Schlafmedizin am St. Hedwig-Krankenhaus in Berlin.
Etwa im 90-Minuten-Rhythmus wechseln beim Menschen Tief- und Traumschlaf ab – wobei zu Beginn der Nacht die Tiefschlafphasen und gegen Morgen die Traumschlafphasen länger sind. Kunz und sein Team veröffentlichen in Kürze eine Studie im Fachjournal „Sleep“, die zumindest für das prozedurale Lernen, also das Erlernen automatisierter Vorgänge wie Radfahren oder Laufen, die Bedeutung des Traum- oder REM-Schlafes hervorhebt.
Falsche Volksweisheiten rund um den Schlaf
Falsch. Menschen haben unterschiedliche Schlafbedürfnisse. Als optimal gelten im Schnitt sieben Stunden. Aber letztlich muss jeder sein Optimum finden. Bestes Indiz: Wer sich tagsüber fit fühlt, hat nachts genug geschlafen.
Falsch. Die Qualität des Schlafs hat damit nichts zu tun. Unserem Körper ist es egal, wann wir einschlafen. Viel wichtiger ist, genügend Stunden tief und fest zu schlummern. Doch klar ist: Je später wir ins Bett gehen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dieses Pensum zu erreichen.
Falsch. Kurzfristig geht das vielleicht, langfristig sind unregelmäßige Schlafzeiten eher schädlich. Unser Körper liebt Beständigkeit, sie ist essenziell für guten Schlaf. Arbeiten Sie lieber an Ihren Gewohnheiten unter der Woche, anstatt am Wochenende Schlaf nachzuholen. Oder fühlen Sie sich fit, wenn Sie zwölf Stunden durchgeschlafen haben?
Falsch. 45 Prozent der Deutschen gehen zwar davon aus, der Mond habe Einfluss auf ihren Schlaf. Ein Zusammenhang zwischen Mondphase und Schlafdauer ließ sich bisher aber nicht nachweisen. Erklären lässt sich dieser Volksglaube eher mit dem Phänomen selektiver Wahrnehmung: Wer nachts wach liegt und am Himmel den Vollmond entdeckt, prägt sich solche Momente stärker ein.
REM steht für Rapid-Eye-Movement und beschreibt die rasche Augenbewegung unter geschlossenem Lid im Traum. „Die Probanden erhielten ein Antidepressivum, das den REM-Schlaf unterdrückt“, erläutert Kunz. Nach dem Schlaf mussten sie in visuellen Tests bei bestimmten optischen Signalen blitzschnell einen Knopf drücken. Dabei schnitten die Probanden aus der Placebo-Gruppe, also mit REM-Schlaf, deutlich besser ab.
Für das explizite Lernen, also etwa fürs Vokabeln oder Geschichtsdaten Pauken, ist es vermutlich gerade die Kombination der verschiedenen Schlafkomponenten, die die Fakten dauerhaft abspeichert. Doch Lernen heißt noch viel mehr: „Das Gedächtnis, das im Schlaf gebildet wird, ist kein passiver Prozess, wo sozusagen einfach Klebstoff über die Inhalte kommt, um sie zu fixieren. Es ist ein aktiver Vorgang, ein Abstraktionsprozess weg von der einzelnen erlebten Episode hin zum semantischen Gedächtnis“, sagt der Leibniz-Preisträger und Schlafforscher Jan Born von der Universität Tübingen.
Sieben Stunden Schlaf in dunkler Umgebung
Für seine neuesten Studien nahmen er und sein Team speziell den Tiefschlaf ins Visier. Sie ließen ihre Probanden im Erwachsenen- und Kindesalter zunächst ebenfalls ein „Button-Down-Spiel“ machen, bei dem bei – scheinbar willkürlichen – Lichtsignalen schnell ein Knopf gedrückt werden musste. Tatsächlich waren die Lichtsignale in einem komplexen Muster geschaltet, was jedoch keinem Teilnehmer bewusst auffiel.
Nach dem Schlafen kam dann der zweite Testdurchlauf – und alle schnitten deutlich besser ab. Vor allem bei den Kindern, die von Natur aus mehr Tiefschlafphasen haben, fiel die Steigerung auf. „Wahrscheinlich findet im Schlaf eine Reprozessierung der Stimulation statt. Vor allem die Kinder hatten die verborgenen Muster extrahiert. 13 der 15 Kinder konnten die gesamte Sequenz auswendig“, berichtet Born. „Und es ist die Tiefschlafphase, in der das passiert.“
In einem weiteren Versuch machte sich Born deshalb daran, die Tiefschlafphasen zu verbessern. Mit leisen Tonimpulsen, die synchron zum langsamen Deltawellen-Rhythmus des Tiefschläfer-Gehirns geschaltet wurden, gelang es, die Frequenzen weiter zu verlangsamen, die Ausschläge zu erhöhen. „Der Tiefschlaf wird tiefer, die Gedächtnisleistung wird größer“, schließt Born.
Bei älteren Menschen nehmen die Tiefschlafphasen sukzessive ab. Könnte ihnen ein besserer Tiefschlaf auch wieder zu mehr Gedächtnisleistung verhelfen? „Man kann den Tiefschlaf bei Älteren verbessern, aber die Effekte sind nur moderat“, sagt Born. „Das alte Gehirn produziert einfach nicht mehr so viele langsame Wellen.“
Mindestens sieben Stunden Schlaf in dunkler Umgebung und ausgerichtet an der inneren Uhr bleibt deshalb der vorrangige Rat an alle, die über Nacht etwas lernen wollen.