Immer mehr Menschen in aller Welt sind übergewichtig. Die Zahl der Übergewichtigen und Fettleibigen in Deutschland liegt laut der Nationalen Verzehrsstudie mittlerweile bei mehr als 58 Prozent. Gleichzeitig ist auch Krebs auf dem Vormarsch. So hat die Zahl der Krebserkrankungen in Deutschland laut dem Robert-Koch-Institut seit 1980 um 30 Prozent bei Männern und 20 Prozent bei Frauen zugenommen. Neben Faktoren wie dem Alter, das das Risiko für nahezu alle Krebsarten deutlich erhöht, spielen auch Genussmittel wie Alkohol und Tabak eine Rolle. Bestimmte chronische Virus-Infektionen (etwa Hepatitis), Ernährungsgewohnheiten, die Belastung mit krebserregenden Stoffen wie Asbest die UV- und radioaktive Strahlung sind ebenfalls als Risikofaktoren bekannt.
Für bestimmte Krebserkrankungen wie Darmkrebs legten frühere Studien nahe, dass auch Übergewicht und Bewegungsmangel eine Rolle spielen. Doch kann sich das Gewicht auch auf das Risiko für weitere Krebsarten auswirken? Dieser Frage nahm sich nun eine Gruppe britischer Forscher an. Die großangelegte Studie, die im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlicht wird und vorab seit Donnerstag online verfügbar ist, zeigt: Wer zu viel auf den Rippen hat, geht ein deutlich höheres Risiko ein, an bestimmten Krebsarten zu erkranken.
Untersucht wurde der Zusammenhang zwischen dem sogenannten „Body Mass Index“ (BMI), der das Verhältnis vom Gewicht zur Körpergröße angibt. Dabei fanden die Forscher heraus, dass von 22 in Betracht gezogenen Krebsarten 17 einen mehr oder weniger starken Zusammenhang mit dem BMI zeigten.
Wie sich der BMI berechnet
Der Body-Mass-Index berechnet sich wie folgt: Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpergröße mal Körpergröße in Metern.
Bei einem Gewicht von 90 Kilogramm und einer Größe von 1,90 Meter beträgt der BMI also knapp 25.
Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO wird ein BMI zwischen 18,5 und 24,9 als normal angesehen. Ab einem Wert von 30 Kilogramm pro Quadratmeter Körpergröße gelten Übergewichtige als adipös und behandlungsbedürftig.
Für sechs Krebserkrankungen zeigte sich für einen Anstieg des Körpergewichts um je fünf BMI-Punkte ein nahezu linearer Anstieg des Risikos. Zum besseren Verständnis: Fünf BMI-Punkte mehr entsprechen bei einem 1,80 Meter großen Menschen einer Gewichtszunahme um 16 Kilogramm.
Besonders deutlich zeigte sich der Zusammenhang mit dem Risiko für Gebärmutter-, Gallenblasen-, Nieren-, Gebärmutterhals-, Schilddrüsenkrebs und Leukämie. Auch für Krebserkrankungen der Leber, des Darms, der Eierstöcke und der weiblichen Brust (nach den Wechseljahren) fanden die Mediziner einen Zusammenhang mit dem BMI; allerdings spielen hier auch individuelle Veranlagungen und weitere Faktoren eine größere Rolle, erklären die Forscher.
Mit zunehmendem Gewicht steigt das Risiko für Gebärmutterkrebs am stärksten. Den Forschern zufolge können 41 Prozent der Fälle von Gebärmutterkrebs sowie mindestens zehn Prozent der Fälle von Gallenblasen-, Nieren-, Leber- und Darmkrebs auf Übergewicht zurückgeführt werden.
Auch Untergewicht birgt Risiken
Die Forscher berechneten außerdem, dass ein Anstieg um einen BMI-Punkt in der britischen Bevölkerung zu 3790 weiteren Fällen der zehn genannten Krebsarten führen würde. Dieser Effekt sei nicht nur bei übergewichtigen oder fettleibigen Menschen zu beobachten. Auch bei einem normalen BMI begünstige ein Anstieg des Körpergewichts das Risiko mancher Krebsarten.
Untergewichtige, also Menschen mit einem BMI von weniger als 18,5, sind ebenfalls nicht frei von jedem Risiko. Die Auswertung zeigte, dass sie ein erhöhtes Risiko für Mundhöhlen-, Speiseröhren-, Magen- und Lungenkrebs haben. Das Risiko für Frauen, nach der Menopause an Brustkrebs zu erkranken oder das Risiko für Prostatakrebs bei Männern ist dafür niedriger. Wurde die Auswahl der Personen aber auf diejenigen eingeschränkt, die nicht rauchen und es auch früher nicht taten, fielen Mundhöhlen- und Lungenkrebs wieder heraus. Diese Krebsarten werden primär durch Tabakgenuss begünstigt.
Es wurden Daten aus der britischen Clinical Practice Research Datenbank herangezogen. Betrachtet wurden rund 9 Prozent der britischen Bevölkerung – das entspricht 5,24 Millionen Menschen – die älter als 16 Jahre waren und zum Zeitpunkt der ersten Erfassung des BMI noch keine Diagnose einer Krebserkrankung erhalten hatten. Abgedeckt wurden neben dem Gewicht, Größe und diagnostizierten Erkrankungen auch weitere Lebensstil-Einflüsse wie Rauchen oder Alkoholgenuss. Von diesen 5,24 Millionen Menschen erkrankten 166.955 an einer der Krebsarten, für die ein Zusammenhang mit dem BMI vermutet wurde. Die Daten stammen aus dem Zeitraum zwischen 1987 und Mitte 2012.
Die Auswertung der Daten ist laut den Forschern die größte Untersuchung, die bislang zum Zusammenspiel von Körpergewicht und Krebs gemacht wurde. Im Gegensatz zu kleineren, früheren Studien konnten hier weitere Faktoren, die einen Einfluss auf das Krebsrisiko haben - wie Rauchen, Geschlecht oder Alter – herausgerechnet werden. Es zeigte sich, dass ein Anstieg des Körpergewichts um fünf Kilogramm pro Quadratmeter Körpergewicht bei bestimmten Krebsarten einen mehr oder weniger starken Anstieg der Erkrankungen mit sich bringt.
Der Zusammenhang zwischen dem Gewicht und vielen Krebsarten konnte so erstmals deutlich aufgezeigt werden – auch, wenn er nicht immer linear war. So zeigte sich etwa, dass das Risiko für Brustkrebs vor den Wechseljahren bei einem BMI von 22 am höchsten ist. Mit weiter steigendem BMI nahm das Risiko dann wieder ab. Ähnliche Muster fanden die Mediziner bei Haut- und Prostatakrebs.
Die unterschiedlichen Effekte des Körpergewichts bedeuten, dass verschiedenste, komplexe Mechanismen im Organismus wirken. Verschiedene Vorgänge wurden hier bereits untersucht, etwa Veränderungen im Hormonhaushalt. So ist nach heutigem Kenntnisstand zum Beispiel das weibliche Sexualhormon Östrogen in der Lage, das Wachstum von bösartigen Geschwülsten in der Brust zu fördern.
Die hochkomplexen Wechselwirkungen innerer und äußerer Einflüsse auf die Entstehung und das Wachstum von Tumoren, seien es nun Gewicht, Strahlung oder krebserregende Stoffe, benötigen weitere Forschungsbemühungen.