Rosetta erforscht Tschuri Eine bizarre Welt erwacht

700 Meter hohe Klippen, Geröllhalden und ein langer Riss am Hals: Der Komet Tschuri bietet immer neue Überraschungen. Jetzt haben Forscher eine erste Bilanz der von der Kometensonde Rosetta gelieferten Daten gezogen.

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Aus 30 Kilometer Entfernung nahm Rosetta dieses Bild von Tschuri. Gut erkennbar sind die zahlreichen Staubfontänen, die von dem Kometen ausgehen. Quelle: ap

Göttingen/Washington Schroffe Klippen, Staubfontänen und tiefe Löcher: Der Komet Tschuri hat sich auf den detailreichen Bildern der europäischen Raumsonde Rosetta als bizarre und vielschichtige Welt entpuppt. In einer Artikelserie im US-Fachjournal Science haben internationale Forscherteams die bisherigen Beobachtungen der Kometensonde zusammengefasst.

„Wir beobachten einen erwachenden Kometen“, erläutert Holger Sierks vom Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, einer der leitenden Wissenschaftler der Auswertung. „Zum ersten Mal können wir einen Kometen bei seinem Vorbeiflug an der Sonne mit einer Raumsonde begleiten.“

Die Instrumente von Rosetta, darunter eine Kamera namens Osiris, liefern den Forschern dabei den bislang detailliertesten Blick auf einen Schweifstern. „Damit können wir versuchen, die Physik des Kometen und die Physik seiner Aktivität zu verstehen. Das ist aus meiner Sicht ein Durchbruch“, sagt der Leiter des Osiris-Teams.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hofft ab kommenden Mai auch auf neuen Kontakt zum Mini-Labor Philae, das im November auf dem Kometen landete. Im Moment liege das Gerät weiter im Schatten, seine Solarsegel können die leeren Batterien daher nicht aufladen.

„Wir wissen zur Zeit nicht genau, wo „Philae“ ist“, sagte DLR-Chef Johann-Dietrich Wörner am Donnerstag in Berlin. Die Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass das Labor seine Batterien wieder auflädt, wenn der Komet der Sonne näher kommt. Dann könnte es aus seinem Dornröschenschlaf erwachen.

Aus den zahlreichen Mosaiksteinen, die bisher vorliegen, haben die Forscher bereits ein detailliertes Bild von Tschuri zusammengesetzt: Der Komet, dessen volle Bezeichnung 67P/Tschurjumow-Gerassimenko lautet, besitzt grob die Form eines Quietsche-Entchens mit einem kleineren Kopf und einem größeren Körper, die über einen schmalen Hals verbunden sind.

Der Kopf hat in etwa einen Durchmesser von zwei Kilometern, der Körper ist rund vier Kilometer lang. Ob es sich ursprünglich um zwei Brocken gehandelt hat, die irgendwann zusammengeklumpt sind, oder ob der Hals das Ergebnis eines ungleichmäßigen Abschmelzens des Kometen ist, wird noch untersucht.


Doppelt so schwarz wie Kohle

Anders als beispielsweise viele Asteroiden weist der Komet nahezu keine Farbschattierungen auf. Nur der Hals und einzelne Brocken auf der Oberfläche erscheinen etwas heller. „Effektiv sind Kometen doppelt so schwarz wie Kohle“, wird Osiris-Forscher Dennis Bodewits von der Universität von Maryland in einer Mitteilung seiner Hochschule zitiert.

Überraschend vielfältig zeigt sich dagegen die Oberfläche. Es gibt steile, bis zu 700 Meter hohe Klippen, Staubdünen, glatte Ebenen, Furchen, Geröllhalden mit Gruben und großflächige Senken. Viele Gegenden sind von einer vermutlich meterhohen Staubschicht bedeckt.

Rund 70 Prozent von Tschuris Oberfläche hat Rosetta bereits mit einer Auflösung kartiert, bei der mindestens 80 Zentimeter große Details zu erkennen sind. Bislang haben die Forscher 19 unterschiedliche Landschaften identifiziert und nach ägyptischen Gottheiten benannt. „Auch aus morphologischer Sicht hebt sich die Halsregion des Kometen deutlich von den anderen Bereichen ab“, erläutert Sierks. Anders als Kopf und Körper ist der Hals des Kometen glatt und frei von Furchen oder Kratern.

Allerdings zeigt sich ein langer Riss am Hals, der Folge einer mechanischen Belastung sein könnte. „Wir wissen noch nicht, ob sich der Riss komplett um den Hals zieht“, sagt Sierks. Darüber hinaus haben die Forscher in Halsnähe und auf dem Rücken des Kometenkerns bis zu 200 Meter tiefe und bis zu 300 Meter breite zylinderförmige Löcher entdeckt.

Deren Wände haben eine Art Gänsehaut – sie sind mit etwa drei Meter großen Klumpen gepflastert. Das könnte darauf hinweisen, dass sich die Materie im jungen Sonnensystem, die auch das Baumaterial des Kometen stellte, generell nur bis zu dieser Größe zusammenballen konnte. Möglicherweise besteht also das gesamte Kometeninnere aus solchen Brocken.

Zum ersten Mal konnten die Rosetta-Forscher auch die Dichte eines Kometen auf direktem Weg bestimmen. Ergebnis: Tschuri ist mit 470 Kilogramm pro Kubikmeter (470 Gramm pro Liter) etwa so schwer wie Kork.

„Wir gehen davon aus, dass der Komet aus Eis und Staub besteht, Materialien, die beide eine deutlich höhere Dichte aufweisen“, betont Sierks. Die gemessene Dichte deutet also darauf hin, dass der Kometenkern porös und zu 70 bis 80 Prozent leer ist. „Wir verstehen ihn derzeit als eine Art lockere Ansammlung von Eis- und Staubteilchen mit vielen, vielen Zwischenräumen“, sagt der Göttinger Weltraumforscher.


Überraschend aktiv

Bereits jetzt ist der Komet überraschend aktiv. „Er hat schon mehr Staubfontänen als viele andere Kometen bei ihrer größten Annäherung an die Sonne“, berichtet Bodewits. Auch hier ist der Hals des Kometen die Schlüsselregion. Die meisten Staubfontänen liegen bislang dort.

In den vergangenen Monaten hat Tschuri viermal so viel Staub ins All gespuckt wie Gas – ein ungewöhnlicher Befund, denn normalerweise produzieren Kometen mehr Gas als Staub. Der Gas- und Staubausstoß beschert dem Kometenkern nicht nur eine dünne Atmosphäre, sondern auch eine ganze Armada von Staubklumpen, die den Kometenkern in bis zu 145 Kilometern Entfernung umkreisen – und dies vermutlich seit seiner vorangegangenen Annäherung an die Sonne.

„Die Aktivität wird bis zur größten Annäherung an die Sonne noch um den Faktor 100 zunehmen“, erwartet Sierks. Rosetta wird sich zu diesem sogenannten Perihel (größte Sonnennähe) im August auf einen Sicherheitsabstand von etwa 100 Kilometern zurückziehen.

„Wir wissen, dass der Komet bei jedem Umlauf im Schnitt eine zwei bis drei Meter dicke Schicht seiner Oberfläche verliert“, sagt Sierks. „Wir erwarten daher nach dem Perihel in großen Teilen eine ganz neue Oberfläche.“ Nach Tschuris größter Annäherung an die Sonne müssen die Forscher daher neue Karten des Kometen erstellen. 

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