Es sind ziemlich kleine Schritte, die derzeit im Hafen von Antwerpen groß gefeiert werden. Schließlich geht es um ein gigantisches Ziel: den Weg Richtung Klimaneutralität. Im April also nahm der Hafenbetrieb, zweitgrößter in Europa, drei neue Schleppboote in Betrieb, die um 85 Prozent energieeffizienter arbeiten als die alten. Man gehe damit „als gutes Beispiel“ einen „wichtigen Schritt“ voraus, so die forsche Deutung. Als nächstes sollen Schlepper kommen, die mit Wasserstoff betrieben werden, alles für ein Ziel: Grüner Hafen will man werden.
Dass es für ihn dabei um viel mehr geht als die Emissionen einiger Schleppboote, weiß Jacques Vandermeiren natürlich besser als alle anderen. Vandermeiren, gebürtiger Antwerpener, geht selbst mit bester Klimabilanz voraus. Wann immer das Wetter es erlaubt, radelt er an der Schelde entlang zu seinem Arbeitsplatz im Hafen, dessen Chef er seit 2016 ist. Dieser Hafen aber hängt, ebenso wie der größte Konkurrent Rotterdam, an einer Wirtschaft, die mit fossilen Rohstoffen betrieben wird. „Wenn wir uns nicht grundlegend wandeln, dann haben auch wir als Hafenbetrieb bald ein großes Problem“, sagt Vandermeiren.
Wenn es um den anstehenden klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft geht, dann wird viel über Industriekonzerne gesprochen, über Stahlwerke, Chemiefabriken, Autohersteller, Flugzeugbauer. Betroffen von fast allem, was in diesen Branchen passiert, sind aber auch und in besonderem Maße die Seehäfen Europas. Sie leben bisher zu einem bedeutenden Teil davon, dass hier Schiffe mit Öl oder Flüssiggas landen und ihre Güter sodann über Pipelines oder Transporter quer über den Kontinent verteilen. Jeder industrielle Prozess, der von fossiler Energie auf erneuerbaren Strom umgebaut wird, bedeutet für die Häfen ein paar tausend Tonnen weniger Umschlag im Jahr.
„Den Sonnenschein verschiffen“
Kaum anderswo lässt sich das so gut beobachten wie in und um Antwerpen. „Wir sind ja nicht nur ein Hafen, sondern zugleich das größte integrierte Chemiecluster Europas“, sagt Vandermeiren. Direkt anschließend an die Öl- und Gasterminals befinden sich hier große Fabriken von BASF, Ineos und weiteren Branchengrößen, viele weitere sind über ein dichtes Pipelinenetz mit dem Hafen verbunden. 120 Millionen Tonnen Kohledioxid (CO2) werden jährlich in Belgien ausgestoßen – 18 Millionen, also 15 Prozent, fallen in und um den Hafen von Antwerpen an.
Und so ist es deutlich mehr als eine Maßnahme zur Imagepflege, wenn Vandermeiren ausruft: „Wir wollen nicht nur ein grüner Hafen werden, sondern auch die wichtigste Anlaufstelle für Wasserstoff und Derivate auf dem Kontinent.“ Wasserstoff, dieses Gas begeistert die Industrie und Politik derzeit gleichermaßen – auch wenn dessen Eignung als zentraler Energieträger der grünen Zukunft durchaus in Zweifel gezogen wird. In Häfen wie Antwerpen lässt sich gut nachvollziehen, was diese Faszination ausmacht. „Wir sind schon heute mehr oder weniger bereit für die Wasserstoffwirtschaft“, sagt Hafenchef Vandermeiren. „Die meisten unserer Anlagen könnten in der neuen Welt weitergenutzt werden.“
Sein Fernziel: In Afrika, dem Nahen Osten oder Südamerika wird aus grünem Strom Wasserstoff in rauen Mengen hergestellt, der dann nach Antwerpen verschifft wird. „Wir müssen den Sonnenschein verschiffen“, sagt Vandermeiren. Das klingt gut, dabei ist Vandermeiren Realist genug, um selbst um die Schwächen des Systems zu wissen. Bei der Umwandlung von Strom in Wasserstoff geht viel Energie verloren, erst Recht wenn am Ende in der Brennstoffzelle der gleiche Prozess nochmal andersherum abläuft. „Das ist sicher nicht die effizienteste Lösung, allein von einem energetischen Blickwinkel betrachtet.“ Aber es sei eben die einzig machbare. Vor allem ist es die einzige, bei der das komplexe Industriegeflecht rund um Antwerpen weiterexistieren kann wie bisher.
„Die Unternehmen hier vor Ort könnten den Wasserstoff direkt verwenden, darüber hinaus würde er über ein Pipelinenetz verteilt“, erläutert Vandermeiren. Schon heute verbinden den Hafen Pipelines mit dem Konkurrenten in Rotterdam, bisher fließt unter anderem niederländisches Erdgas hindurch. Die Leitungen ließen sich problemlos umbauen. „Aber klar ist auch: Mit den aktuellen CO2-Preisen lohnt sich das noch nicht“, sagt Vandermeiren. Damit grüner Wasserstoff konkurrenzfähig werde, müsse der Preis „auf mindestens 100 Euro pro Tonne steigen“, schätzt er. Aktuell liegt er bei rund der Hälfte.
Um während des Wartens nicht allzu viel Geschäft zu verlieren, setzt Vandermeiren auf eine unter Umweltexperten durchaus umstrittene Technologie, den sogenannten „blauen Wasserstoff“. Der wird aus fossilem Erdgas gewonnen, anschließend aber wird das freiwerdende CO2 nicht in die Atmosphäre entlassen, sondern im Boden verpresst, im Falle von Antwerpen soll das in alten Gasfeldern in der Nordsee passieren. Zwei bis drei Milliarden Euro werde das kosten, 2023 soll das erste CO2 eingefangen werden. Aber Vandermeiren weiß auch: „Damit das Projekt Realität werden kann, sind wir von den Investitionen unserer Partner aus der Industrie und der Ölkonzerne abhängig.“
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