Touchless- statt Touchscreen Bildschirme ohne Berührung navigieren

Chemiker haben eine Struktur entwickelt, mit der es künftig möglich sein könnte, Bildschirme zu navigieren, ohne sie zu berühren. Die Technik ist für mobile Endgeräte und für Bildschirme im öffentlichen Raum denkbar.

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Der photonische Kristall reagiert berührungslos auf die feuchte Atmosphäre des Fingers. Quelle: Advanced Materials 2015/MPI für Festkörperforschung

Smartphone-Besitzer können möglicherweise in Zukunft ihr Telefon benutzen, ohne den Bildschirm zu berühren. Es genügt dann, den Finger nur oberhalb des Gerätes zu bewegen – und das Smartphone führt die gewünschte Funktion aus. Forscher des Stuttgarter Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung und der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität haben Nanostrukturen entwickelt, die ihre elektrischen und optischen Eigenschaften ändern, sobald sich ihnen ein Finger nähert. Diese Struktur ist prädestiniert für die berührungslosen Bildschirme, Touchless-Screens.

Dem Team ist es gelungen, Kristalle nachzubilden, die in der Natur in Perlmutt oder in den Farben von Schmetterlingsflügeln vorkommen. Das Nanomaterial macht sich eine menschliche Eigenschaft zunutze: Der Körper schwitzt und gibt durch winzige Poren in der Haut permanent Wassermoleküle ab. "Unser Sensor erfasst den Grad der Feuchtigkeit und reagiert darauf mit einer entsprechenden Änderung der Farbe, und das ohne Berührung", sagt Katalin Szendrei aus dem Forscherteam. Genau diese Eigenschaft macht das neue Material für berührungslose Bildschirme interessant.

Die neue Technik ist auch für Tablets, Notebooks und für Bildschirme im öffentlichen Raum denkbar: zum Beispiel an Bank- und Fahrkartenautomaten. Ein Touchless-Screen wäre nicht nur hygienischer – dadurch, dass der Nutzer den Bildschirm nicht berühren muss, gibt es auch weniger Verschleiß. Das Material ist chemisch stabil, transparent und laut Experten einfach herzustellen. Gerade weil es luftstabil ist, ist es auch unter herkömmlichen Umweltbedingungen verwendbar.

Ähnliche Sensoren aus Nanoschicht-Basis haben Forscher bereits in der Vergangenheit entwickelt. Im Vergleich zu den anderen Sensoren hat die neue Technik kürzere Ansprechzeiten, eine deutlich höhere Empfindlichkeit und ist über eine lange Zeit stabil. "Diese Kombination von Eigenschaften ermöglicht es, Fingerbewegungen farbkodiert in Echtzeit abzubilden", sagt Forscher Pirmin Ganter.

Seit etwa eineinhalb Jahren forscht das Team an dem neuen Nano-Material. Die Chemiker haben bereits ein Patent für ihre Entwicklung eingereicht. Anfragen von großen Unternehmen, die möglicherweise Interesse an der neuen Technik haben, gibt es aber bisher noch nicht. Ab wann die neuen Bildschirme für die Allgemeinheit erhältlich sind, ist bislang auch noch unklar. "Die Technik wird auf jeden Fall noch nicht in den nächsten zwei bis drei Jahren auf den Markt kommen", sagt Pirmin Ganter auf Anfrage von WirtschaftsWoche Online.

Denn bevor die Forscher Bildschirme mit den Sensoren ausstatten können, müssen sie noch weitere Herausforderungen bewältigen. Wichtig ist in erster Linie, dass sich die Nanostrukturen auch wirtschaftlich herstellen lassen. Um das Nanomaterial vor Verschleiß zu schützen, müssen die Wissenschaftler noch eine spezielle Schutzschicht entwickeln, die gleich mehreren Anforderungen gerecht werden muss: Einerseits muss sie dazu in der Lage sein, die Nanostrukturen vor chemischen und mechanischen Einflüssen zu schützen. Andererseits muss sie aber auch Feuchtigkeit passieren lassen. "Wir haben bereits eine Idee, wie wir diese Schicht herstellen können", sagt Ganter. Die Umsetzung befinde sich aber noch in den Anfängen.

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