In der Nacht von Samstag auf Sonntag wird an der Uhr gedreht. Dann gilt die Winter- statt Sommerzeit, der Zeiger wandert also von drei Uhr auf zwei Uhr zurück. Wir bekommen also eine Stunde geschenkt, die uns im März wieder genommen wird, wenn die Sommerzeit kommt. Jedes Jahr streiten sich Gegner und Befürworter erneut, ob und wie sinnvoll das Ganze ist. Eine große Mehrheit der Deutschen will die Abschaffung der Zeitumstellung. In diesem Interview, das erstmals im März 2019 erschien, diskutiert Chronobiologe Till Roenneberg das Für und Wider der Zeitumstellung.
Seit wann stellen wir unsere Uhren um und warum?
Die erste Umstellung auf die Sommerzeit in Deutschland gab es während des Ersten Weltkriegs, danach ließ man die Zeigerdreherei bis 1939 erstmal wieder sein. Während der Kriegsjahre gab es mal eine Zeitumstellung und mal nicht und nach dem Krieg durften die jeweiligen Besatzungsmächte entscheiden, wie spät es denn nun ist. Von 1950 bis 1979 gab es in Deutschland gar keine Sommerzeit und seit 1996 dreht die gesamte EU zweimal im Jahr am Zeiger: einmal am letzten Sonntag im März und dann wieder am letzten Oktober-Sonntag.
Und es gibt ja auch gute Argumente dafür, sagen die einen. Nur stimmen die leider nicht (mehr). 1947 stellte man die Uhren sogar zwei Stunden vor, damit „es länger hell“ ist und man mehr Tageslicht beim Wiederaufbau der Infrastruktur hatte. Mittlerweile ist das völlig überflüssig, wie auch Zahlen des Umweltbundesamtes zeigen: Zwar knipsen wir im Sommer abends seltener das Licht an – ist ja länger hell. Dafür müssen wir im Frühjahr und Herbst morgens mehr heizen. Energie wird also nicht gespart.
Was halten Experten von der Umstellung?
Letztlich gehen bloß alle eine Stunde früher zur Arbeit, so der bekannte Chronobiologe Till Roenneberg vom Institut für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er sagt: „Wir reden uns die Umstellung schön: Es ist nicht länger hell, ich komme nur früher nach Hause und wir stellen nicht die Zeit um, sondern unsere Uhren.“ Gegner der Zeitumstellung müssten sich seiner Erfahrung nach oft anhören, dass es sich doch nur um eine Stunde handele und man sich bei der Reise nach London oder Sankt Petersburg wegen einer Stunde auch nicht so aufrege – von Flügen in ganz andere Zeitzonen einmal ganz abgesehen. Im Urlaub fliege man allerdings auch in einen anderen Hell-Dunkel-Wechsel. „Hier spielt sich alles nur auf der Armbanduhr ab.“
Pro & Contra zur Zeitumstellung
Beim sommerlichen Picknick am Wochenende ist es länger hell. Das kommt der Geselligkeit zugute.
Das galt vor allem nach dem Krieg. 1947 wurden die Uhren gar zwei Stunden vorgestellt, um mehr Tageslicht beim Wiederaufbau der Infrastruktur zu haben.
Nach einem anstrengenden Arbeitstag kann man das Sonnenlicht noch ein Stündchen länger im Garten oder auf dem Balkon genießen.
Das war zumindest die durch die Ölkrise 1973 geschürte Hoffnung. Doch Fachleute zweifeln am Nutzen.
Einige Studien kamen zu dem Ergebnis, dass es am Montagmorgen nach der Umstellung auf die Sommerzeit mehr Unfälle als an anderen Montagen gebe.
Die Fütterungszeiten sind einem Rhythmus angepasst und können nicht einfach um eine Stunde verschoben werden, klagen Landwirte. Auch Milchkühe müssen sich auf neue Melkzeiten erst einstellen.
Mediziner warnen vor negativen Folgen, da empfindsamere Naturen Probleme mit der Anpassung haben können.
Nervig ist die Umstellung für alle, die keine Funkuhr haben. Gehen die Chronometer nicht automatisch mit der Zeit, muss die Anpassung manuell geschehen, an Küchengeräten oder im Auto zum Beispiel. Und bloß den Wecker nicht vergessen.
Warum halten wir an der Umstellung fest, wenn sie überholt ist?
Roenneberg ist sicher, dass der Wahnsinn mit der Sommerzeit irgendwann ein Ende haben wird – schließlich ist auch die Mehrheit in der Bevölkerung dagegen. Allerdings käme die Uhrumstellung vielen auch entgegen, wie er sagt: „Die sagen sich: Ich gehe doch lieber verpennt zur Arbeit und habe dann in meiner Hochphase frei.“ Das sollte Arbeitgebern vielleicht zu denken geben. Denn: „Es sind nicht diejenigen faul, die sagen, dass sie am liebsten erst um zehn zur Arbeit kommen wollen, wenn sie leistungsfähig sind, sondern diejenigen, die um sieben kommen und erstmal Kaffee trinken und quatschen, bis sie fit sind.“
Grundsätzlich treiben wir seiner Meinung nach viel Schindluder mit unserem Schlaf und unserem Tag- und Nacht-Rhythmus. Das belegen auch die immer wiederkehrenden Empfehlungen diverser Manager, am besten spätestens um 4.30 Uhr aufzustehen und eine Runde joggen zu gehen, bevor man dann um sechs Uhr früh mit der Arbeit beginnt. „Schlafen ist was für Weicheier“, soll schon die britische Politikerin Margaret Thatcher gesagt haben. Mehr als vier Stunden pro Nacht habe sie angeblich nie geschlafen. Laut Roenneberg gebe es dank solcher Vorbilder mittlerweile einen Wettbewerb, wer am wenigsten schläft.
Die übermüdete Gesellschaft
Aber der frühe Vogel fängt doch den Wurm?
Wer mosert, wenn er früh aufstehen muss, kann sich in eine Ecke mit Rauchern, Junk-Food-Fans, Fleischessern und Couchpotatoes stellen beziehungsweise setzen. Wer morgens um sieben noch nicht zu Hochleistungen aufläuft, ist nicht effektiv, faul und soll eben abends einfach früher schlafen gehen, so die gängige Meinung. „Es gibt in unserer Gesellschaft eine Moral, wonach früh aufzustehen ‚healthy, wealthy und wise‘ macht“, bestätigt Roenneberg. Zwar belegen zahlreiche Studien, dass ein Großteil der Menschheit erst im Laufe des Vormittags auf Touren kommt, aber das scheint keine Rolle zu spielen.
Im Gegenzug verlangt von den Frühaufstehern – Chronotyp Lerche – niemand, nachts um eins einen Fachvortrag zu halten oder sportliche Höchstleistungen zu erbringen.
Wie viele Stunden verschiedene Personengruppen im Durchschnitt schlafen
Insgesamt schläft der Mensch unter der Woche durchschnittlich 7,01 Stunden und am Wochenende 7,88 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Männer schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,00 Stunden und am Wochenende 7,93 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Frauen schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,01 Stunden und am Wochenende 7,83 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Verheiratete schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,01 Stunden und am Wochenende 7,75 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Singeles schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,06 Stunden und am Wochenende 8,49 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Geschiedene schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,85 Stunden und am Wochenende 7,69 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Getrennt lebende schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,76 Stunden und am Wochenende 7,61 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Verwitwete schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,02 Stunden und am Wochenende 7,27 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Beschäftigte schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,88 Stunden und am Wochenende 8,08 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Selbstständige schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,94 Stunden und am Wochenende 7,83 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen in Rente schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,20 Stunden und am Wochenende 7,37 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Erwerbslose schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,04 Stunden und am Wochenende 7,65 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Beamte schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,80 Stunden und am Wochenende 8,03 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Auszubildende schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,07 Stunden und am Wochenende 8,96 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen mit einer sehr guten Gesundheit schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,20 Stunden und am Wochenende 8,38 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen mit guter Gesundheit schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,09 Stunden und am Wochenende 8,11 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen mit befriedigender Gesundheit schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,99 Stunden und am Wochenende 7,78 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen mit schlechter Gesundheit schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,75 Stunden und am Wochenende 7,33 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen mit einem hohen Bildungsniveau schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,01 Stunden und am Wochenende 7,88 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen mit einem mittleren Bildungsniveau schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,00 Stunden und am Wochenende 7,85 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen mit einem niedrigen Bildungsniveau schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,00 Stunden und am Wochenende 7,78 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Kinderlose schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,05 Stunden und am Wochenende 7,84 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen mit einem Kind schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,92 Stunden und am Wochenende 8,06 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen mit zwei Kindern schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,87 Stunden und am Wochenende 7,93 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen mit drei und mehr Kindern schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,85 Stunden und am Wochenende 7,87 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen im Alter von 15 bis 20 Jahren schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,26 Stunden und am Wochenende 9,20 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen im Alter von 21 bis 30 Jahren schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,10 Stunden und am Wochenende 8,56 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen im Alter von 31 bis 40 Jahren schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,92 Stunden und am Wochenende 8,01 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen im Alter von 41 bis 50 Jahren schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,83 Stunden und am Wochenende 7,93 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen im Alter von 51 bis 60 Jahren schlafen unter der Woche durchschnittlich 6,84 Stunden und am Wochenende 7,72 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Personen über 60 Jahre schlafen unter der Woche durchschnittlich 7,10 Stunden und am Wochenende 7,61 Stunden.
Quelle: DIW, SOEP
Frühaufsteher sind also Gewinner?
Den Frühaufstehern in unserer Gesellschaft geht es auch nicht besser als den Lerchen, wie Roenneberg weiß. Er sagt: „Frühtypen haben immer Schlafmangel: Um morgens um vier oder sechs von selber aufzuwachen, müssten sie um acht ins Bett gehen, das ist aber nicht anerkannt – und am Wochenende schon gar nicht.“ Man könnte fast von ausgleichender Gerechtigkeit sprechen: Weil die einen die anderen dazu zwingen, morgens früh aufzustehen, müssen sie selber länger aufbleiben. Im Endeffekt hat dadurch allerdings niemand gewonnen, stattdessen haben wir eine übermüdete Gesellschaft. Das gelte besonders für alle, die in irgendeiner Form Verantwortung haben. Roenneberg: „Ein Manager kann seiner Sekretärin genauso wenig sagen, dass er vor elf keine Termine haben möchte, wie dass er nach acht Uhr abends niemanden mehr trifft.“
Wie viel Schlaf brauche ich denn?
Grundsätzlich sind sich Schlafforscher einig: Sieben Stunden Schlaf pro Nacht brauchen wir, um erholt und fit in den Tag zu starten. Das gilt für alle Menschen, wie eine Studie von US-Forschern zeigt, die im Fachmagazin „Current Biology“ veröffentlicht wurde. Demnach schlafen die Mitglieder von Naturvölkern auch nicht länger als die industrieller Gesellschaften. Die Jäger und Sammler von den Hadza aus Tansania, den San aus Namibia und den Tsimanen aus Bolivien schlafen nach Studienangaben durchschnittlich knapp 6,5 Stunden pro Nacht.
Falsche Volksweisheiten rund um den Schlaf
Falsch. Menschen haben unterschiedliche Schlafbedürfnisse. Als optimal gelten im Schnitt sieben Stunden. Aber letztlich muss jeder sein Optimum finden. Bestes Indiz: Wer sich tagsüber fit fühlt, hat nachts genug geschlafen.
Falsch. Die Qualität des Schlafs hat damit nichts zu tun. Unserem Körper ist es egal, wann wir einschlafen. Viel wichtiger ist, genügend Stunden tief und fest zu schlummern. Doch klar ist: Je später wir ins Bett gehen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dieses Pensum zu erreichen.
Falsch. Kurzfristig geht das vielleicht, langfristig sind unregelmäßige Schlafzeiten eher schädlich. Unser Körper liebt Beständigkeit, sie ist essenziell für guten Schlaf. Arbeiten Sie lieber an Ihren Gewohnheiten unter der Woche, anstatt am Wochenende Schlaf nachzuholen. Oder fühlen Sie sich fit, wenn Sie zwölf Stunden durchgeschlafen haben?
Falsch. 45 Prozent der Deutschen gehen zwar davon aus, der Mond habe Einfluss auf ihren Schlaf. Ein Zusammenhang zwischen Mondphase und Schlafdauer ließ sich bisher aber nicht nachweisen. Erklären lässt sich dieser Volksglaube eher mit dem Phänomen selektiver Wahrnehmung: Wer nachts wach liegt und am Himmel den Vollmond entdeckt, prägt sich solche Momente stärker ein.
Warum haben wir Schlafstörungen?
Chronische Schlafstörungen sind für die erwähnten Naturvölker ein Fremdwort – im Gegensatz zu den Menschen in Industrienationen. Sechs bis zehn Prozent der Erwachsenen sind laut der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin von Schlafstörungen betroffen. Was letztlich nicht nur an den Problemen liegt, die viele nachts wälzen, sondern am Licht, das letztlich Einfluss auf uns und unsere innere Uhr hat, wie Roenneberg sagt. „Wir können uns die Nacht erobern, indem wir Licht machen. Aber für eine Evolution ist der Zeitraum zu kurz: Unser Körper hat sich noch nicht darauf eingestellt, dass es künstliches Licht gibt.“
Welchen Einfluss hat Licht auf den Schlaf?
„Weil unsere innere Uhr keine richtigen Informationen mehr bekommt, verrutscht sie nach hinten und wir werden immer später müde.“ Denn wo die Naturvölker sich nach der Temperatur richten – sie stehen auf, wenn es zu heiß zum Schlafen ist und schlafen, sobald es kühl genug ist, bleibt dem westlichen Industriemensch in seinen dreifachisolierten Häusern außer im Hochsommer eben nur der Wechsel zwischen Hell und Dunkel als Signal, wann er müde zu werden hat. Und hier liegt das sprichwörtliche Schlappohr im Pfeffer: In unserer Gesellschaft wird es niemals richtig hell und es ist niemals richtig dunkel, wie Roenneberg sagt. Selbst in der tiefsten Nacht ist überall Licht. Und: „Dadurch, dass der moderne Mensch auch tagsüber in geschlossenen Räumen arbeitet, bekommt er nicht mehr genügend Licht: Während selbst an einem grauen verregneten Tag draußen noch 150.000 Lux sind, bekommt der Büroarbeiter an einem sonnigen Tag maximal 4000 Lux ab.“
Das interessiert WiWo-Leser heute besonders
So schummels sich Ikea, Karstadt & Co. am Lockdown vorbei
Warum VW-Händler keine E-Autos verkaufen wollen
„Ich dachte, der KGB hätte mich entführt“
Was heute wichtig ist, lesen Sie hier
Also kann eine Hell-Dunkel-Kur helfen, die innere Uhr auszutricksen?
Zwar wird aus einem Frühtyp nie ein Spätaufsteher und umgekehrt, aber da wir ohnehin schon täglich in unseren Tag- und Nachtrhythmus hinein pfuschen, könnte man zumindest versuchen, früher müde zu werden, in dem man morgens für Licht und abends für Dunkelheit sorgt. Da wir Tageslicht und kein künstliches Licht brauchen, um auf Touren zu kommen, heißt das allerdings: mit Hund, Kind oder der Lieblingsmusik raus vor die Tür und ab um den Block – zu Fuß, nicht im Auto.
Im Herbst und Winter lohnt das vor neun Uhr morgens natürlich nicht viel, aber spätestens in der Mittagspause kann man sich eine kurze Lichtdusche genehmigen. Und abends gilt es, das Licht – insbesondere das künstliche Licht von Smartphone, Tablet & Co. – zu verbannen und die Augen müde werden zu lassen. Und zwar vor Mitternacht.