Lösung im Trassenstreit? Neue Stromnetze sollen an Autobahnen entlangführen

Die Bürger wehren sich gegen den Ausbau der Stromnetze. Ein Ingenieur präsentiert nun eine unkonventionelle Lösung.

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Strom aus erneuerbaren Quellen? Das finden fast alle gut. Aber neue Hochspannungsleitungen, mit denen die zeitweise gewaltigen Mengen an Windenergie von Nord nach Süd transportiert werden können? Das finden fast alle schlecht.

Jeden Meter der geplanten Trassen müssen die Netzbetreiber gegen rebellierende Bürger hart erkämpfen. Es hagelt nur so von Einsprüchen und auch die bayerische Landespolitik kämpft inzwischen gegen den Netzausbau.

Stromautobahnen auf die AutobahnWolfgang Hohmann, emeritierter Professor für Ingenieurwissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt, glaubt zu wissen, wie sich die neuen Hochspannungsleitungen – bis 2022 sollen 2800 Kilometer gebaut werden – problemlos durchsetzen lassen. Er will die dazu nötigen Masten auf den Mittelstreifen von Autobahnen errichten. Die gehören dem Bund, und der wird wohl kaum seine eigene Energiewende gefährden, so sein Kalkül.

Mit den heute üblichen Gittermasten lässt sich das allerdings nicht machen. Die messen am Fuß zwischen 10 und 14 Meter im Quadrat – so breit ist kein Mittelstreifen. Hohmann nimmt deshalb für sein Projekt als Vorbild die Masten der Windanlagenbauer.

Die werden aus Stahlbeton segmentweise vorgefertigt, per Tieflader zu den Baustellen gebracht und montiert. Er schlägt nur eine Änderung vor: Sie sollten nicht rund, sondern oval sein, um mehr Standsicherheit zu haben.

Tatsächlich gibt es bereits solche sogenannten Kompaktmasten, die der in Deutschland und den Niederlanden tätige Netzbetreiber TenneT in den Niederlanden einsetzt, genannt WinTrack. Sie bestehen aus zwei Pylonen, zwischen denen die Seile hängen, wie Experten die Leitungen nennen.

Pilotprojekt im NordenFür den Einsatz in Deutschland lässt der Netzbetreiber eine noch schlankere Version entwickeln, die erstmals im Zuge der so genannten Westküstenleitung eingesetzt werden sollen. Sie verbindet Niebüll und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein, ist 150 Kilometer lang und für eine Spannung von 380.000 Volt ausgelegt.

Die beiden Pylone für den Mittelstreifen verschmelzen in Wolfgang Hohmanns Szenario aber miteinander – übrig bleibt nur ein einzelner Mast wie bei einem Windrad. Der Strom wird per HGÜ-Leitung übertragen.

Autofahrer müssen sich laut Hohmann aber keine Sorgen machen. Denn die Gleispannung erzeuge außer beim Ein- oder ausschalten der Übertragung keine elektromagnetischen Felder, vor denen sich selbst ernannte "elektrosensible" Menschen fürchten.

Mit den Bauvorgaben in KonfliktAuch an Unglücksfälle hat Hohmann gedacht. Sollte ein Leiter mal brechen – was extrem selten vorkommt – und auf die Autobahn krachen, würde der Strom innerhalb des Bruchteils einer Sekunde abgeschaltet. Sensoren würden die Stabilität der Leitung messen und bei Gefahr eine Abschaltung auslösen.

Die Sache hat nur einen Haken: Nach Paragraph 9 des Bundesfernstraßengesetzes sind Hochbauten, die näher als 40 Meter an Autobahnen heranreichen, strikt verboten, erst recht Masten auf dem Mittelstreifen. Für Hohmann kein Problem: „Dann müssen eben die Vorschriften geändert werden.“

Die Netzbetreiber und die Autobahnverwaltungen können sich für das Konzept bisher nicht begeistern. In der Bauphase müssten zumindest die beiden äußeren Spuren für den Verkehr komplett gesperrt werden, ebenso bei Wartungs- und Reparaturarbeiten.

Das würde die Unfallgefahr erhöhen und hätte volkswirtschaftlich unerwünschte Staus zur Folge.

Auch ein weiteres Problem kann Hohmann nicht lösen: die Querung von Tunneln. „Am besten wäre es, die Leitungen dort oberirdisch zu führen“, sagt er, also über den Berg statt unten durch. Ebenso könne die Umwandlung von Dreh- in Gleichstrom nur an Autobahnkruezen erfolgen, wie Hohmann sagt.

Im Detail mag der Vorschlag von Hohmann noch verbesserungswürdig sein - aber unkonventionelle Ideen können bei den festgefahrenen Verhandlungen über die neuen Stromtrassen quer durch Deutschland nur helfen.

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass die geplanten Leitungen zwei Masten hätten. Tatsächlich ist es nur ein Mast, dessen Leitungen nicht über die Fahrbahn reichen.

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