Weltklimabericht Die (Un)Gewissheiten der Klimaforschung

Hundertprozentige Gewissheiten über die Ursachen des Klimawandels können Forscher derzeit nicht versprechen, allenfalls 95 Prozent. Für einige Menschen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs ist das keineswegs ausreichend.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen dem, was Wissenschaftler als sicher bezeichnen und dem, was die Öffentlichkeit darunter versteht. Quelle: dpa

Washington Renommierte Wissenschaftler diverser Fachrichtungen sind überzeugt: Die Klimaerwärmung ist eine reale, vom Menschen verursachte Bedrohung. Aber wie sicher sind sie wirklich? Die Forscher nennen eine Zahl, aber die lautet nicht 100, sondern nur 95 Prozent. Und für einige Menschen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs ist das nicht genug.

Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen dem, was Wissenschaftler als sicher bezeichnen und dem, was die Öffentlichkeit darunter versteht – sagen Wissenschaftler. Diese unterschiedliche Wahrnehmung ist von großer Bedeutung, wenn Klimaforscher am Freitag in Stockholm den Weltklimabericht vorstellen. Darin werden sie es als „extrem wahrscheinlich“ bezeichnen, dass der Mensch für einen Großteil des weltweiten Temperaturanstiegs seit 1951 verantwortlich ist.

„Extrem wahrscheinlich“ bedeutet, dass sie zu 95 Prozent sicher sind, wie es in den Fußnoten heißt. Ein beteiligter Klimaforscher sagte sogar, der Rat könne in einigen Abschnitten sogar die Formulierung „praktisch sicher“ verwenden, was einer Sicherheit von 99 Prozent entspricht.

Einige Skeptiker der Klimaerwärmung blicken spottend auf die 95 Prozent Gewissheit. Schließlich würde auch kein Passagier an Bord eines Flugzeugs gehen, das nur mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit sicher landen würde. In der Wissenschaft jedoch entspricht eine Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent den höchsten Ansprüchen.

„Unsicherheit wohnt jedem wissenschaftlichen Urteil inne“, erklärt der Epidemiologe Thomas Burke von der Johns-Hopkins-Universität. Sein Kollege George Gray vom Zentrum für Risikoforschung und Öffentliche Gesundheit der George-Washington-Universität erklärt, die Forderung nach einem absoluten Beweis sei auf manchen Gebieten nicht sinnvoll. „Eine Gruppe von Menschen scheint zu glauben, wenn Wissenschaftler nicht sicher sind, sollten wir nichts tun“, sagt er. „Das ist verrückt. Wir sind unsicher und kaufen Versicherungen.“


So sicher wie Zigaretten tödlich sind

Die Nachrichtenagentur AP hat Forscher diverser Fachrichtungen befragt, was in der wissenschaftlichen Welt gewisser ist als der vom Menschen verursachte Klimawandel, was weniger gewiss und was etwa ähnlich sicher feststeht. Sie nannten die Schwerkraft als ein gutes Beispiel für etwas, das mit größerer Sicherheit feststeht als der Klimawandel.

Der Klimawandel „ist nicht so sicher, wie wenn man einen Stein fallen lässt und er auf den Boden fällt“, sagt der Klimaforscher Michael Oppenheimer von der Princeton-Universität. „Er ist nicht sicher, aber nah dran.“ Der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Ralph Cicerone, und mehr als ein Dutzend weitere befragte Forscher geben an, dass die Wissenschaft vom Klimawandel in etwa so sehr überzeugt sei wie davon, dass Zigaretten tödlich seien.

„Was wir wissen, widerspricht keinem Mechanismus, den wir vom Krebs kennen“, erklärt Cicerone, ein Klimaforscher. Wenn man noch „eine hohe Übereinstimmung“ unter den Wissenschaftlern über die Schäden durch Tabakrauch hinzunehme, komme das dem Stand der Wissenschaft zum Klimawandel nahe.

Aber auch die beste Studie kann Fehler aufweisen, weil nichts perfekt ist. Dies sei die Strategie der Tabaklobby und der Klimaskeptiker, sagt der Mediziner Stanton Glantz von der Universität von Kalifornien.

Sein Kollege Gray erklärt, dass der Wert von  95 Prozent Sicherheit, die vom Klimarat wohl angegeben wird, nicht realistisch sei. Unabhängig von ihrem Forschungsgebiet tendierten Wissenschaftler dazu, ihre Gewissheit zu überschätzen.

Andere Experten bezeichnen dagegen die 95 Prozent als zu niedrigen Wert. Der Geowissenschaftler Jeff Severinghaus von der Scripps-Institution für Meeresforschung sagt, dass die Wissenschaftler dank des Einsatzes radioaktiver Isotope zu mehr als 99 Prozent sicher seien, dass ein Großteil des Kohlenstoffs in der Luft auf den Menschen zurückzuführen sei. Doch auch bei ihm bleibt jenes eine Prozent übrig, das Klimaskeptiker in ihren Überzeugungen bestärken dürfte.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%