Kaviar aus der Pampa

Unternehmen+Management Wie ein Unternehmerclan aus Uruguay eine der tradi-tionsreichsten Luxusbranchen umkrempeln will – den internationalen Handel mit Kaviar . 

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Die Augenbrauen sind gepierct, die Oversize-Jeans hängen tief in den Hüften, die Sonnenbrille über dem Dreitagebart ist eine teure Surfmarke – dieser 32-Jährige will eine der traditionsreichsten Luxusbranchen revolutionieren? „Wenn ich die Kunden in Europa oder den USA besuche, sind die zuerst überrascht“, sagt Javier Alcalde gelassen, „aber irgendwann überzeugen wir sie immer mit unserer Qualität.“ 

Es geht um Kaviar, eines der letzten wirklich luxuriösen Kulinaria, die sich dem Trend zur Profanisierung widersetzen. Anders als Champagner, geräucherter Lachs oder belgische Pralinen, die inzwischen bei Aldi gelandet sind, wird Kaviar immer exklusiver: Immer weniger Menschen zahlen immer mehr für die unbefruchteten Eier des Störs. Mehr als zwei Euro kostet das Gramm des großkörnigen Beluga-Kaviars – wenn er überhaupt zu haben ist und nicht gerade mal aus dem Angebot verschwunden ist wie in diesen Wochen. Ein Gramm ist nicht viel. Für eine Vorspeise mit ein bisschen Kaviar rechnen Köche eine Unze pro Person, also 28,4 Gramm, für zwei, drei Häppchen. Im Berliner KaDeWe kostet das Döschen rund hundert Euro. 

Javier und seine drei Brüder sind dabei, das weltweite Kaviar-Geschäft auf den Kopf stellen. Denn dem Familienkonzern aus Uruguay ist es als erstem gelungen, in der südlichen Hemisphäre sibirische Störe zu züchten und Kaviar zu produzieren. 1,5 Tonnen waren es 2005 bereits. Inzwischen haben einige große Händler den Ossietra-Kaviar unter der Marke Black River Sturgeons aus Uruguay im Angebot. Der angesehene Anbieter Marky’s Caviar urteilt anerkennend über das Produkt aus Südamerika, es sei „vergleichbar mit dem besten Ossietra aus dem Kaspischen Meer“. » 

Doch der uruguayische Clan hat sich höhere Ziele gesetzt: Spätestens von 2008 an will er der weltgrößte Produzent von Zuchtkaviar sein und dann 15 Tonnen pro Jahr produzieren. Dafür wurde kürzlich ein Labyrinth an neuen Fischbecken im Landesinnern von Uruguay in Betrieb genommen. Weltweit werden heute rund zehn Tonnen Zuchtkaviar verkauft. Die Alcalde-Familie will erreichen, was den chilenischen Lachsproduzenten gelungen ist: weltweit die Nummer eins zu werden mit einem Produkt, das in ihrer Region vorher gar nicht existierte, sich aber hervorragend auf der südlichen Halbkugel züchten lässt. 

Das Timing der Brüder aus Uruguay ist perfekt: Denn der Kaviarmarkt weltweit ist aus den Fugen geraten. Im jahrhundertealten Geschäft mit den Luxus-Eiern funktioniert nichts mehr wie früher. Früher, das war, als Russland und später auch der Iran fast ein ganzes Jahrhundert lang 90 Prozent des weltweiten Kaviars anboten. Ob Zaren-aristokratie oder Bolschewiken-Regime, ob Pfauenthron oder Ajatollahstaat – Russland und Iran produzierten zuverlässig Beluga-, Sewruga- oder Ossietra-Kaviar. Den hatte die russische Aristokratie im Pariser Exil im Westen eingeführt, wo er rasch zur weltweit begehrten Luxuskulinarie wurde. Der Hotelier Charles Ritz verbreitete den Ruhm der schwarzen Fischeier in den USA, indem er in den Restaurants seiner Kette weltweit Kaviargerichte kredenzte. 

Der Siegeszug des Kaviars war vor allem möglich, weil Produktion und Handel weit gehend geregelt stattfanden. In Russland kontrollierte der Staat die Kaviarproduktion schon unter Zar Peter dem Großen. In der Nachkriegszeit besaßen die staatliche Caviar Caspian Balyk Industry Association (CIBPO) in der Sowjetunion und Shilat im Iran das Produktionsmonopol. Russische Immigrantenfamilien wie Petrossian in Paris oder Romanow in New York dominierten verschwiegen das Handelsmonopol über Generationen. Die größten Einzelkunden waren die Fluggesellschaften, bei denen die schwarzen Fischeier für die Erste-Klasse-Passagiere zum Standard gehörten. 

Doch mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion drängten neue Produzenten auf den Markt. Aserbaidschan, Turkmenistan und Kasachstan wollen ihren Teil am Kuchen. Das russische Staatsunternehmen CIBPO existiert nicht mehr, dafür hat der Schwarzhandel die Produktion fest in der Hand: Überfischung, Wilderei, keine Schonzeiten mehr, keine Millionen von gezüchteten Stör-Setzlingen mehr, die jährlich in den Flüssen ausgesetzt werden, um die Überfischung zu verhindern. Kein Verbot von Schleppnetzen, um die Nährgründe der Störe zu erhalten. Die Folge: Nach einer kurzen Phase des Kaviar-Überangebots in den Achtzigerjahren schrumpfte die Produktion auf einen Bruchteil ihres früheren Volumens: 1985 überschwemmten noch 3000 Tonnen den Weltmarkt. 2004 wurden rund 150 Tonnen offiziell gehandelt, im vergangenen Jahr nur noch 75 Tonnen. 

Beluga-Kaviar darf in die USA nicht mehr eingeführt werden, weil die Störe vom Aussterben bedroht sind. Russland exportiert inzwischen gar nicht mehr. Niemand weiß, wie viel Kaviar weltweit verkauft wird. Die Food and Agriculture Organization (FAO) der Uno schätzt, dass etwa fünfmal mehr Kaviar schwarz als offiziell gehandelt wird. In Europa haben die Preise für Beluga-Kaviar seit Mitte 2005 um ein Drittel zugelegt. Der Durchschnittspreis für den preiswerteren Ossietra-Kaviar hat sich von 700 Dollar auf rund 1500 Dollar je Kilo eingependelt. Jetzt hat die Genfer Uno-Artenschutzbehörde die Reißleine gezogen: Von sofort an ist der Handel mit Kaviar von wild lebenden Stören international untersagt. Die Produzentenländer sollen sich auf Quoten einigen und bekannt geben, wie viel Störe noch in ihren Wässern leben. 

Die Folge: Künstlich gezüchteter Kaviar ist plötzlich wirtschaftlich interessant geworden. 14 große Züchter gibt es weltweit. Frankreich, Italien und die USA sind die größten Produzenten von Farm-Kaviar. „Es besteht kein Zweifel, dass die Zukunft des Kaviars in den Farmen entschieden wird“, sagt Stör-Experte Joel van Eenennaam von der University of California. 

Davon hörte Senior Walter Alcalde bereits bei seinen Kontakten mit den russischen Kapitänen, die zu Sowjetzeiten Montevideo als Stützpunkt für die Südatlantikflotte nutzten. Alcalde, der Schiffe mit zollfreien Waren versorgte und deren Fänge kaufte, kam als einer der wenigen Uruguayer gut mit den Russen zurecht: Er hatte in den Sechzigerjahren die Kommunisten im Land unterstützt und musste dafür während der Militärdiktatur zehn Jahre ins Exil nach Costa Rica flüchten. Ihm fiel auf, dass seine russischen Freunde bei ihren Gelagen immer seltener die blau-goldenen Dosen aufmachten. Irgendwann zeigte ihm ein russischer Wissenschaftler eine geheime Satellitenuntersuchung der Russen, wonach es außerhalb des Kaspischen Meeres nur ganz wenige geeignete Gebiete zur Störzucht gebe. Eines davon war Uruguay. 

Alcalde Senior sah seine Chance: Jahrelang suchte er die menschenleere uruguayische Pampa nach sauberen Flüssen ab, bis er am Río Negro fündig wurde. Im zerfallenden Sowjetreich kaufte er spottbillig eine komplette Brutanlage – vom Rüttelgestell zur künstlichen Befruchtung der Eier über fast hundert Zuchtbecken aus Fiberglas bis zum dieselgetriebenen Fischerkahn, um die im Fluss schwimmenden Käfige zu kontrollieren. Die Techniker warb er gleich mit ab. Seitdem wacht der russische Störexperte Michail Rogow über die Anlage, die drei Autostunden nördlich von Montevideo liegt. Wo sonst Gauchos zu Pferd Rinderherden zusammentreiben, weist Rogow in gebrochenem Spanisch die 24 Arbeiter an. 

Das Know-how ist wichtig. Denn die Fischeier müssen schnell verarbeitet werden, sonst oxidieren sie und verlieren ihren Spiegel, wie Experten den Glanz des frischen Kaviars nennen. Die empfindlichen Störe sollen möglichst wenig gestresst werden, wenn sie aus den Tanks geholt werden, weil das die Eier beeinträchtigen könnte. 

Nur betäubt mit einem Stockhieb auf den Hinterkopf wird dem noch lebenden Störweibchen der Bauch aufgeschlitzt und die Eierstöcke entnommen. Der Kaviarmeister sortiert die Eier verschiedener Fische dann nach Färbung, Größe und Qualität. Vorsichtig werden die Eier durch ein feinmaschiges Sieb gerieben, sodass die Membran zurückbleibt, die Eier aber nicht platzen. Gewaschen und gesalzen werden die Eier in Dosen oder Gläser geschichtet, wo sie auf ihre volle Größe anschwellen. Gekühlt um den Gefrierpunkt – aber nicht tiefgefroren – hält der Kaviar bis zu sechs Monate. 

Nirgendwo lässt sich Kaviar so konkurrenzfähig produzieren wie in Uruguay. So wird am Río Negro das Geschlecht der Störe früh erkannt – schon nach 18 Monaten können die unproduktiven Männchen aussortiert werden. Nach nur vier Jahren sind die Störweibchen südlich des Äquators geschlechtsreif. Die Durchschnittstemperatur von 19 Grad ist perfekt für das Wachstum der Fische. In Russland dauert das mindestens zwölf Jahre, in europäischen Zuchtanlagen acht Jahre. 

Die niedrigen Produktionskosten sind wichtig, denn trotz der steigenden Tendenz werden Kaviarpreise immer schwanken. „Wir können auch mit Kilopreisen von 500 Dollar noch mit Gewinn arbeiten“, sagt Javier Alcalde. Sein nächstes Ziel: Beluga-Störe züchten, die im Kaspischen Meer fast am Aussterben sind. „Wir verhandeln schon mit russischen Eierproduzenten.“ 

Vielleicht können dann seine Enkel den teuersten Kaviar der Welt ernten: Almas, persisch für Diamant. Weiß-golden ist er und wird nur von Stören produziert, die mindestens 60 Jahre alt sind. Früher war der Almas für Zaren und Päpste reserviert, heute wird er in goldenen Cartier-Dosen verkauft. Die Warteliste ist lang – trotz des Preises von etwa 30 000 Euro pro Kilo. 

alexander.busch@wiwo.de | Montevideo 

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