Kommentar Warum die ARD die Pressevielfalt zerstört

Acht Verlage reichten eine Wettbewerbsklage gegen ARD und NDR ein. Grund: Die Tagesschau-App, die mit ihrer Gratis-Strategie die Vielfalt der deutschen Presselandschaft gefährdet. EIN GASTKOMMENTAR VON CHRISTOPH KEESE

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Die Tagesschau-App der ARD auf einem iPad. Quelle: handelsblatt.com

Klagen vor einem Gericht sollte nur, wem kein anderes Mittel mehr bleibt und wer alle anderen Wege abgeschritten hat. In dieser Lage befinden sich die acht Verlage, die beim Landgericht Köln eine Wettbewerbsklage gegen ARD und NDR eingereicht haben. Sie führen einen Streit, den sie lieber vermieden hätten, der wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung für die Pressebranche und darüber hinaus jetzt aber geführt werden muss. Er folgt langen Verhandlungen um eine gütliche Einigung, die leider fruchtlos geblieben sind. Bis zum Ende der gesetzlichen Klagefrist hatten die Verlage ergebnislos auf ein Entgegenkommen der öffentlich-rechtlichen Sender gewartet.

Worum geht es? ARD und NDR betreiben eine textbetonte Ausgabe der „Tagesschau“, die privaten Nachrichtenangeboten zum Verwechseln ähnlich sieht. Sie wird in Apples AppStore kostenlos angeboten und wurde seit ihrem Erscheinen vor einem halben Jahr 1,7 Millionen Mal auf iPhones und iPads heruntergeladen, finanziert durch Rundfunkgebühren. Nach der jüngsten Reform muss demnächst jeder Haushalt Gebühren bezahlen, unabhängig davon, ob er die Angebote nutzt oder ein Fernsehgerät besitzt. Nur ein kleiner Bruchteil der Gebührenzahler verfügt über eines der teuren Lesegeräte von Apple. Die Gebührenfinanzierung der „Tagesschau“-App bedeutet, dass eine große Mehrheit ungefragt gezwungen wird, Spezialangebote für die Happy Few zu finanzieren, die sich ein Gerät in der Preisklasse von 600 Euro und mehr leisten können.

Auf demselben elektronischen Marktplatz bieten Verlage, darunter die Axel Springer AG, App-Ausgaben ihrer Zeitungen an, die nicht minder vorzüglich gemacht sind als die „Tagesschau“. „Die Welt“ zum Beispiel kostet dort im Abonnement 9,99 Euro für 30 Tage, 25,99 Euro für drei Monate und 89,99 Euro für ein Jahr. Allerdings kommt keines der privaten Angebote mengenmäßig gegen die ARD an. Durch ihre Gratis-Strategie hat die „Tagesschau“ mühelos die Marktführerschaft erreicht. Überdies drückt sie den erzielbaren Preis nach unten. Wer auf einem Markt gegen null Euro anzutreten hat und es trotzdem wagt, Geld zu verlangen, dessen Preis sinkt früher oder später ebenfalls gegen null. Da kann er so gut sein, wie er will.

Diese Form von Wettbewerb verstößt gegen geltendes Recht. Der Rundfunkstaatsvertrag schreibt hinsichtlich der öffentlichen Internetangebote ausdrücklich vor: „Nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote sind nicht zulässig.“ Nach dem Willen des Gesetzgebers dürfen ARD und ZDF keine Zeitungen und Zeitschriften herausgeben, weder gedruckt noch elektronisch. Dies hat in den vergangenen Jahrzehnten erheblich dazu beigetragen, dass sich in Deutschland eine reichhaltige und vielfältige Presselandschaft mit Weltgeltung entwickelte.

Ähnliches soll in der Zukunft bei digitalen Medien geschehen. ARD und ZDF ist aufgetragen, audiovisuelle Angebote zu schaffen, nicht aber, die Presse frontal anzugreifen. Genau dies geschieht nun aber. Die „Tagesschau“-App liefert nichts anderes als eine elektronische Zeitung, minutenaktuell gemacht, immer auf dem neuesten Stand, ohne erkennbaren Bezug zu konkreten Sendungen.

Verlage suchen im Internet nach neuen Geschäftsmodellen

Über den Rechtsbruch der „Tagesschau“ dürfen Verlage nicht einfach hinwegsehen. Er markiert einen Wendepunkt. Wie jede andere Branche müssen Verlage im Internet neue Geschäftsmodelle finden. Sie haben kein Anrecht auf gesetzlichen Schutz traditioneller Modelle, und sie erheben auch keinen Anspruch darauf. Sie stellen sich dem Wandel und Bejahen die Schumpeter’sche Zerstörung. Das Internet bietet ihnen neben existenziellen Herausforderungen auch große Chancen.

Worauf die Privatwirtschaft aber Anspruch erheben kann, ist die Zurückhaltung öffentlicher Unternehmen besonders auf neuen Märkten. Für die Presse ist entscheidend, dass die Finanzierung von freiem Qualitätsjournalismus nicht durch unerlaubten Wettbewerb untergraben wird. Es gibt aus guten Gründen keine steuerfinanzierten Handys, die bei Saturn verschenkt, oder Elektromobile, die auf Kosten der Bundeskasse gratis verteilt werden. Neue Märkte sind nicht zu erschließen, wenn der Staat es seinen Institutionen gestattet, die Regale mit Geschenken zu beladen. Genau hier verläuft die Grenze zwischen Marktwirtschaft und ihrem kollektivistischen Gegenteil.

Aus gutem Grund genießt der öffentliche Rundfunk besonderen Schutz. Er nimmt eine unverzichtbare Aufgabe wahr. Ebensolchen Schutz aber verdient die freie, staatsferne Presse. Die Legitimität von ARD und ZDF endet da, wo Vielfalt zerstört wird statt geschaffen. Es besteht kein Bedarf für staatliche Intervention im AppStore. Zahlen ist auch im Interesse des Publikums – Qualität hat ihren Preis.Die freie Presse bringt Vielfalt und Qualität hervor, so wie sie es auf Papier seit Jahrzehnten tut. Mehr als acht Milliarden Euro Jahresbudget der öffentlichen Sender zerrütten den entstehenden unabhängigen Journalismus, wenn sie ungebremst ins Internet vordringen. Apples AppStore ist der derzeit wichtigste Marktplatz für Bezahlinhalte im Netz. Hier wird entschieden, ob öffentliche Medien die freie Presse verdrängen dürfen oder ob sie ihr Raum zur Entfaltung lassen müssen.

Der Autor ist Konzerngeschäftsführer Public Affairs der Axel Springer AG. Sie erreichen ihn unter: gastautor@handelsblatt.com

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