So gelöst und fröhlich hat man BMW-Chef Norbert Reithofer selten erlebt. Auf dem Genfer Autosalon ruft er den Journalisten lachend ein "Hallo, wie geht es Ihnen?" zu. Und nach dem eigenen Befinden gefragt, entgegnet er: "Jede Woche besser."
Am Mittwoch tritt Reithofer zum letzten Mal vor die versammelte Wirtschaftspresse, um die Jahresbilanz des Autokonzerns vorzustellen. Der operative Gewinn vor Steuern liegt bei 8,7 Milliarden Euro – so hoch wie noch nie in der 99-jährigen Unternehmensgeschichte.
Trotz der guten Zahlen: Reithofer war nie ein Mann der großen Auftritte. Die Jahrespressekonferenz ist für ihn künftig ein weiterer öffentlicher Termin, den sich der freundliche und zurückhaltende Manager sparen kann. Denn bei der Hauptversammlung am 13. Mai wird er aus dem Vorstand in den Aufsichtsrat wechseln.
Die wichtigsten Kennzahlen des BMW-Geschäftsjahres 2014
2014: 80,401 Milliarden Euro
2013: 76,059 Milliarden Euro
Quelle: BMW
2014: 5,817 Milliarden Euro
2013: 5,329 Milliarden Euro
2014: 8,707 Milliarden Euro
2013: 7,893 Milliarden Euro
2014: keine Angabe
2013: 9,4 Prozent
2014: 2,118 Millionen Fahrzeuge
2013: 1,964 Millionen Fahrzeuge
2014: 116.324 Angestellte
2013: 110.351 Angestellte
2014: 41.252 Euro
2012: 40.039 Euro
Quelle: CAR-Institut
Den Chefposten übernimmt Harald Krüger, wie Reithofer vor dessen Berufung an die Konzernspitze BMW-Produktionsvorstand. Seinem Nachfolger hinterlässt Reithofer reichlich Arbeit, aber einen aufgeräumten Schreibtisch. BMW steht gut da, soll aber auch noch 2020 der Oberklasse-Hersteller Nummer 1 sein und die Rivalen Daimler und Audi auf Distanz halten. Drängende Themen wie alternative Antriebe und die fortschreitende Digitalisierung dürften Krüger dabei täglich auf Trab halten.
Reithofer brachte BMW sicher durch Krisen
Die Freude auf den baldigen Rückzug aus dem Tagesgeschäft ist dem sonst so zurückhaltenden BMW-Chef ins Gesicht geschrieben. Achteinhalb Jahre stand er den Bayerischen Motorenwerken vor. "In der ganzen Zeit war kein normales Jahr dabei", sagt er selbst. Die schwierigste Etappe kam mit der Finanzkrise 2007, als in Folge der Pleite der US-Bank Lehman Brothers der amerikanische Markt völlig zusammenbrach.
Schon vor der schweren Branchenkrise 2008 und 2009 begann Reithofer, BMW einen harten Sparkurs zu verordnen. Tausende Stellen wurden gestrichen, Milliarden Euro eingespart. Bei all der sonstigen Freundlichkeit eine harte Entscheidung, aber sie half BMW, alles glimpflich zu überstehen. Die Münchner schrieben unmittelbar nach der Krise wieder Milliardengewinne, während es Audi und Daimler deutlich schlechter ging.
Mit Grauen denkt Reithofer an 2011. Dem Jahr, in dem im japanischen Fukushima eine Tsunami-Welle ein Atomkraftwerk so schwer beschädigte, dass es zur Kernschmelze kam und das ganze Land über Monate in einen Ausnahmezustand versetzte. "Auf einen Schlag ist uns die komplette Zuliefererkette weggebrochen." Reithofer hat BMW erfolgreich durch all diese Probleme gesteuert. "Wir laufen momentan gut, aber man weiß nie was kommt", mahnt Reithofer.
BMW verkauft mehr Autos als Audi und Mercedes
Als er im September 2006 die BMW-Führung übernahm, notierte die Aktie bei rund 40 Euro, heute steht sie bei gut 112 Euro. Allein 2015 hat das Papier bereits um stolze 26 Prozent zugelegt. Würde er rückblickend etwas anders machen? Gab es Entscheidungen, die er heute bereut? "Da fällt mir spontan nichts ein", sagt Reithofer.
Der gebürtige Oberbayer hat BMW zur erfolgreichsten deutschen Premiumautomarke gemacht. Mit rund 1,8 Millionen verkauften Autos im Jahr 2014 hat BMW erneut Audi und Mercedes hinter sich gelassen. Die Ingolstädter konnten 1,74 Millionen Fahrzeuge absetzen, die Stuttgarter 1,65 Millionen Autos. Rechnet man bei BMW noch die Konzernmarken Mini und Rolls-Royce hinzu, kommen die Münchner auf 2,118 Millionen Fahrzeuge. Falsch war der Kurs des Managements sicher nicht: Es war der vierte Absatzrekord in Folge.
Reithofer blickt auf eine erfolgreiche Ära als Automanager zurück. Dabei galt er nie als Car-Guy, der mit dem sprichwörtlichen Benzin im Blut. Stattdessen genießt er in der Branche einen exzellenten Ruf als Produktionsexperte. In seine Zeit an der Spitze des Konzerns fallen einige Entscheidungen, die stark zum heutigen Erfolg von BMW beigetragen haben. Das SUV-Angebot wurde Stück für Stück ausgebaut und um auf den ersten Blick unlogische Zwitter-Modelle wie den X6 und dessen kleinen Bruder X4 ergänzt. Damit haben die Münchner Nischen geschaffen, die die Konkurrenz erst noch besetzen muss. BMW verkauft den X6 seit 2008, Mercedes bringt in diesem Jahr erst das GLE Coupé als Konkurrenten auf den Markt, einen Audi Q6 wird es wohl nicht vor 2018 geben.
Reithofer kennt keine Tabus – und fährt gut damit
Bei den Antrieben ist die BMW-Spitze um Reithofer konsequenter vorgegangen als jeder Wettbewerber. Lange galt der Reihensechszylinder als der BMW-Motor schlechthin. Diese Motoren, für ihren seidenweichen Lauf berühmt, passen aber nicht in das Downsizing-Konzept – für BMW-Romantiker ist in Reithofers Konzern kein Platz.
Saugmotoren sind längst aus dem Programm geflogen, in den meisten Modellen kommen Turbo-Vierzylinder zum Einsatz. Im Mini und der 1er-Baureihe läuft neuerdings ein 1,5-Liter-Dreizylinder. Immerhin in den großen Modellen hat der Reihensechser noch überlebt – wenn auch mit Turbolader.
Dass Reithofer in seinem Streben nach neuen Kunden und sparsameren Autos keine Tabus kennt, hat er spätestens mit dem 2er Active Tourer bewiesen. Erstens: es ist ein Van. Zweitens: er hat den bereits erwähnten Dreizylinder. Drittens: der Wagen hat Frontantrieb. Für einen Autobauer, der wie keine andere deutsche Marke für den Heckantrieb steht und sich die "Freude am Fahren" auf die Fahnen geschrieben hat, kam das einer Zäsur gleich.
Doch Reithofer ließ durchblicken: Er glaubt an das Konzept, auch die kommende Generation des Kompaktmodells 1er soll auf der Frontantriebs-Plattform aufbauen. Die ersten Zahlen untermauern Reithofers Kurs: In drei Monaten konnte BMW über 13.000 Vans verkaufen. Nicht das Niveau der 3er-Baureihe, aber auch kein Flop.
BMW i3 bleibt eine Wette auf die Zukunft
Zu seinen mutigsten Entscheidungen gehörte zweifellos der Bau der Elektro-Modelle i3 und i8. Nicht nur, dass BMW als erster eine eigene Elektro-Auto-Linie aus dem Boden stampfte. Reithofer brachte damit auch Carbon als neuen Leichtbau-Stoff in Serie. Dafür waren horrende Investitionen notwendig, die das Ergebnis belasteten.
Reithofer ließ sich davon nicht schrecken: "Wir bereiten damit den nächsten Wachstumsschritt vor und stärken die Zukunftsfähigkeit", sagt er. Wer die Mobilität von morgen bestimmen wolle, müsse heute in Vorleistung gehen. "Für diese Fahrzeuge braucht man einen langen Atem, mindestens zehn Jahre. Und wir brauchen den i3 auch, um die CO2-Ziele der EU-Kommission zu erreichen."
Bisher hat BMW über 16.000 Stück des Elektro-Flitzers i3 verkauft. Vom Supersportwagen i8 wurden rund 1700 Modelle ausgeliefert. Derzeit warten i3-Käufer drei bis vier Monate auf ihr Fahrzeug, i8-Kunden sogar bis zu acht.
Ob sich die riskante Carbon-und Elektro-Strategie letztendlich auszahlt? Für eine abschließende Bewertung ist es noch zu früh. Der neue Chef Harald Krüger, wie Reithofer zuvor Produktionsvorstand bei BMW, übernimmt mit der i-Familie eine Wette auf die Zukunft. Aber immerhin: BMW wagt, und wartet nicht einfach nur ab.
Bei seinen Aufgaben kann Krüger auf den Rat seines Vorgängers zählen – als Aufsichtsrat wird Reithofer weiter Einfluss auf den Kurs von BMW haben. Der Wechsel dürfte reibungslos über die Bühne gehen. Öffentlichen Streit oder Skandale gab es in der Ära Reithofer nicht. Der Manager genießt hohes Ansehen und gilt auch intern als uneitel. Das Scheinwerferlicht meidet er soweit wie möglich. Das schätzt nicht nur die Eigentümerfamilie Quandt, sondern auch die Arbeitnehmervertreter.
Seit Reithofer BMW von Rekord zu Rekord geführt hat, schmücken den studierten Maschinenbauer auch zahlreiche Titel und Ehrungen. Unter anderem bekam er 2010 den Bayerischen Verdienstorden, 2011 die Ehrendoktorwürde der TU München, wurde im selben Jahr zum Manager des Jahres gewählt und bekam 2012 das Ritterkreuz der französischen Ehrenlegion überreicht.
Über den Menschen Reithofer ist dagegen wenig bekannt. "Was machen Sie denn ab Mai mit Ihrer Freizeit?" will eine Journalistin wissen. "Das weiß ich noch gar nicht", entgegnet Reithofer. Man glaubt es dem 58-Jährigen aufs Wort.
Golf? "Ich spiele kein Golf". Vielleicht Segeln? Reithofer bleibt stumm. Er weiß es nicht. Und wirkt tatsächlich wie jemand, der es noch gar nicht fassen kann, dass er fortan nicht mehr von sechs Uhr morgens bis spät in die Nacht mit Haut und Haar im Dienste seines Arbeitgebers steht. "Ich war jetzt 15 Jahre Vorstand. Da führt es durchaus zu einem positiven Gefühl, wenn einem jetzt mehr Freiheit zur Verfügung steht", sagt er nur – und strahlt.