Da stehen sie wieder, Stoßstange an Stoßstange und Tür an Tür: Ein tiefschwarzer Porsche Macan hinter einem silbernen BMW X3. Auf der anderen Straßenseite hat sich ein Land Rover Evoque neben einem Audi Q3 in eine Parklücke gequetscht. Wie die Fahrer wieder hinter ihr Lenkrad kommen wollen ohne sich das Kreuzband zu reißen oder das Blech anderer Karossen kalt zu verformen, bleibt ihr Geheimnis.
Es ist Mittagszeit, die Sonne scheint. Viel Geduld braucht, wer jetzt noch entlang der Düsseldorfer Königsallee einen Parkplatz sucht. Im Jagdrevier der Power-ShopperInnen herrscht reger Verkehr, auch auf den Zubringerstraßen geht es nur im Schritttempo voran. Da ist es gut, die Übersicht zu behalten. Das ist sicherlich ein Grund, warum die Neuzulassungen von Cabriolets stetig sinken und die Nachfrage nach den so genannten SUV auch hierzulande boomt.
So sehr, dass die Hersteller kaum mit der Produktion hinterherkommen: Seit Jahresende wurden in Deutschland nach den Statistiken des Kraftfahrtbundesamtes rund 280.000 SUV und Geländewagen neu zugelassen, über 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der kompakten SUV wuchs allein im Mai mit fast 40 Prozent.
Der nagelneue und bereits vielgelobte VW Tiguan spielte dabei noch nicht einmal eine große Rolle – das Modell kam erst Ende April in den Handel und hat jetzt schon Lieferzeiten von bis zu sechs Monaten. Und das Modellangebot auch anderer Hersteller wird in den kommenden Monaten noch kräftig wachsen – um den neuen Seat Ateca, den neuen Peugeot 2008 und den neuen Ssangyong XLV (Verkaufsstart in diesen Tagen), den neuen Audi Q2 (Verkaufsstart im November), oder den Skoda Kodiac (Verkaufsstart im Frühjahr 2017). Vom Jaguar F-Pace ganz zu schweigen: Das erste SUV der britischen Edelmarke hat im Mai einen fulminanten Start hingelegt und mit über 3000 verkauften Fahrzeugen einen neuen Absatzrekord für ein neues Jaguar-Modell hingelegt.
Von der Landplage zum Großstadt-Phänomen
Nach neuen Cabriolets kräht in diesem Sommer kaum ein Mensch mehr, nach SUVs recken sich die Hälse – das verstehe, wer will. Die Fahrzeuggattung wurde einst erfunden, um Cowboys und Könige einigermaßen komfortabel durchs unwegsame Gelände und über schlechte Straße zu transportieren, allradgetrieben und idealerweise luftgefedert. Wie man aus dem Wilden Westen hört, ist die Zahl der Cowboys in den letzten 50 Jahren deutlich zurückgegangen. Und neue Königreiche sind auch nicht entstanden. Dafür sind die SUV erst zur Landplage geworden und breiten sich nun auch in den Städten immer stärker aus.
Der französische PSA-Konzern zog daraus jetzt die Konsequenzen: Den neuen Peugeot 2008 tauften sie kurzerhand zum „City-SUV“. Audi verkauft seinen neuen Q2 als „urbanen Typen mit Ecken und Kanten“. Renault kann sich noch nicht so recht entscheiden und bewirbt sein Modell Captur noch als „Crossover für Stadt und Gelände“ – während Opel in der Fernsehwerbung den neuen Mokka von Fußballtrainer Jürgen Klopp wie von einem Halbstarken vom Grandhotel ins nächste Rapsfeld steuern lässt. Rein zum Spaß natürlich.
Dabei werden die meisten SUV in ihrem ganzen Autoleben wahrscheinlich ausschließlich Asphalt unter den Rädern haben und Abenteuer allenfalls im Großstadtdschungel erleben, beim Kampf um Parklücken und bei der Durchquerung von Fußgängerfurten. Peugeot bietet den neuen 2008 wie Mazda den CX-3 deshalb ausschließlich mit Frontantrieb an. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar: Eine zusätzliche Antriebsachse würde nicht nur die Kosten deutlich erhöhen, sondern auch über die zu bewegenden Massen auch den Kraftstoffverbrauch weiter in die Höhe treiben.
Wegen der größeren Stirnflächen und entsprechend schlechter Luftwiderstandsbeiwerte sind SUV – auch in der kompakten Form – ohnehin keine Kostverächter. Wie Peugeot in seinem Prospekt freimütig einräumt, wurde der Durchschnittsverbrauch von 3,5 Liter Super beim 99 PS starken Spardiesel nur mit Hilfe besonders rollwiderstandsarmer Reifen und im beim amtlichen Messverfahren auf dem Rollenprüfstand erzielt – nach der Testfahrt durch Düsseldorf wies der Bordcomputer einen Wert von über 5 Litern aus.
Löblich ist neben dieser Ehrlichkeit auch das Bemühen der Franzosen, den Schadstoffausstoß der dieselgetriebenen Varianten so gering wie möglich zu halten – ganz ohne Thermofenster und andere Trickserien: Beide Diesel verfügen serienmäßig nicht nur über Rußpartikelfilter, sondern auch über ein aufwändiges SCR-System, bei dem durch die Einspritzung einer Harnstofflösung die Stickoxide im Abgas eliminiert werden. Der Tank für die AdBlue genannte Lösung fasst 17 Liter, so dass zwischen zwei Inspektionen im Normalfall nicht nachgetankt werden muss.
Statt Verbrauchs-Ökologie geht es um Verkaufs-Ökonomie
Aber Sparen steht bei der Fahrzeugkategorie ohnehin nicht im Fokus, statt um Verbrauchs-Ökologie geht es Verkaufs-Ökonomie: Schicke SUV versprechen deutlich höhere Renditen als schnöde Kompaktwagen konventioneller Bauart. So verkaufte Peugeot vom Vorgängermodell des 2008 immerhin 60 Prozent in der Topversion Allure – bei über 3000 Euro Mehrpreis gegenüber dem Basismodell Access bleibt trotz des größeres Ausstattungsumfangs doch ordentlich mehr in der Kasse des Autobauers hängen. Peugeots Weg aus den roten Zahlen konnte (unter anderem) mit solchen Verkaufsstrategien deutlich verkürzt werden.
Käufer von SUV gönnen sich was – und können sich meist auch etwas mehr leisten als andere: Das Autos ist für sie in der Regel mehr als ein reines Transportgefährt und dient in alter Manier gerne noch zur Steigerung des Selbstwertgefühls. Die erhabene Sitzposition erlaubt es, auf viele andere Verkehrsteilnehmer herabzuschauen. Und der mehr oder minder stark aufgetragene Abenteuerlook der Autos lässt die Insassen agiler erscheinen als sie oftmals tatsächlich sind: Das Durchschnittsalter der 2008-Käufer in Deutschland liegt nach Auskunft des Marketing „nahe 60 Jahren“.
Geriatrie trifft auf Orthopädie: Je höher der Fahrersitz, desto geringer schmerzt der Bandscheibenvorfall. Umso besser, wenn die Gehhilfe dann auch noch fesch gestylt ist, in grell-rotem Metalliclack glänzt oder mit roten Nähten an den Sitzen und Sicherheitsgurten Sportlichkeit signalisiert. Stärker nachgefragt, die Prognose wage ich mal, werden bei der Zielgruppe des Peugeot 2008 sicherlich andere Ausstattungen sein: die Rückfahrkamera und das aktive Parksystem mit Lenkautomatik. Beides hilft im Stadtverkehr teure Rempler zu vermeiden.
Wiewohl: Schwarze Radhaus-Auskleidungen und Aluminiumblenden signalisieren eine gewisse Robustheit, ja sogar Geländetauglichkeit. Aber bevor man mit den Stadt-SUV die City verlässt und zur Testfahrt über einen Acker oder durch einen Forst von der Straße abbiegt, sollte man vorsichtshalber die Rufnummer eines Abschleppdienstes im Handy abspeichern. Elektrische Fahrhilfen wie das Grip Control System im Peugeot können auf schneebedeckter Straße vielleicht das Anfahrverhalten modifizieren und die Antriebskräfte zwischen den Vorderrädern sensibel verteilen – aus dem tiefen Schlamm eines aufgewühlten Ackers aber rettet sich das Fahrzeug damit sicher nicht.
Aber was solls? Derartige Übungen kommen im Alltag eher selten vor. Dafür gibt es immer häufiger andere spektakuläre Aktionen zu sehen: Das Entern des SUV durch die Heckklappe. Denn die Städte sind auf den Ansturm der SUV schlecht vorbereitet – die Richtwerte für die Planung von Parktaschen stammen noch aus den 1970er Jahren.
Ein Mittelklasse-Modell von Mercedes war damals knapp 1,80 Meter breit. Heute kommt ein Mercedes GLE locker über zwei Meter. Da kann es schon mal eng werden, wenn gleich nebenan ein ähnliches Dickschiff von Audi parkt und der Leibesumfang des Fahrers ebenfalls XL-Format hat.
Und so erleben die Passanten an diesem Nachmittag einen Menschen, der erst auf Knopfdruck die (wow, elektrisch betriebene) Heckklappe öffnet, die Lehne der Rücksitzbank umklappt und dann auf allen Vieren in den mit Leder ausgeschlagenen Innenraum krabbelt, um hinter das Lenkrad zu gelangen. Ja, sie sind schon sportlich, die SUV-Fahrer. Manchmal aber auch nur notgedrungen.