Bankier David de Rothschild "Das ist der Todeskuss"

David de Rothschild führt die Privatbank seiner Familie in der sechsten Generation. Ein Gespräch über unqualifizierte Familienmitglieder und höhere Steuern für Reiche.

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David de Rothschild

Baron de Rothschild, Ihr Name, Ihre Familie gilt vielen als Inbegriff der Finanzwelt. In einer Zeit, in der Banker das Feindbild Nummer eins sind – schämen Sie sich, Banker zu sein?

De Rothschild: Nein, überhaupt nicht. Ich sehe nichts, womit wir bei Rothschild unserem Land, unseren Geschäftspartnern oder Mitarbeitern geschadet hätten. Auch wir machen Fehler, gewiss. Aber es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste, wenn ich morgens in den Spiegel schaue.

Was macht Sie da so sicher?

Als unsere französische Bank 1981 verstaatlicht wurde, mussten wir neu anfangen – und verzichten seitdem darauf, auf eigenes Risiko zu handeln, Kredite zu vergeben oder selbst hohe Kredite aufzunehmen. Wissen Sie, wenn Sie unter Ihrem eigenen Namen und mit Ihrem eigenen Geld arbeiten, wollen Sie nachts friedlich schlafen. Wir lassen daher vieles sein, was Universalbanken und andere Investmentbanken tun, und fokussieren uns stattdessen auf die Beratung von Familien, Firmen und Staaten sowie die Vermögensverwaltung.

Andere in Ihrer Branche waren weniger zurückhaltend. Mit der Folge, dass sie – anders als Rothschild – Staatsgeld brauchten und viele Bürger unter ihren Fehlern leiden. Stört Sie das nicht?

Ich verstehe die Kritik an meiner Branche. Viele Banker verdienen viel Geld, und einige von ihnen haben Fehler gemacht, die der Gesellschaft viel Ärger bereitet haben. In ihrer Pauschalität ist die Kritik aber stark übertrieben und gleicht daher einer Karikatur. Davon abgesehen, sehe ich mich als Teil der Bankenbranche, als Teil dieser Gemeinschaft, und es gilt, Solidarität mit ihr zu zeigen. Es ist daher nicht an mir, andere Banker zu be- oder verurteilen und mich von ihnen zu distanzieren. Das wäre feige. Weder schäme ich mich, noch bin ich stolz, Banker zu sein.

Wann ist Ihnen zum ersten Mal bewusst geworden, was es heißt, ein Rothschild zu sein?

Als ich auf das staatliche Lycée kam, da war ich 13 Jahre alt. Ich kam in die Klasse, und alle Schüler mussten ihren Namen nennen: Dupont, Dupont, Dupont – Rothschild. Ein Junge kam daraufhin zu mir und sagte: Ich nehme an, dein Block ist aus Banknoten gemacht!

Hat Sie das getroffen?

Es war traumatisch. Es sollte lustig sein, aber es war sarkastisch. Und wenn Sie 13 Jahre alt sind, ist das Letzte, was Sie wollen, sich wichtigzumachen. Insofern war es zeitweise durchaus auch eine Last, ein Rothschild zu sein. Allerdings misst man solchen Sachen nur als Kind oder Jugendlicher Bedeutung bei. Seit ich erwachsen bin, kümmert mich derlei nicht mehr.

Wollten Sie immer schon Banker werden?

Als Kind wollte ich Arzt werden. Dies hätte aber vieler Jahre des Studiums bedurft, und als ich heranwuchs, bekam ich Zweifel, dass ich dafür smart und tatkräftig genug war.

Bürgermeister in der Normandie

David de Rothschild im Jahr 2007 im Gespräch mit der Wirtschaftswoche

Bedauern Sie Ihre Entscheidung?

Nein, ich kompensiere das heute, indem ich mich auf dem Gebiet der Medizin engagiere. Ich bin Präsident einer französischen Stiftung, die sich mit psychischen Erkrankungen beschäftigt, und ich bin im Fundraising für ein internationales Forschungszentrum in Paris tätig, das sich mit Störungen des zentralen Nervensystems befasst. Ich bin davon überzeugt, dass es in der Neurologie und Psychiatrie in den nächsten 20 bis 30 Jahren enorme Durchbrüche geben wird, die das Leben der Menschen verändern werden. Und ich bin sehr davon überzeugt, dass man einen Teil seiner Zeit der Gesellschaft widmen muss.

Waren Sie deshalb von 1977 bis 1995 Bürgermeister von Pont-l’Évêque in der Normandie? Wie kamen Sie dazu?

Ich kenne diesen Ort, seit ich vier oder fünf Jahre alt war. Als Kind habe ich mit meiner Mutter dort gelebt, später bin ich im nahe gelegenen Deauville...

...an dessen Strand Merkel und Sarkozy Ende 2010 über den Euro diskutierten...

...in die Schule gegangen. Ich habe in der Gegend auch ein Anwesen, das ich häufig aufsuche. Ich habe mein ganzes Leben lang sehr viel Zeit dort verbracht, es ist das Herz meiner Heimat. Und als der damalige Bürgermeister – er war über 80 Jahre alt – aufhörte, suchten sie einen Kandidaten. Sie kamen zu mir. Ich wurde gewählt.

Wie sehen Sie diese Zeit heute?

Investmentbanking ist eine ziemlich elitäre Angelegenheit. Eine Stadt mit 4.000 Einwohnern zu führen bedeutet hingegen, sich mit den Dingen des Alltags zu befassen. Mit Schulen, Sport und Wohnungen. In der Rezession 1992/93 kamen jeden Freitagnachmittag Menschen zu mir: Monsieur le Maire, ich kann meine Stromrechnung nicht bezahlen. Monsieur le Maire, mein Mann ist Polizist, er hat eine Stelle 300 Kilometer von hier bekommen, ich aber finde dort keinen Job, können Sie mir helfen?

Hat Sie diese Erfahrung geprägt?

Wenn Sie es richtig angehen, ist das eine ehrbare, nützliche Aufgabe. Manchmal sagt man mir, ich würde in einer Sphäre leben weitab von den Problemen der einfachen Leute – ich weiß aber wahrscheinlich mehr über die Probleme einfacher Leute als viele, die in ihrem Leben nur ihrem Geschäft nachgegangen sind. Es war eine harte Zeit, weil ich parallel unsere französische Bank wieder aufbaute, aber es war großartig.

Was bedeutet Ihnen Ihre Familie?

Wissen Sie, es gibt im Französischen einen Ausdruck, nombrilistes ...

...für Menschen, die Nabelschau betreiben.

Genau. So bin ich nicht erzogen worden. In der Minute, in der Sie glauben, Sie gehören zu einer Art königlichen Familie, haben Sie ein Problem. Was ich aber empfinde, ist eine Pflicht gegenüber der Institution. Für mich geht es um die Kontinuität der Familie. Sind 100 Familienmitglieder in einer Firma tätig, ist sie nicht mehr zu beherrschen – ist aber kein Familienmitglied in der Firma tätig, ist es keine Familienfirma mehr. Für die Bank ist das Engagement der Rothschilds wichtig, auch um sich von anderen Banken abzuheben. Allerdings müssen Sie auf die Qualifikation achten. Jemanden, der nicht dafür geeignet ist, an die Spitze zu setzen, weil er ein Familienmitglied ist, das führt ins Desaster. Das ist der Todeskuss.

Familientradition der Bank

David de Rothschild

Sie sind der Ur-Ur-Ur-Enkel von Mayer Amschel Rothschild, dem Begründer der Bank. Besitzen Sie etwas, das Sie mit ihm verbindet?

Unsere neue Zentrale in London beherbergt das Archiv der Familie Rothschild – das vermutlich beste seiner Art. Reist ein Banker nach China oder Brasilien, zeigt ihm das Archiv zum Beispiel, wann der erste Rothschild dorthin gereist ist. Das Archiv wird auch große Teile zu einer Ausstellung beitragen, die im Sommer dieses Jahres in der Bibliothèque Nationale de France eröffnet – eine Retrospektive über James de Rothschild, den Begründer der französischen Linie.

Wie wichtig ist die Familientradition für die Bank?

Wir kümmern uns primär um unsere Kunden und denken nicht groß über die Vergangenheit oder die Geschichte der Familie nach. Aber die Firma gehört uns, wir sind Teil der Firma, und sie trägt unseren Namen. Wenn jemand sagt, dass Rothschild Mist gebaut hat – dann ist das, als ob Sie plötzlich nackt durchs Brandenburger Tor gehen: beschämend. Das ist allen bei Rothschild bewusst.

Rothschild wirbt wie viele Privatbanken mit seiner Tradition. Warum aber sollten die Kunden Ihnen vertrauen? Sal. Oppenheim trat auch als Traditionsbank auf. Doch hinter der schönen Fassade lag vieles im Argen, am Ende wurde das Institut von der Deutschen Bank geschluckt.

Unsere Kunden sollten uns nicht blind vertrauen, sich jedenfalls nicht allein auf unseren Namen verlassen. Warum sollten sie uns stattdessen vertrauen? Erstens weil wir sehr gute Mitarbeiter haben, die sich zudem anständig verhalten. Ich habe häufig gesagt: Dieser Junge ist brillant, es wäre toll, ihn an Bord zu haben, aber er passt nicht zu unserer Kultur, wir können ihn nicht engagieren. Zweitens weil wir als weltweit größte in Familienbesitz befindliche Investmentbank global präsent sind. Drittens können Kunden bei wichtigen Fragen das Topmanagement oder mich treffen und sich selbst eine Meinung bilden. Und viertens können sie uns vertrauen, weil interne Kontrollen für uns wichtig sind, gerade auch für die Familie. Über mehr als 200 Jahre hinweg war sie nie so selbstgefällig, dass sie Leute befördert hätte, die der Aufgabe nicht gewachsen waren.

Von außen sind Struktur und Zahlen Ihres Hauses nur schwer zu durchschauen. Ist das Absicht, um den Mythos zu pflegen?

Es ist wahr, dass wir nicht besonders transparent sind. Das ist das Ergebnis der vielen Schritte, durch die unser französisches und unser britisches Haus wieder miteinander verschmolzen sind. Ich betrachte die Struktur von heute aber nicht als das letzte Wort.

In Europa wird über Inflation, soziale Unruhen und ein Auseinanderbrechen der Währungsunion diskutiert. Ihre Familie ist seit mehr als 200 Jahren im Geschäft, sie hat viele Krisen erlebt – und überlebt. Wie sehen Sie die aktuelle Lage?

Wir waren schon Bürger Europas, lange bevor Europa als Einheit überhaupt existierte. Was diese Krise von früheren unterscheidet, ist, dass wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten spüren, dass Staaten zerbrechliche Gebilde sind. Ich glaube aber nicht, dass die Euro-Zone zerfallen wird, denn das wäre eine Tragödie für alle Beteiligten. Starke Staaten bekämen starke Währungen, was nur ihren Exporten schaden würde. Schwache Staaten hätten mit hohen Zinsen und ihren hohen Schulden zu kämpfen. Könnten sie diese nicht bezahlen, würde es die Banken treffen – die wiederum kaum ein Staat mehr retten könnte. All das ist Wirtschaft und Politik bewusst. Man wird eine Lösung finden. Man muss eine Lösung finden.

Welchen Preis wird Europa dafür zahlen?

Eine Rezession in diesem Jahr ist nicht auszuschließen, ich glaube aber nicht daran. Wahrscheinlicher ist eine längere Phase mit niedrigen Wachstumsraten. Die Banken vergeben weniger Kredite, die Staaten geben weniger aus, die Bürger zahlen mehr Steuern. Die Arbeitslosigkeit dürfte steigen, junge Menschen werden länger brauchen, um einen Job zu finden. Um jenen, die leiden, zu helfen, sollten jene, denen es besser geht, Einschnitte akzeptieren – in einem Akt der Solidarität. Ich denke, das ist unvermeidlich. Untergehen wird die Welt aber nicht.

Adresse für die Reichen

David de Rothschild in seinem Büro Quelle: Arne Weychardt für Wirtschaftswoche

Gibt es in Ihrer Familie intensive Debatten, wie die Krise zu beurteilen und zu handhaben ist?

Sicher habe ich von der Erfahrung meines Vaters profitiert, und diesem half die Erfahrung seines Vaters. Zudem bin ich selbst 44 Jahre im Geschäft und verfüge über ein gewisses Urteilsvermögen. Entscheidend ist aber unser Geschäftsmodell. Bei Privatisierungen, bei der Beratung von Regierungen oder bei der Beratung von Finanzinstitutionen im Zusammenspiel mit dem Staat verfügen wir über mehr Erfahrung als die meisten Banken. In der Finanzkrise 2008/09 etwa haben wir 13 Regierungen beraten. Das passt zu den Wurzeln und zur Kultur von Rothschild...

...wirft aber die Frage auf, wie Sie Regierungen vor der Krise beraten haben, speziell in Südeuropa. Ihr Konkurrent Goldman Sachs zum Beispiel half vor Jahren offenbar dabei, die Höhe der griechischen Staatsverschuldung zu verschleiern.

Wir sprechen nie über unsere Mandate. Aber ganz allgemein gilt: Wir helfen Regierungen dabei, Probleme dauerhaft zu lösen, nicht, sie vor sich herzuschieben.

Rothschild ist eine Adresse für die Reichen. Raten Sie diesen aktuell, ihr Geld aus Europa herauszuschaffen?

Ich befürworte es nie, wegzulaufen. Ich selbst bin zu alt dafür, außerdem mag ich Europa. Und es wäre ein schlechter Rat, zu sagen: Die Welt ist furchtbar, also verschwinde. Ja, wir müssen uns Sorgen machen, es ist ein heikler Moment – aber nicht so heikel, dass man defätistisch sein und jemandem zu radikalen Schritten raten sollte.

Vor ein paar Monaten forderten reiche Franzosen, der Staat solle sie höher besteuern. Schließen Sie sich dem an?

Nein. Zu sagen, besteuert mich bitte stärker, zeigt nur, dass man sich schuldig fühlt. Würden wir Reichen nur 20 oder 30 Prozent Steuern zahlen, würde ich sagen: Das ist inakzeptabel wenig. Derzeit zahlen wir aber etwas mehr als 50 Prozent. Das halte ich für perfekt: Ich verdiene 100 Euro, eine Hälfte behalte ich, eine Hälfte teile ich.

Die Krise hat tiefe Löcher in die Haushalte gerissen. Irgendwo muss das Geld herkommen.

Wenn die Regierung entscheidet, dass es noch größerer Solidarität bedarf und der Steuersatz zur Bewältigung der Krise auf 58 oder 60 Prozent steigen soll, dann hat sie meine Unterstützung. Ich akzeptiere gerne eine Strafe, wenn sie für die Gesellschaft in einer Zeit der Krise wichtig ist. Aber sich freiwillig anbieten? Das führt nur dazu, dass die Leute sagen: Ah, sie sind schuldig. Das erzeugt die falsche Atmosphäre.

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