Gesprengte Geldautomaten So rettet die Bundesbank beschädigtes Bargeld

Alle drei Tage wird in Deutschland ein Geldautomat gesprengt. Wenn die Täter beschädigte Scheine zurücklassen, übernimmt Frank Herzog von der Bundesbank. Wie er aus Asche Geld macht.

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Panzerknacker: Alle drei Tage wird in Deutschland ein Geldautomat gesprengt. Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

Am Ende eines Großraumbüros in der Bundesbank-Filiale in Mainz beginnt der Arbeitstag für einen Mann, auf dessen Schreibtisch drei Geldkoffer stehen. Er streift sich blaue Gummihandschuhe über und öffnet den ersten Koffer. „Das ist wie ein Weihnachtsgeschenk“, sagt er. „Sie wissen nie, was Sie erwartet.“

Heute ist es ein blauer Müllsack, der nach verbranntem Plastik riecht. Darin liegen Brocken von verschmortem Kunststoff und Stapel aus verkohltem Papier, das früher mal Geld gewesen sein muss. Die Untersuchung kann beginnen.

Gesprengte Geldautomaten in NRW 2015



Daten: Eigene Recherche, LKA NRW



Der Mann holt aus einer Schublade eine Pinzette, auf dem Griff klebt ein Zettel mit seinem Namen: Herzog. Frank Herzog, 49 Jahre alt, mehr als die Hälfte davon bei der Bundesbank, Sachverständiger für beschädigtes Bargeld. Oder wie sein Chef sagt: „Unser Mann für die komplizierten Fälle.“

Verkohlt und verschmolzen

Sein aktueller Fall wurde neulich von einem Sicherheitsdienst angeliefert, im Auftrag einer Bank in Mecklenburg-Vorpommern. In dem beigelegten Schreiben steht etwas von einem gesprengten Geldautomaten. Und eine Zahl: 172.500 Euro. Diese Summe soll da auf dem Schreibtisch liegen. 10er-, 20er- und 50er-Banknoten, verkohlt, verschmolzen und verdammt schwer zu erkennen. Doch genau das ist seine Aufgabe: begutachten. Jeden. Einzelnen. Schein.

Gangster haben in diesem Jahr mehr als 135 Geldautomaten in Deutschland gesprengt. Warum sind deutsche Banken so unsicher? Eine Spurensuche bei Sparkassen, Sicherheitsunternehmen, Versicherungen – und der Deutschen Bahn.
von Maximilian Nowroth

Herzog operiert das Geld von Banken, die Opfer eines Verbrechens wurden, das in Deutschland derzeit jeden dritten Tag geschieht: die Sprengung von Geldautomaten. Im vergangenen Jahr waren es 132 Fälle, wie das Bundeskriminalamt jüngst mitteilte – dreimal so viele wie vor vier Jahren. Die Verbrecher arbeiten immer identisch: Geldautomat aufbohren, Gasgemisch einlassen, Lunte legen und anzünden. Bumm. Der Bankraub dauert nicht länger als vier Minuten.

Sparkassen und Volksbanken trifft es genauso wie Automaten der Commerzbank, Postbank und der Deutschen Bank. Obwohl die Polizei in Niedersachsen und NRW einzelne Tätergruppen verhaften konnte, geht die Sprengserie weiter. Im Januar explodierten allein in NRW neun Geldautomaten, sieben Mal machten die Täter Beute. Und selbst wenn es den Gangstern nicht gelingt, die Banknoten zu entwenden, ist das Geld meistens erst mal wertlos, weil es durch die Hitze der Explosion stark beschädigt wurde. Dann übernimmt Frank Herzog.


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Er greift sich einen Stapel Asche aus dem Koffer und legt ihn unter ein Stereomikroskop, mit dem man normalerweise Gewebeproben misst. Eine Drehung am Rad, 50-fache Vergrößerung auf den Patienten, Herzogs Blick wandert auf einen Computerbildschirm. Dann die Diagnose: „Sehen Sie hier die 2? Und da, Umrisse von gotischen Fenstern. Ganz klar: Das ist ein 20-Euro-Schein.“ Das Bild ist für Laien so klar zu interpretieren wie eine Form beim Bleigießen.

Mehr als eine Million Euro untersucht

Aber Herzog ist Profi, und seitdem reihenweise Automaten explodieren, ist seine Expertise gefragter denn je. Im vergangenen Jahr hat er rund eine Million Euro aus Trümmerteilen untersucht, mehr als 60.000 Geldscheine müssen es gewesen sein. Manchmal schwelgt der 49-Jährige bei der mühsamen Kleinstarbeit in Nostalgie: Ach, die D-Mark-Noten, er mochte sie lieber als die Euro, „denn da hatten die Geldscheine Gesichter, die einen angeschaut haben“. Herzogs Arbeitgeber, die Bundesbank, ist verpflichtet, beschädigtes Bargeld zu begutachten und den gefundenen Wert zu ersetzen. Insgesamt arbeiten 15 Sachbearbeiter im Nationalen Analysezentrum für beschädigtes Bargeld.

Diese Geld-Puzzle musste die Bundesbank lösen
Zerschnittenes Geld. Quelle: Bundesbank
Verbrannter Stiefel mit Geld Quelle: Bundesbank
Verschmortes Geld Quelle: Bundesbank
Geld Quelle: Bundesbank
Von Mäusen zerfressenes Geld Quelle: Bundesbank
Verbranntes Sparschwein mit Geld Quelle: Bundesbank
Geschreddertes Geld Quelle: Bundesbank

Meist sind die Absender Privatpersonen, denen ein Missgeschick passiert ist. Michael Erbert, Gruppenleiter der Abteilung, zeigt auf einen Schreibtisch, an dem eine Mitarbeiterin verschmorte Geldfetzen untersucht. „Das sieht nach Mikrowelle aus“, sagt er. Und bei der Kollegin? „Hier ist ein Geldschein an eine Kerze geflogen. Weihnachten ist für uns Saisongeschäft.“ Auf dem Nachbartisch liegen zerschredderte Scheine, die Arbeit ist wie ein Puzzle.

"Die Mitarbeiter brauchen detektivisches Gespür"

Die Gutachter untersuchen mit ihren Pinzetten jedes einzelne Stück und kleben es auf eine Vorlage. Nur wenn sie mehr als die Hälfte einer Note rekonstruieren können oder nachweisen, dass die fehlenden Teile vernichtet wurden – etwa in einer verschmorten Geldkassette –, wird der Schein ersetzt.

„Das Spannende ist: Hinter jedem Fall steckt eine Geschichte“, sagt Frank Herzog. Die alltäglichen Geschichten der Abteilung können auch tragisch sein: Anfang des Jahres hat ein Familienvater seine gesamten Ersparnisse abgehoben und vor den Augen des Sohnes in den Kamin geworfen. Danach erschoss er sich. Die Gutachter kennen die Hintergründe genau, weil jeder Einsender eine Erklärung schreiben muss.

Für ihre Arbeit haben die Bundesbank-Beamten keine spezielle Ausbildung. „Sie brauchen feinmechanisches Geschick, ein bildhaftes Gedächtnis und detektivisches Gespür“, sagt Rainer Elm, der das Analysezentrum leitet. Frank Herzog ist gelernter Schreiner, und tatsächlich erinnert sein Werkzeugkasten an den eines Handwerkers: Cuttermesser, Handsäge, Zange und Blechschneider sind immer griffbereit.

Bis er mit dem aktuellen Fall fertig ist, werden Wochen vergehen. Die Chancen stehen gut, dass der Patient überlebt und die Bank ihre volle Summe erstattet bekommt. Im Tresorraum warten schon die Überreste von zwei weiteren Banküberfällen auf die Untersuchung des Geldchirurgen. Herzog nimmt das gelassen: „Manchmal sitze ich nach Feierabend im Auto und höre im Radio, dass wieder ein Geldautomat gesprengt wurde. Dann weiß ich: Da kommt wieder Arbeit auf meinen Schreibtisch.“

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