Wenn Hans-Jörg Miller das Internetcafé in der Düsseldorfer Altstadt betritt, braucht er nichts zu sagen. Der 75-Jährige nickt Inhaber Pishtiwan Hasan nur zu. Der blickt kurz auf seinen Bildschirm und ruft: „Nummer zehn ist frei!" Wortlos verschwindet Miller im hinteren Teil des Ladenlokals – dorthin, wo nur die mit Holz abgeschirmten Monitore den dunklen Raum erhellen.
Zu Hause hat Miller weder Internet noch einen PC. Eine bewusste Entscheidung: „Ein Computer würde mein Wohnungsbild stören“, sagt der Stammkunde in Hasans Café. Er will nicht mehr Zeit als nötig vor dem Computer verbringen. „Ich habe zielgerichtete Vorstellungen, wenn ich ins Internetcafé gehe“, erklärt der Rentner. E-Mails an Bekannte und Ämter schreiben, sich über das Weltgeschehen informieren. Seit vier Jahren dreimal wöchentlich.
Mit seinem regelmäßigen Besuch bei Hasan ist Miller eine Ausnahme. In neun von zehn Haushalten in Deutschland gibt es mittlerweile einen Internetzugang. Wozu sollte man da noch ins Internetcafé gehen?
Nur wenige der Läden halten sich noch in den Innenstädten. Wie viele es genau gibt, lässt sich kaum sagen. Die Stadt Düsseldorf und auch die Mehrheit der anderen Gemeinden haben keine Daten. In Berlin sind es noch etwa 200, schätzt die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK). Nur Betreiber, die risikofreudig sind und viel ausprobieren, können noch bestehen.
Zur Jahrtausendwende war das noch anders. 1994 eröffnete das erste Internetcafé in Deutschland in Duisburg. Zur Zeit der New Economy erlebten Internetcafés einen Boom. Viele wollten ins Netz – doch die Anschaffung eines Computers war mit hohen Kosten verbunden.
Mittlerweile können die meisten Bundesbürger eigentlich jederzeit surfen. 65 Prozent der Deutschen besitzen ein Smartphone, hat der Digitalverband Bitkom ermittelt. "Irgendwann war Internet Alltag", sagt der Berliner Internetsoziologe Stephan Humer. Ausgerechnet der schnelle Siegeszug des Internets hat ein Verschwinden der Internetcafés ausgelöst.
Die Internet-Anschlüsse der deutschen Haushalte
...besitzen einen Internet-Anschluss von 50 Megabit pro Sekunde und mehr.
Stand: Sommer 2014; Quelle: TÜV Rheinland
...besitzen einen Internet-Anschluss von 30 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 16 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 6 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 2 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 1 Megabit pro Sekunde und mehr.
Die meiste Zeit des Tages ist es deshalb ruhig im Internetcafé von Hasan. Zwölf Computer stehen in der kleinen Kammer – vor drei Jahren, als er das Geschäft übernahm, waren es fast doppelt so viele. „Es kommen weniger Kunden, um das Internet zu nutzen“, sagt der Geschäftsmann. Vielmehr brauchen die Kunden Computer, um Bewerbungen zu schreiben oder um zu drucken.
"Es gibt immer Personengruppen, die auf Intercafés ausweichen müssen", sagt Internetsoziologe Humer. Hartz-IV-Empfänger, die sich keinen PC leisten können. Jugendliche, die beim Surfen nicht von ihren Eltern kontrolliert werden wollen. Und Flüchtlinge: Sie nehmen über das Internet Kontakt mit Familie und Freunden in der Heimat auf und informieren sich über komplizierte bürokratische Angelegenheiten.
Playstation und 3D-Drucker statt Computer
Zwischen einem und zwei Euro kostet eine Stunde im Internetcafé heute durchschnittlich. Auch Hasans Preise bewegen sich in dieser Spanne. 100 Euro nimmt er mit dem Computerpool an einem guten Tag ein. Es ist bloß noch ein geringer Teil seines Tagesumsatzes.
Auf seinen 130 Quadratmetern verkauft Hasan auch SIM-Karten oder repariert Handys. Der Verkaufstresen sieht aus wie in einem Kiosk – dort bekommt man Süßigkeiten, Getränke und Zigaretten. Gegenüber stehen vier große Glaskästen, in denen Kunden telefonieren können. Sie sind beschriftet von drei bis sieben. „Vor kurzem standen hier noch sieben Telefonzellen, das hat sich nicht mehr gerechnet“, sagt der Inhaber.
Die Telefonanlagen mussten neuen Geldquellen weichen. Neuerdings können die Kunden bei Hasan auch Playstation spielen. Bislang bleiben die Sessel allerdings meist leer. "Ich muss den neuen Service erst noch bewerben", sagt Hasan.
Die Deutschen im Internet
2013: 41,3 Prozent
2012: 42,2 Prozent
Quelle: Initiative D21
2013: 9,6 Prozent
2012: 8,5 Prozent
2013: 7,1 Prozent
2012: 7,5 Prozent
2013: 6,2 Prozent
2012: 5,1 Prozent
2013: 3,7 Prozent
2012: 3,2 Prozent
2013: 1,5 Prozent
2012: 1,5 Prozent
2013: 1,2 Prozent
2012: 1,2 Prozent
2013: 0,8 Prozent
2012: 1,0 Prozent
Es ist ein Versuch, dem Wandel nachzukommen. Wie Hasan setzen viele Betreiber mittlerweile auf vermischte Geschäftsmodelle, um den Bedürfnissen der Kunden gerecht zu werden. Darin liegt eine Überlebenschance der Internetcafés, sagt Nick Kriegeskotte, Experte des Branchenverbandes Bitkom. Wie zu ihrem Anfang könnten die Internetcafés die Technologien anbieten, die sich die Menschen noch nicht leisten können - oder wollen. Zum Beispiel 3D-Ausdrucke. Oder Dienstleistungen rund um das vernetzte Haus.
Kunde Hans-Jörg Miller hat es bereits erlebt, das Verschwinden der Internetcafés. Sein altes Stammcafé hat mittlerweile geschlossen. Eigentlich könnte er sich einen Internetanschluss auch selbst leisten. Aber zu Hause will er nicht surfen. Diese Grenze hat er sich selbst gesetzt, um sich zu schützen. Vor der Internetabhängigkeit, sagt er. Die betreffe ja immer mehr, vor allem die Jugendlichen. Deshalb geht er jetzt zu Hasan.
Dreizehn Stunden am Tag hat das Geschäft in der Düsseldorfer Altstadt geöffnet. Ein Vollzeitjob, Hasan beschäftigt nur eine Aushilfe.
Viel Spaß macht das dem 35-Jährigen nicht mehr. "Wenn jemand Interesse an dem Café hat, würde ich es durchaus abgeben", sagt er.