Das beste italienische Restaurant der Welt "Es gibt nicht die eine italienische Küche"

In München zählt das Acquarello von Mario Gambas zu den besten Restaurants der Stadt. Nun erhält es den Titel "Bestes italienisches Restaurant der Welt außerhalb Italiens." Aber was ist eigentlich italienische Küche?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Mario Gamba Quelle: Presse

Herr Gamba, italienische Küche ist vermutlich das erfolgreichste Exportprodukt des Landes. Kaum eine Nation, in dem nicht Pizza und Pasta ihren Siegeszug angetreten sind. Was ist das Geheimnis?

Es ist schwierig von DER Italienischen Küche zu sprechen, denn es gibt keine "Italienische Küche". Das ist vom Brenner in Südtirol bis runter zur letzten Insel nahe Tunesien eine vielfältige Küche. Sie hat alle 30 Kilometer einen anderen Einschlag. Das liegt zum einen an den Produkten, die in den Bergen andere sind als auf Sizilien. Und es liegt auch an der Geschichte des Landes. Italien hat schon immer viel geteilt mit anderen Völkern.

Wir kennen vor allem die bekannten Nudelgerichte und Pizza.

Ja, ein Teil der italienischen Küche ist im Ausland vor allem bekannt durch ihre einfachen Rezepte, die weltweit alle Menschen über Generationen verbindet. Diese Rezepte mit guten Produkten, dem Kern des italienischen Essens, sind es, die den Siegeszug begründen. Eine Kalbs-Piccata schmeckt einem dreijährigen Kind genauso wie seiner Großmutter - und alle sind begeistert. Das sind Gerichte, die eine Geschmackserinnerung bilden. Nirgendwo sind Produkte so sehr mit der Landschaft verbunden wie in Italien. In dieser Regionalküche, die weltweit so erfolgreich ist, ist zu 80 bis 90 Prozent die Qualität des Produktes der Ausschlag für ihren Zauber. Eine einfache Tomatensauce illustriert das - ist die Tomate gut, ist die Sauce herausragend.

Vita

In Ihrem Restaurant gibt es aber Gerichte wie "Feigentortelli auf Pinot-Bianco-Schaum, Reduktion vom Cassis und gebratene Gänseleber" oder als Dessert "Durchsichtige Zitrusfrüchte-Ravioli mit Kokosnuss Wolken und Pina Colada Eis". Klingt nicht sehr italienisch.

Richtig, es gibt neben der bekannten italienischen Regionalküche eine Ausrichtung, die wenige Menschen kennen. Sie beruht auf dem 1930 geborenen Gualtiero Marchesi. Er steht für eine neue italienische Küche, die die guten Produkte mit neuen Techniken zubereitet. Mit Marchesi ist die "Trattorazione" in eine "Ristorazione" übergegangen. Das heißt, es gibt auch eine "noble" eine italienische Hochküche, die Marchesi erneuert hat. Wenn sie in Italien ein Restaurant von Rang und Namen haben, dann beziehen sich die allermeisten auf Marchesi. Sein Restaurant war die "Universität" der italienischen Küche, so wie es in Deutschland in den 80er Jahren das Tantris in München war, der Keimzelle der deutschen Sternegastronomie. Man muss zwischen einer Spaghetti Bolognese, gewissermaßen einem schnellen Slow Food, und dieser Hochküche unterscheiden.

Weltweit wird die bayerische Küche meist für die deutsche Küche gehalten. Welche der Regionen zwischen Südtirol bis Sizilien steht für die italienische Küche?

Es gibt in Italien zwei Regionen, die komplett von Antipasti bis Dolce, also den Desserts, alles haben. Das ist das Veneto und Sizilien. In meiner Heimat der Lombardei, die teils in den Alpen liegt, haben wir Wild und auch Süßwasserfische, an die man nicht zuerst denkt, wenn man über italienische Fischküche nachdenkt. Und dann gibt es in der Lombardei noch viel Risotto, weil eines der größten Reisanbaugebiete zwischen der Lombardei und dem Piemont liegt, was so gut wie keiner weiß. Alle Regionen aber verbindet, dass die Qualität der Zutaten ganz wichtig ist. Meine Mutter hat immer zwei Wochen im voraus das Fleisch bestellt, weil es keine Massenprodukte gab. Man musste rausfinden, wer das beste hat und das dann organisieren. Man muss warten können. Das ist verloren gegangen in den vergangenen Jahrzehnten. Die Menschen haben keine Geduld mehr. Gutes Essen braucht aber Geduld.

Akzeptiert. Aber die Frage war nach den Regionen, die den größten Einfluss haben.

Die italienische Küche ist vereint worden im Jahre 1954 als der italienische Fernsehsender RAI Sendungen rund ums Essen ausstrahlte. RAI hat die Regionen zusammengerückt, weil zum Beispiel die Menschen in Lombardei erstmals Nudeln umfassend wahrgenommen haben. Dort war Reis und Polenta als Beilage bis dahin dominierend. So lernte das Land, was in den verschiedenen Regionen typisch war und so verbreiteten sich die Gerichte, die wir heute als "italienische Küche" bezeichnen würden. In Norditalien hatten wir zum Beispiel keine Hartweizengrießnudeln, wie sie sie heute in deutschen Supermärkten überwiegend finden. Wir hatten gefüllte Nudeln mit weichem Teig, der aus Brotmehl gemacht wurde. Darin wurde verarbeitet, was gerade Saison hatte. In meiner Erinnerung - die mich für meine Küche geprägt hat - sind es Artischocken gewesen, später im Jahr Reh oder Kastanien oder Fasan gewesen. Die italienische Küche kam also in der Zeit nach 1954 zusammen. Sie hat aber zum Glück ihre regionalen Eigenheiten und Charakter bewahrt.

Nun wurden Sie zum besten italienischen Restaurant der Welt außerhalb Italiens gekürt von den Juroren des Gourmetführers Gambero Rosso und unter der Schirmherrschaft des italienischen Ministeriums für Agrarwirtschaft. Das Acquarello ist seit vielen Jahren ausgezeichnet mit einen Michelinstern. Ist es als Feinschmecker-Restaurant überhaupt noch ein italienisches Restaurant?

Zunächst noch ein Wort zur Regionalität: Ich kann hier in München nicht eine regionale italienische Küche machen. Ich muss die Produkte aus allen Regionen Italiens bekommen. Einige Dinge kommen aus der Lombardei andere aus dem Veneto. Mein Reis stammt von Acquerello, die sogar einen Jahrgangsreis machen. Die haben unglaubliche Techniken im Anbau entwickelt, um den Reis immer besser zu machen. Und sie haben Respekt. Respekt vor dem Reis, Respekt vor den Menschen. Ohne Respekt gibt es keine Entwicklung. Der Mensch muss im Mittelpunkt sein. Nicht nur beim Essen, sondern bei allen Dingen.

Das klingt plausibel - aber ist das Acquarello nun ein italienisches Restaurant?

Meine Karte ist zunächst mal der Spiegel meines Lebens. Ich bin Italiener. Ich bin dort geboren. Ich bin in der französischen Schweiz aufgewachsen. Ich habe dann als Autodidakt bei den Franzosen gelernt. Dann wiederum habe ich mir aus den Regionen der italienischen Küche das herausgesucht, was mir gefehlt hat. Ich habe erst die großen Meister gefragt, wie sie etwas zubereiten und danach habe ich aber auch die Hausfrauen gefragt, wie sie ihre Gericht zubereiten. Meine Mutter mit ihren 86 Jahren zum Beispiel sagt immer, ich solle eine Woche vorher Bescheid geben, wenn ich komme, damit sie es richtig vorbereiten kann. Wenn ich das nicht täte, gäbe es nur einen Salat. Ich habe die Geschichte der Gerichte recherchiert, denn nur wenn man die Tradition kennt, kann man sie fortführen und verbessern. Es geht nicht darum, die Tradition umzukrempeln, aber ich kann keine Gerichte machen wie in den 60er Jahren.

Das klingt vernünftig. Aber ist es denn nun ein Restaurant, das Haute Cuisine oder das italienische Küche serviert?

Das müssen andere beurteilen. Nach 21 Jahren Acquarello kann ich so viel sagen: Die Gäste, die uns seit langen Jahren begleiten, sagen, dass es eine leichte Küche sei, eine, in der das Produkt zu erkennen ist. Wenn ein Gericht Pilze enthält, dann schmeckt es nach Pilzen. Das ist nie langweilig, weil wir uns ständig aktualisieren. Man muss meine Küche nicht erklären, die Gäste haben beim Essen eine Geschmackserinnerung. Wenn sie in ein Techno-Restaurant mit 40 Gängen gehen, dann haben sie so viele Nuancen in den Texturen und Aromen - da wissen sie am nächsten Tag nicht mehr, was sie gegessen haben.

Wann die besten Tomaten kommen

Was ist die Voraussetzung für so eine lange erfolgreiche Zeit?

Ich bin gleichzeitig auch ein Foodscouter. Das ist essentiell. Wir bekommen von rund 70 Lieferanten unseren Fisch, Fleisch, Gemüse. Ich habe alleine für Fisch sieben verschiedene Lieferanten. Ich weiß, welcher Lieferant spezialisiert ist auf Seezunge, ich weiß, welcher den besten Tintenfisch hat. Das beginnt bei uns im Restaurant am Morgen, wenn die frischen Produkte ankommen und wir sie prüfen und dann vorbereiten.

Sind das alles teure Produkte?

Es geht nicht um Kaviar. Es geht nicht um Gänseleber. Es geht darum, wann die besten Tomaten kommen, wann der beste Spitzkohl, wann die beste Zeit für Lamm ist - das sind die Fragen, auf die wir Antworten finden wollen.

Reicht das für einen Titel wie Weltbestes italienisches Restaurant?

Nein, und sie müssen auch als Koch aufmerksam bleiben und die Entwicklungen verfolgen. Zum Glück hat sich auch die Technik in der Küche in den vergangenen 20 Jahren massiv weiter entwickelt. Wir arbeiten mit Geräten, die so präzise sind, wie jene, die in der Medizin verwendet werden. Wir haben Vakuumgarer, die die Wassertemperatur auf exakt 49 Grad Celsius halten, egal wie viele Beutel sie hinein tun. So kann das Fleisch so gleichmäßig garen - das wäre früher nicht möglich gewesen. Das Eiweiß gerinnt so nicht, damit bleibt das Fleisch zart.

Mit Stamm-Italiener, Tortellini in Sahnesauce und Romantik mit karierten Decken hat das nur noch wenig zu tun, oder?

Nein, und inzwischen erkennen auch die berühmten Kollegen an, was wir hier leisten. Vor einigen Jahren habe ich auf einer Veranstaltung mit einigen 2- und 3-Sterneköchen einen Gang gekocht. Da haben sie gesehen, was wir machen. Aber vorher haben sie mir nicht in die Augen geschaut, ich war "Der kleine Italiener".

Was unterscheidet das Acquarello von anderen herausragenden italienischen Restaurants in der Welt. In Hongkong befindet sich sogar mit Otto e Mezzo eines mit drei Michelinsternen.

Ich kenne die Kollegen vieler dieser Betriebe. Ich habe mit einigen zusammen auf Veranstaltungen gekocht. Bei einer in Asien haben wir einen Gang mit Ente gemacht, 170 Portionen in einer Stunde. Wenn ich im Ausland koche, schaue ich immer, was da vor Ort beliebt ist. Was gibt es da am meisten? Dann orientiere ich mich daran. So komme ich in keinen Konflikt mit den Geschmacksgewohnheiten vor Ort. Wenn ich in Asien bin - dann mache ich Ente, wenngleich keine lackierte, wie es dort üblich ist. Aber die Juroren haben wohl erkannt, dass die Erfahrung aus 18 Jahren Arbeit in der Drei-Sterne-Gastronomie unter anderem bei Heinz Winkler, da ist. Und vor allem die Kontinuität. Ich kenne die Begründung noch nicht, sie wird mir erst bei der Verleihung am 17. Oktober mitgeteilt. Aber ein Juror hat mir zumindest mitgeteilt, dass er uns fünf Jahre beobachtet hat und dass die Kontinuität erstaunlich sei. Und das obwohl in einer Küchenmannschaft wie im Acquarello viele Mitarbeiter eine Station machen und dann weiterziehen und deswegen ein guter Teil der Mitarbeiter stets neu bei uns ist. Aber was wir nie verlieren ist unsere Freude. Wenn bei uns etwas schief geht in der Vorbereitung im Laufe des Tages - dann müssen wir damit umgehen. Nur der Gast wird es nicht merken.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%