DDB-Chef Amir Kassaei "Unternehmen sollten sich an Klinsmann und Löw orientieren"

Amir Kassaei, Kreativchef der Werbeagentur DDB, erwartet vom WM-Sieg der Nationalmannschaft eine positive Wirkung für Deutschland. Warum und welche Kicker das größte Potenzial zum Werbestar haben.

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Diese Unternehmen profitieren von der Fußball-WM
AB InBevWer in einem brasilianischen WM-Stadion ein Bier zischen will, muss zu Budweiser aus dem Konzern AB InBev greifen. Für den weltgrößten Bierhersteller und WM-Sponsor hat die Fifa extra das Ausschankverbot in Stadien aufgehoben. Auch zwei Kilometer um die Stadien herum darf nur Budweiser getrunken werden. Außerhalb dieser Bannmeilen ist es ebenso schwer, um AB-InBev-Produkte herum zu kommen. Ob Brahma, Skol oder Antarctica – fast alle gängigen Biermarken in Brasilien gehören längst zu AB InBev. Quelle: dapd
AdidasDer fränkische Sportartikelhersteller Adidas stellt mit dem "Brazuca" den offiziellen WM-Ball her. Das 129,95 Euro teure Stück wird reichlich Abnehmer finden: Sein Vorgänger, der "Jabulani" zur WM in Südafrika, verkaufte sich immerhin über 15 Millionen Mal. Quelle: dpa
Hyundai und KiaBrasilien ist mit 1,6 Millionen Neuzulassungen von Januar bis April 2014 dem Verband der Autoindustrie (VDA) zufolge der fünftgrößte Automobilmarkt der Welt. Daraus erhofft sich vor allem die koreanische Hyundai Kia Automotive Group einiges rauszuholen. Als Fifa-Sponsor stellt der Konzern mit 1.021 Fahrzeugen die offizielle WM-Flotte während des Großereignisses. Quelle: dapd
ContinentalWährend in den WM-Stadien der Ball rollt, sollen in den Straßen Brasiliens die Reifen von Continental rollen. Schon jetzt hat der Reifenhersteller aus Hannover einen Marktanteil in Brasilien von zehn Prozent. Als Sponsor der WM soll dieser Anteil steigen - nicht nur in Brasilien, sondern weltweit. Quelle: dpa
Deutsche ArchitektenbürosZahlreiche WM-Spiele werden in deutschen Designobjekten stattfinden. Die Planungsentwürfe der Stadien Manaus (Foto), Belo Horizonte und Brasilia stammen aus dem Hamburger Architektenbüro "gmp" und die neue Arena in Salvador stammt von "Schulitz + Partner" aus Braunschweig. Quelle: dpa
Coca-ColaCoca Cola darf sich rund um die WM über einen hohen Absatz freuen - vor allem im heißen Brasilien. Laut dem Marktforschungsinstitut YouGov gibt jeder vierte Brasilianer Coca Cola als seine beliebteste Getränkemarke an. In Deutschland ist es jeder Neunte. Um außer die Fans in den WM-Stadien auch die Zuschauer rund um den Globus zu erreichen, will das Unternehmen dieses Jahr seine größte WM-Kampagne aller Zeiten aufstellen: Dazu gehören YouTube-Videos, TV-Spots, die Original-WM-Trophäe, die in einer PR-Aktion für Coca Cola um die Welt reiste und der neue "Coke-Song" von Sänger David Correy für die WM. Quelle: dpa
SonyViele Fans kaufen zur WM gerne neue Fernseher, um das Fußballspektakel in Top-Qualität zu erleben. An diesem Geschäft will WM-Sponsor Sony mit verdienen und hat mit dem 55 Zoll großen Sony 4K (Foto) den „offiziellen WM-Fernseher“ herausgebracht. Quelle: dpa

Herr Kassaei, wo waren Sie, als Mario Götze mit seinem Tor Deutschland in Rio zur Weltmeisterschaft schoss?

Auf Ibiza mit meiner Familie.

Sie sind im Iran geboren, in Österreich aufgewachsen, haben in Deutschland Karriere gemacht und leben seit Jahren auch in New York – wie sieht die Welt diese deutsche Nationalelf?

Als eine moderne, progressive Mannschaft, die die Werte eines neuen Deutschlands repräsentiert und fussballerisch nichts mehr mit den deutschen Klischees der Vergangenheit zu tun hat.

Ist das ein anderes Bild als nach der WM 2006?

Ja, weil das System und das Team endlich auch Erfolg haben.

Unternehmen können von der Nationalmannschaft lernen, glaubt Chef-Werber Amir Kassaei. Quelle: Laif

Färbt das Image des Teams ab auf die „Marke Deutschland“?

Definitiv. Wenn sogar in England der Ruf nach der Erfolgsformel der „Mannschaft“ laut wird und man sich Deutschland als Vorbild nimmt, dann hat diese Mannschaft für die Marke Deutschland herausragendes geleistet.

Wofür steht diese Marke aktuell?

Für Organisation, Systematik, Akribie, Zielstrebigkeit und Wahrhaftigkeit. Also nicht die schlechtesten Werte, die eine Marke haben kann.

Zur Person

Wer prägt stärker für das Bild dieser seltsamen Deutschen – der blutende Bastian Schweinsteiger, der sich immer wieder aufrafft und im Spiel bleibt, oder der filigrane Zauber von Mario Götzes Tor?

Beides. Genau diese Mischung macht ja die Magie der neuen Nationalmannschaft, aber auch ihren Erfolg aus und beide stehen auch jetzt stellvertretend für die alten und neuen Tugenden der Deutschen.

Profitieren nur die direkten DFB-Sponsoren von dem Erfolg oder verschafft der Titel auch anderen deutschen Unternehmen international einen WM-Bonus?

Naja, es war ja nicht so, dass global agierende deutsche Unternehmen und Marken kein Ansehen hatten. Man schätzt und respektiert immer noch „Made in Germany“. Aber man kann auf dem Erfolg der Nationalmannschaft das teils eindimensionale Bild von deutschen Marken um die Werte Menschlichkeit, Respekt, Modernität und Eleganz erweitern.

Small Talk WM

Hat es Sinn, sich als Unternehmen jetzt noch werblich dranzuhängen an den Triumph?

Nein. Aber Unternehmen sollten sich in Marketing und Kommunikation am Quell-Code der Ära Klinsmann und Löw orientieren: Mut zum Risiko, das Hinterfragen von alten Strukturen und Denkwegen, das systematische Unterordnen aller Unternehmensentscheidungen unter ein großes, aber visionäres und langfristiges Ziel. Und auch bei Rückschlägen den eingeschlagenen Weg zu Ende zu führen

Wer sollte liebe die Finger davon lassen?

Marken und Unternehmen, die die Werte der Nationalmannschaft zwar predigen aber nie und nimmer im realen Unternehmer-Leben liefern

Wer von den Weltmeistern hat für Sie das größte Potenzial als Werbeheld?

Thomas Müller wird aufgrund seiner Art und seines Spiels für ehrliche und eher bodenständige Marken geeignet sein. Sami Khedira und Jerôme  Boateng haben das gewisse Coolness-Potenzial, das man in der Lifestyle- Kategorie sehr gut ausschöpfen kann. Manuel Neuer wird in Asien ähnlich groß werden wie Oliver Kahn. Er repräsentiert alle Werte eines modernen Helden. Und Toni Kroos ist für mich ein Rohdiamant. Nicht nur vom Talent und der Intelligenz als Fußballspieler aber auch als Medien- und Marketing-Figur. Aber Vorsicht – man muss ihn so nehmen, wie er ist und man muss mit seinen Starken spielen.

"Schweinsteiger wurde zum epischen Superstar"

Der englische Ex-Profi David Beckham hat vorgemacht, wie man als Fußballspieler zur globalen Persönlichkeitsmarke werden kann. Trauen Sie einem deutschen Spieler ähnliches Potenzial zu?

Am ehesten Bastian Schweinsteiger. Er wurde im Finale zum epischen Superstar. Er hat diese unglaublich erfrischende und ehrliche Art, dem Leben und seinen Herausforderungen zu begegnen. Wenn er und seine Berater klug sind, kann er als Werbefigur auf der globalen Bühne spielen.

Kassaei feiert den Erfolg der Nationalmannschaft auf mit einem besonderen Plakat, das auf VierterStern.com gekauft werden kann. Die Erlöse gehen zur Hälfte an

Starke Marken wie der FC Bayern polarisieren, heißt es doch immer – ist diese DFB-Truppe demnach nicht fast zu perfekt, weil alle sie mögen?

Nein. Aber es stimmt schon, sie laufen Gefahr, als zu nett wahrgenommen zu werden. Deshalb ist es auch wichtig, dass sie sowohl auf als auch neben dem Platz Ecken und Kanten zeigen. Vor diesem Hintergrund war das Interview mit Mertesacker nach dem Algerien-Spiel und der so genannte Gaucho-Tanz beim Empfang in Berlin für – anders als für viele Medienexperten und Journalisten – nicht negativ, sondern genau das, was diese Mannschaft braucht und machen muss. Und man sollte auch seitens der so genannten Leitmedien einige Dinge auch im richtigen Kontext einordnen und die Kirche im Dorf lassen.

Warum sind die kreativen deutschen Kicker Weltklasse, aber Werbung aus Deutschland so selten?

Deutschland ist nicht vordergründig ein kreatives Land. Deutschland ist für seine Ingenieurkunst, Organisation und Detailbesessenheit berühmt. Es heißt ja auch „Made in Germany“ und nicht „Created in Germany“. Was der Werbung in Deutschland fehlt, ist nicht das Talent, sondern ähnlich wie beim Fußball das Fokussieren auf die richtigen Prioritäten und richtigen Ziele. Im Fußball hat es zehn Jahre gedauert. Warum soll es mit der Werbung nicht klappen?

Was lernen Sie als Werber von der deutschen Elf?

Wie gesagt: Mut zum Risiko. Dass Leidenschaft und Wille gepaart mit Talent unmögliches möglich machen und dass man Daten als Hilfsmittel auch für den kreativen Prozess nutzen sollte, um das eigene Tun besser zu verstehen, aber auch ständig zu hinterfragen und zu verbessern.

Sie haben Bundestrainer Löw in der Vergangenheit per Twitter oft hart kritisiert – wird’s jetzt Zeit, Abbitte zu leisten?

Ja. Er hat spät, aber nicht zu spät erkannt, dass das 4–2–3–1 System nicht nur keinen mehr überrascht, sondern das eigene Potenzial nicht abrufen kann. Kaum hat er vor dem Spiel gegen Brasilien auf die risikoreichere und offensivere 4–1–4–1 umgestellt, schrieb diese Mannschaft zuerst Geschichte und wurde dann Weltmeister. Löw ist jetzt ein großer Trainer, weil er den größten Titel gewonnen hat. Es ist im Fußball wie in der Werbung: Die Daseinsberechtigung für Kreativität, Mut und Strategie sind Ergebnisse und große Meilensteine, nicht um sich selbst daran zu ergötzen.

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