Deutsche Bahn Locomore will der Bahn Kunden abjagen

Ein neuer Konkurrent greift die Deutsche Bahn im Fernverkehr an – auf einer Strecke. Der Versuch von Locomore zeigt, wie schwer der Markteintritt ist. Die drei größten Hürden.

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Quelle: Locomore

Die Möbel in dem kleinen Zimmer in Berlin-Kreuzberg wirken zusammengeklaubt, Bücher über „Das System Bahn“ stapeln sich in Holzregalen, auf dem Laptop klebt ein Aufkleber gegen das Stuttgart-21-Projekt der Deutschen Bahn (DB). Derek Ladewig, 44, arbeitet in einer Umgebung, die an ein Start-up oder eine Aktivistengruppe erinnert. Aber der ehemalige Grünen-Mitarbeiter ist seit Jahren veritabler Unternehmer, und er hat einen klaren Konkurrenten: die Deutsche Bahn.

In elf Monaten will Ladewig mit Crowdfunding-Mitteln einen Zug von Stuttgart über Frankfurt nach Berlin aufs Gleis setzen. Der wird zwar knapp eine Stunde länger brauchen als ein ICE, soll aber nur ein Drittel so teuer sein wie ein Bahncard-50-Ticket. Sein schnittiger Name: Locomore.

„Mehr Bahn“, verspricht Ladewig den Fahrgästen, Locomore soll in der Signalfarbe Orange fahren. Doch auch er weiß natürlich, das sein Zug im bundesweiten Fahrplan so gut wie untergehen wird. Die Deutsche Bahn ist in Deutschland weiter uneingeschränkter Platzhirsch – mit einem Marktanteil im Personen-Fernverkehr von sage und schreibe 99 Prozent.

Die wichtigsten Baustellen der Bahn 2015

Dennoch sind die Pläne von Ladewig und seinen bislang vier Mitarbeitern mehr als eine Randnotiz wert. Sie erinnern nämlich daran, wie schwer es hierzulande Bahn-Konkurrenten haben, überhaupt auf die Schiene zu kommen. Auch 21 Jahre nach Öffnung des Eisenbahnmarktes in Deutschland ist der hiesige Wettbewerb im Fernverkehr anders als etwa in Österreich oder Tschechien so gut wie nonexistent, aus gleich drei Gründen:

Die größten Pannen der Deutschen Bahn
Juli 2015Wegen der großen Hitze sind die Luftkühlungen mehrerer IC-Züge ausgefallen. Anders als im Sommer 2010 reagierte die Bahn diesmal schnell: Sie stellte für die besonders betroffene Linie Berlin-Amsterdam zwei Ersatzzüge bereit. Sie sollen eingesetzt werden, wenn die Luftkühlung in anderen IC auf der Strecke versagt, wie ein Sprecher mitteilte. Außerdem wurden in Osnabrück mehrere Busse stationiert. Dort mussten insgesamt mehrere Hundert Fahrgäste in nachfolgende Züge umsteigen, weil in ihren Zügen die Klimaanlage ausgefallen war. Es habe aber kein Fahrgast gesundheitliche Probleme bekommen, so der Sprecher. Bei etwa einem Dutzend älterer Intercitys auf der Linie Berlin-Amsterdam hatten die Klimaanlagen ihre Arbeit eingestellt. Quelle: dpa
Oktober 2014Ein Warnhinweis sorgt für Lacher, Spott und eine Entschuldigung der Deutschen Bahn: „Cannstatter Wasen: Es ist mit Verspätungen, überfüllten Zügen und verhaltensgestörten Personen zu rechnen“ ist am Samstag auf den Anzeigetafeln an mehreren Bahnhöfen in der Region Stuttgart zu lesen gewesen, wo das Volksfest an seinem letzten Wochenende in diesem Jahr wieder Tausende Besucher anlockte. „Wir entschuldigen uns dafür“, sagte eine Bahn-Sprecherin am Sonntag und bestätigte Online-Berichte der „Stuttgarter Nachrichten“ und der „Stuttgarter Zeitung“. Ein Mitarbeiter habe den Text entgegen aller Vorgaben verfasst. Er werde Anfang der Woche zum Rapport bestellt. Dann solle auch der gesamte Vorgang aufgeklärt werden. Quelle: dpa
August 2013Ein ungewöhnlich hoher Krankenstand in der Urlaubszeit sorgte im August 2013 für ein Fahrplanchaos am Mainzer Hauptbahnhof - und für massiven Ärger bei den Fahrgästen. Die Deutsche Bahn hat für das Chaos am Mainzer Hauptbahnhof wegen massiver Personalprobleme auf Facebook um Entschuldigung gebeten. „Für die derzeitigen Einschränkungen möchte ich mich entschuldigen“, antwortete ein Mitarbeiter in dem Sozialen Netzwerk auf Beschwerden einer Nutzerin. Die Situation sei „wahrlich nicht schön“. Quelle: dpa
August 2013Um dem Problem der häufig verstopften und verdreckten Zugtoiletten Herr zu werden, setzt die Bahn ab sofort neue Reinigungskräfte, sogenannte Unterwegsreiniger, in ICE-Zügen ein. Die Reinigungskolonne, die auf der Fahrt die Toiletten putzt, wird um 50 Beschäftigte auf 250 aufgestockt, wie der Vorstandsvorsitzende DB Fernverkehr, Berthold Huber, ankündigte. Die Mitarbeiter sollen zugleich stärker entsprechend der Zugauslastung eingesetzt werden. Damit würden die Toiletten in besonders gefragten Bahnen mindestens zweimal und damit doppelt so oft auf der Fahrt gereinigt wie bisher. Der Fahrgastverband Pro Bahn und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) lobten die Initiative, wiesen aber zugleich auf andere Probleme hin. „Neben den kaputten oder dreckigen Toiletten gibt es tagtägliche Kundenbeschwerden vor allem über die Klimaanlagen und Verspätungen“, sagte Pro-Bahn-Bundessprecher Gerd Aschoff. Und das sind nicht die einzigen Pannen der Deutschen Bahn... Quelle: dpa
November 2011Nach der persönlichen Anmeldung im neuen elektronischen Ticketsystem „Touch & Travel“ waren für nachfolgende Nutzer die Kundendaten sichtbar. Quelle: dpa
Juli 2010Am einem Wochenende fallen in mehreren ICE-Zügen die Klimaanlagen aus. Fahrgäste kollabierten, Schüler mussten dehydriert ins Krankenhaus eingeliefert werden. Im Zuge der Panne wurde bekannt, dass die Klimaanlagen der Bahn nur bis 32 Grad funktionieren. Damals fielen in Dutzenden Zügen die Klimaanlagen aus. Quelle: dpa
April 2010 - ICE verliert TürBei voller Fahrt verliert ein ICE auf dem Weg von Amsterdam nach Basel eine Tür. Das Stahlteil schlägt in einen entgegenkommenden ICE ein. Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Frankfurt und Köln werden sechs Menschen leicht verletzt. Ursache für den Unfall ist eine lose Stellmutter an der Verriegelung. Foto: dpa

Beispiel Trassen: Nur alle fünf Jahre können Bahnunternehmen einen Rahmenvertrag mit DB Netz, der Netztochter der Deutschen Bahn, abschließen. Ein solcher Vertrag legt die Bahn-Konkurrenten mindestens fünf Jahre fest: So fährt Locomore ab September 2016 morgens um 6.40 Uhr in Stuttgart los, kommt mittags in der Hauptstadt an und fährt dort um 13.04 Uhr zurück. Ankunft in Stuttgart: 21.19 Uhr – und das jeden Tag bis 2020.

Locomore wartete, bis DB Netz in diesem Jahr neue Rahmenverträge verteilte. „Davor haben wir nie gewusst, ob wir unsere Trassen überhaupt im Folgejahr wieder erhalten, und wenn, ob zu gleichen Fahrzeiten“, sagt Ladewig. Für die Monopolkommission ist diese Ungewissheit eines der größten Hindernisse. In einem Sondergutachten forderten ihre Experten im Juli eine „grundlegende Reform“ der Trassenvergabe. Der Abschluss „aperiodischer“ Rahmenverträge müsse endlich möglich sein.

Gebrauchtmarkt für Züge ist sehr dünn

Beispiel Züge: Lokomotiven und Wagen sind in Deutschland so schwer zu finden wie Trüffel, es gibt so gut wie keinen Gebrauchtmarkt für Züge. In der Regel verschrottet die DB ihre alten Züge oder verkauft sie in andere Weltregionen. Siemens, Bombardier oder Stadler hätten zwar neue Züge produzieren können. Doch das hätte rund 30 Millionen Euro gekostet, für Ladewig nicht finanzierbar. Im Ausland entdeckte der Berliner dann ehemalige Intercity-Wagen der DB. Die will Ladewig zurückholen. Verträge sind kurz vor dem Abschluss.

Für die Monopolkommission ist der Engpass bei den Zügen ein Teufelskreis. Da ein Gebrauchtwagenmarkt nicht existiere, „müssen die seltenen Kaufgelegenheiten für geeignetes Rollmaterial zeitgleich mit einer Finanzierung vorliegen, für welche wiederum langfristige Trassenkapazitäten gesichert sein sollten“, kritisieren die Ökonomen. Dadurch werde der Markteintritt „fast unmöglich gemacht“.

Beispiel Finanzierung: Bei mehreren Banken hat Ladewig angeklopft und sein Geschäftsmodell präsentiert. Doch am Ende trauten sie sich nicht – selbst eine 80-prozentige Übernahme des Ausfallrisikos durch staatliche Gründungsunterstützung reichte den Instituten nicht. „Den Banken fehlt es an Erfahrung in dem Markt“, so Ladewig. Doch per Crowdfunding sammelte er schon 150.000 Euro von Miniinvestoren ein. Mehr als doppelt so viel sollen weitere Geldgeber hinzuschießen. In diesen Tagen startet ein Vorverkauf von Ticketgutscheinen über die Crowdfundingplattform Startnext.

Wer es Ladewig nachmachen will, wird es kaum leichter haben. EU-Pläne, die Schienennetze unabhängiger zu machen, haben die nationalen Regierungen gerade einkassiert. So wird in den meisten Staaten im Fernverkehr ein faktisches Monopol zementiert. Die Eisenbahn in Europa müsse „restrukturiert werden, um Investitionen und Wachstum zu erleichtern“, heißt es kritisch in einem aktuellen Positionspapier europäischer Bahnverbände.

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Bis zu 300 Stundenkilometer schnell

In Italien ist dies teilweise schon gelungen. Dort investierten Ferrari-Verwaltungschef Luca di Montezemolo und Frankreichs Staatsbahn SNCF eine Milliarde Euro, um die Staatsbahn Trenitalia anzugreifen. Seit 2012 fahren die bis zu 300 Stundenkilometer schnellen Hochgeschwindigkeitszüge des Nuovo Trasporto Viaggiatori (NTV) etwa von Turin und Venedig nach Rom. Die Gewinnschwelle hat NTV allerdings noch nicht erreicht – auch in Italien gibt es Klagen über Probleme beim Netzzugang.

In Deutschland gibt es außer Locomore nur noch einen Bahn-Konkurrenten: den Hamburg-Köln-Express (HKX), an dessen Gründung auch Ladewig beteiligt war. Das Unternehmen verlängert seine Linie ab 2016 immerhin von Köln nach Frankfurt – ein kleines Hoffnungszeichen auf dem Weg zur Profitabilität. Und Motivation für den Locomore-Chef: „Wird unser erster Zug ein Erfolg, folgen andere Ziele: Köln, München, Rügen.“

Derek-Ladewig Quelle: dpa
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