Die Wettbewerber der Deutschen Bahn und die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) fordern in einem offenen Brief eine komplette Neuausrichtung der Eisenbahnpolitik in Deutschland. In dem Schreiben mit dem Titel „Brauchen wir überhaupt einen neuen Bahnchef?“ fordern sie die Bundesregierung auf, das Amt des Bahnchefs in zwei Jobs zu teilen. Der Posten sollte „zunächst nicht nachbesetzt werden, vielmehr sollten zwei Bahn-Manager mit klarem Auftrag, einmal für die Infrastruktur und zum anderen für die Verkehrsleistungen“ an die Arbeit gehen.
Mit dem Brief kommt eine alte Debatte, die die Politik eigentlich für beendet erklärt hatte, wieder neuen Schwung. Kritiker der Deutschen Bahn und Parteien wie die FDP und die Grünen fordern seit Jahren eine Trennung des Konzerns. Das Schienennetz sollte in den Händen des Staates liegen und die Transportgesellschaften wie der Nah,- Fern- und Schienengüterverkehr dagegen könnten privatisiert werden und sich dem Wettbewerb stellen. Doch gegenüber der großen Koalition konnten sie sich nicht durchsetzen.
Zu den Unterzeichnern des aktuellen Briefes zählen namhafte Köpfe aus Politik und Bahnindustrie. So gehören etwa Claus Weselsky, der Chef der Gewerkschaft GDL, Reinhold Dellmann (SPD), Ex-Infrastrukturminister des Landes Brandenburg, und Detlef Neuß, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn, dazu. Auch zahlreiche Wettbewerber wie Christian Schreyer, Chef des Nahverkehrsbetreibers Transdev, Hans Leister, Ex-Manager des Hamburg-Köln-Express, und Ludolf Kerkeling vom Netzwerk Europäischer Eisenbahnen fordern eine stärker Trennung der Ämter.
Wie die Deutsche Bahn 6,3 Milliarden Euro vergeudet
Umwandlung der Bundes- und der Reichsbahn in die Deutsche Bahn AG mit den Töchtern Fernverkehr, Regionalverkehr, Güterverkehr, Bahnhöfe und Netz.
Hartmut Mehdorn wird neuer Bahn-Chef.
Übernahme von Stinnes Logistik mit der Spedition Schenker. (Kosten: 2,5 Milliarden Euro)
Übernahme des US-Logistikdienstleisters Bax Global. (Kosten: Eine Milliarde Euro)
Ausgliederung des Beförderungs- und Transportgeschäfts in die DB Mobility Logistics AG mit dem Ziel des Börsengangs (wegen der Finanzkrise abgeblasen).
Rüdiger Grube wird neuer Bahn-Chef.
Übernahme des britischen Nahverkehrsanbieters Arriva. (Kosten: 2,8 Milliarden Euro)
Endgültiger Abschied vom Börsengang.
Schenker und Arriva sollen - zunächst in Teilen - wieder verkauft werden.
In ihrer Begründung heißt es, die Deutsche Bahn müsse sich deutlich stärker an den Bedürfnissen der Kunden ausrichten. Die Infrastruktursparte DB Netz müsse daher „Leistungen für alle Verkehrsunternehmen und nicht nur für DB-Verkehrsunternehmen erbringen“. Dazu gehöre auch das Projekt „Zukunft Bahn“, mit dem die Weiterentwicklung und Verbesserung des Systems der Eisenbahn in Deutschland erreicht werden soll. „Eine solche Struktur würde es auch dem Eigentümer, also dem Bund, erleichtern, seine verkehrspolitischen Ziele durchzusetzen und die DB besser zu kontrollieren.“
Die heikle Doppelrolle des Bahnchefs ist immer wieder im Fokus der Kritik. Tatsächlich gibt es Zielkonflikte. Als Chef des Fern- oder Güterverkehrs hat er ein Interesse daran, die Wettbewerber aus dem Markt zu drängen. Als Chef der Netzsparte muss er Wettbewerb gutheißen, da die Bahnbetreiber eine Schienenmaut zahlen. Je mehr Züge auf dem deutschen Schienennetz unterwegs sind, desto höher sind die Einnahmen. Das Problem für die Konkurrenten der Deutschen Bahn: Sie wissen nie, welchen Blickwinkel der Bahnchef gerade einnimmt. Sie halten das System deshalb für unfair.
Unabhängige Netzsparte könnte neue Wettbewerber locken
Zwar hat sich die Situation in Deutschland deutlich verbessert. Direkte Diskriminierung gibt es heutzutage kaum. So gab es Zeiten, als die Deutsche Bahn sich weigerte, im ICE die Umstiegsmöglichkeiten für Fernreisende in Züge des konkurrierenden Nahverkehr durchzusagen.
Diese Zeiten unter der Ära von Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn sind vorbei. Die Bundesnetzagentur wacht seit Jahren darüber, dass die Deutsche Bahn in ihrer Rolle als Konkurrent und gleichzeitig Infrastukturbetreiber fair spielt. Und eigentlich macht die Behörde sogar eine ordentlichen Job. Doch die Aufgabe des Watchdogs ist immer eine Second-Best-Lösung.
Denn es gibt auch indirekte Diskriminierung. Allein die Tatsache, dass die Wettbewerber nie wissen, ob DB Netz sämtliche Schritte zugunsten der Wettbewerber ergreifen, empfinden viele Unternehmen als Nachteil.
Vorstandsentscheidungen auf Konzernebene werden immer insgeheim berücksichtigen, dass die eigenen Transportunternehmen nicht zu stark geschädigt würden. Eine unabhängige Netzsparte hingegen könnte versuchen, neue Wettbewerber im Fernverkehr nach Deutschland zu locken. In der jetzigen Struktur ist das unwahrscheinlich.
Die Kritiker fordern deshalb in dem Brief dazu auf, dass die Politik die Chance für einen Neuanfang ergreift. „Die derzeitige Situation, dass der Finanzvorstand den Vorsitz im Konzernvorstand innehat, kann durchaus ein sinnvoller Übergangszustand sein, bis eine Konzernstruktur gefunden ist, die auf Dauer tragfähig und sinnvoll ist“, heißt es darin.
Sehr wahrscheinlich ist das zwar nicht. Die große Koalition hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die derzeitige Struktur nicht antasten will. Auch die Europäische Kommission ist keine Hilfe, da sie integrierte Konzerne ausdrücklich erlaubt. Aber im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn gibt es auch Kritiker der jetzigen Konzernstruktur. Und vielleicht hallen die Worte noch nach. Im September dieses Jahres ist Bundestagswahl – und dann gibt es noch einmal die Möglichkeit, ganz neu zu denken.