Führungswechsel bei der Deutschen Bahn Warum Lutz Bahnchef wird und nicht Pofalla

Richard Lutz wird neuer Chef der Deutschen Bahn. Die Personalie ist eine Überraschung. Warum die Politik den 52-Jährigen zum Bahnchef kürt und was er nun tun muss. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Das sind die größten Baustellen der Bahn
Erst vor wenigen Tagen hat die Bahn den neuen ICE 4 vorgestellt – und sich im Fernverkehr Einiges vorgenommen. Um 25 Prozent soll das Angebot bis 2030 ausgebaut, fünfzig Millionen neue Fahrgäste gewonnen werden. Tatsächlich schafft es die Bahn mit ihrer Preisoffensive, etwa mit den 19-Euro-Tickets, mehr Fahrgäste in die Züge zu locken. Aber die Rendite leidet. Quelle: dpa
Der Güterverkehr der Bahn ist ein Sanierungsfall. Zwar verbesserte sich das Ergebnis von DB Cargo im ersten Halbjahr 2016, aber die Sparte ist defizitär– und das schon seit Jahren. Zwischen 2007 und 2015 stagnierte die Verkehrsleistung, und das in einer boomenden Wirtschaft. Private Anbieter, auch auf der Straße, machen der Bahn zunehmend Konkurrenz. Quelle: dpa
174,63 Millionen Minuten haben die Personen- und Güterzüge der Bahn 2015 an Verspätungen eingefahren. Hauptursache ist die wachsende Zahl von Baustellen. Zwar schneidet die Bahn im ersten Halbjahr 2016 besser ab. Aber: Das Bemühen um pünktliche Züge ist laut Bahnchef Grube „mit großen Kraftanstrengungen verbunden“. Quelle: picture-alliance/ dpa
Die Bahn investiert viel Geld in die Infrastruktur: Gut 5,2 Milliarden Euro flossen 2015 etwa in die Instandhaltung von Schienenwegen und Brücken. Doch es hapert bei der Koordinierung der vielen Baustellen. Und so verursacht die von Konzernchef Grube gefeierte „größte Modernisierungsoffensive in der Bahn-Geschichte“ vor allem eines: Verspätungen. Quelle: dpa
Die Bahn braucht Geld, um den Schuldenanstieg zu bremsen. Geplant war deshalb ein Verkauf von maximal 40 Prozent der britischen Tochter Arriva und des Transport- und Logistikkonzerns DB Schenker. Arriva sollte im zweiten Quartal 2017 an der Londoner Börse starten, Schenker danach in Frankfurt. Doch die Pläne sind jetzt vom Tisch. Quelle: picture alliance/dpa
Bahnchef Grube feierte kürzlich die Grundsteinlegung für den Stuttgarter Tiefbahnhof, aber das Großprojekt bleibt umstritten. Beim Volksentscheid 2011 war noch von 4,5 Milliarden Euro Kosten die Rede. Der Bundesrechnungshof hält nun offenbar zehn Milliarden Euro für möglich, Grube selbst spricht von 6,5 Milliarden Euro. Quelle: AFP

Ist Lutz der Richtige?

Richard Lutz kennt den Konzern wie kein anderer im Vorstand. Seit fast acht Jahren ist er Finanzvorstand der Bahn. Er war die rechte Hand von Ex-Bahnchef Rüdiger Grube. Den Bilanzpressekonferenzen gab neben Grube vor allem Lutz ein Gesicht, als profunder Kenner der Zahlen. Dennoch hat sich Lutz nie in den Mittelpunkt gedrängt. Stattdessen hat er sich Grube untergeordnet, um ihm nicht die Show zu stehlen. Die langjährige Erfahrung als Vorstand der Deutschen Bahn war ausschlaggebend dafür, dass die Wahl auf ihn fiel. Lutz steht für Kontinuität, gleichzeitig kennt er die Baustellen im Konzern. Die Politik wollte vermeiden, dass sich ein externer Kandidat in die komplexe Bahnmaterie einarbeiten muss. Insofern ist Lutz eine gute Wahl.

Ist die Entscheidung eine Niederlage für Pofalla?

Ja. Es gibt zwar widersprüchliche Meldungen über die Rolle des früheren Kanzleramtsministers und heutigen Infrastrukturvorstands Ronald Pofalla. Die einen schreiben, Pofalla habe bis zum Schluss darauf gedrängt, selbst Bahnchef zu werden. Andere schreiben, Pofalla habe Lutz selbst als Konzernchef vorgeschlagen. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Es ist keine Frage, dass sich Pofalla den Job des Bahnchefs zugetraut hätte. Aber er ist auch Polit-Profi genug, um zu erkennen, dass eine Person mit CDU-Parteibuch als Bahnchef der SPD im Wahljahr nicht vermittelbar gewesen wäre. Insofern dürfte Pofalla Lutz unterstützt haben. Aber Lutz ist erst 52 Jahre alt und „keine Übergangslösung“, wie aus Regierungskreisen zu hören ist. Insofern wird Pofalla wohl nie Bahnchef werden.

Neue Züge der Deutschen Bahn

Warum wird der Vorstand vergrößert?

Der Vorstand wird um zwei weitere Vorstandsposten erweitert und hat dann sieben statt fünf Vorstände. Dafür gibt es gute Gründe. Zum einen wird es einen neuen Vorstand für den Güterbereich geben. Das ist dringend nötig. Denn bislang kümmerte sich Berthold Huber um das Thema. Allerdings leitete er im Vorstand auch den Bereich Personenverkehr. Beide Aufgaben in Personalunion zu führen, wirkte vom ersten Tag an zu ambitioniert. Zumal die Güterbahn die größte Baustelle im Konzern ist. Des Weiteren wird es einen neuen Vorstand für Technik und Digitalisierung geben. Man kann darüber streiten, ob diese Funktion wirklich nötig ist. Digitalisierung ist eigentlich Kernaufgabe jedes Ressorts. Allerdings hat die Deutsche Bahn, zum Beispiel auf dem Schienennetz, erheblichen Nachholbedarf.

Neue Züge der Deutschen Bahn

Wird es eine Frau im Vorstand geben?

Davon ist auszugehen. Zwar sind die neuen Vorstandsposten noch nicht besetzt, aber mehrere Gewerkschafter und Politiker, die im Aufsichtsrat der Bahn sitzen, haben sich im Vorfeld mehrfach dafür ausgesprochen, dass die Bahn endlich wieder eine Frau im Vorstand braucht. Zwar gab es mit Heike Hanagarth (Technik) und Margret Suckale (Personal) bereits schon zwei Vorstandsfrauen, doch ihre Amtszeiten währten nicht lange. Im Gespräch ist derzeit Sigrid Nikutta für den Vorstandsbereich Cargo. Die derzeitige Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe hat den Nahverkehr in der Hauptstadt im Griff. Zudem war sie früher schon mal bei der Güterbahntochter der Deutschen Bahn. Sie kennt sich also aus. Unter Bahnchef Rüdiger Grube soll sie schon einmal kurz davor gestanden  haben, zur Bahn zu wechseln. Allerdings hielt sie Grube damals für (noch) nicht geeignet.

Was steht auf der Agenda?

Was steht für Bahnchef Lutz auf der Agenda?

Die wichtigste Aufgabe für Lutz: Er muss es endlich schaffen, dass die Güterbahntochter DB Cargo aus der Krise kommt. Seit Jahren fährt das Unternehmen hinter den selbst gesteckten Zielen hinterher und fährt Millionen-Verluste ein. Lutz muss einen Vorstand finden, der das Zeug dazu hat, die Sanierung erfolgreich voran zu treiben. Ob er das der BVG-Chefin Nikutta zutraut, ist ungewiss. Die zweite wichtige Aufgabe: Beim Thema Digitalisierung hat die Bahn erheblichen Nachholbedarf. Das betrifft weniger das WLAN in den ICE-Zügen. Dort setzt die Bahn inzwischen neue Technik ein, die sogar ganz gut funktioniert. Allerdings arbeitet der Schienennetzbetreiber DB Netz noch sehr stark mit analogen Abläufen wie Fax und Papier. Hier könnte ein neuer Digitalisierungs-Vorstand neue Impulse bringen. Im Gespräch für den Posten ist Noch-Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm. Allerdings braucht auch diese Personalentscheidung jetzt vor allem das Okay von Lutz.

Was wird aus dem Sanierungsprojekt „Zukunft Bahn“?

Ex-Bahnchef Grube leitete Ende 2015 einen Sanierungsprozess ein, der den gesamten Konzern betraf. Grund waren Sonderabschreibungen bei der Güterbahntochter DB Cargo, die den Konzern das erste Mal seit Jahren ins Minus drückten. Grube definierte im Rahmen des Projekts „Zukunft Bahn“ rund 50 Maßnahmen, mit denen die Bahn verlässlicher, pünktlicher und kundenfreundlicher werden will. Kritiker halten die Maßnahmen für richtig. Gleichwohl warfen sie dem ehemaligen Manager vor, viel zu spät reagiert zu haben. Es ist wohl auch diese Erfahrung, dass sich die Politik nun für Lutz entschieden hat, also jemanden, der sich nicht erst neu einarbeiten muss, wie dies Grube 2009 tun musste, als er Bahnchef wurde. Lutz wird das Reformprojekt ohne Abstriche weiter führen. Schließlich hat er es selbst im Aufsichtsrat vertreten und mitgetragen.

Wo Kunden zufrieden sind – und wo nicht
Pünktlichkeit: Jeder fünfte ICE kam 2015 mindestens sechs Minuten zu spät an. Die Leistungen entsprechen nicht annähernd den Zielen der Deutschen Bahn. Sie will in diesem Jahr eine Pünktlichkeitsquote von 80 Prozent erreichen, langfristig sogar auf 85 Prozent hoch kommen. Die Tendenz 2016 bleibt jedoch weiter schwach. Im Januar lag die Pünktlichkeitsquote bei 77 Prozent. Quelle: AP
Preise: Die Zeiten der jährlichen Preiserhöhung wegen „gestiegener Energie- und Personalkosten“ sind vorbei. Zumindest im Fernverkehr blieben die Preise seit zwei Jahren stabil - den Fernbussen sei Dank. 19-Euro-Sparpreise locken inzwischen selbst Schüler und Studenten. Die neue Devise des Vorstands: lieber volle Züge statt leerer Kassen. Preislich ist die Bahn inzwischen wettbewerbsfähig. Quelle: dpa
ICE-Restaurant: Leider ist die Küche zu oft kaputt. Mal bleiben die Getränke warm oder der Kaffee kalt. Mitunter fehlen die angepriesenen Snacks wegen schlechter Logistik. Dennoch: Wenn es läuft, dann ist ein Sitz im ICE-Restaurant der schönste Platz im Zug – gerne auch bei einem der guten Weine.Urheber: Volker Emersleben // Deutsche Bahn AG
WLAN: In der zweiten Klasse eines ICE ist WLAN noch immer nicht kostenlos und in der ersten Klasse funktioniert der Download alles andere als einwandfrei. Als 2010 zahlreiche ICE grundsaniert wurden, verzichtete das Unternehmen sogar auf den Einbau der WLAN-Technik. So viel Behäbigkeit wird nun bestraft. Die Fernbusse machen der Bahn in Sachen WLAN was vor. Erst Ende 2016 soll es auch im ICE besser werden. Viel zu spät. Quelle: dpa
Information: Schon mal in Bielefeld am Bahnhof gewesen? Seit Jahren fallen die Anzeigentafeln immer wieder aus. Bielefeld gibt es leider auch anderswo. Und wenn die Anzeigen am Bahnsteig funktionieren, dann korrespondieren sie oft nicht mit den Informationen der Bahn-Apps. In den Zügen sollte die Bahn mal ihre Durchsagen auf Relevanz überprüfen. Immerhin am Bahnsteig soll es bald Entwirrung geben. Die Bahn will Multi-Zug-Anzeigen einsetzen: mit drei Zügen auf dem Display. Das klingt gut. 40 von insgesamt 120 Fernbahnhöfen sind bereits umgerüstet. Quelle: dpa
Apps: Nicht jede Frage an @DB_Bahn beantwortet das Twitter-Team zwar zu voller Zufriedenheit. Dennoch zeigen die Twitterer der Deutschen Bahn, wie schnell und effektiv ein Konzern mit seinen Kunden kommunizieren kann. Eine starke Leistung. Auch der DB Navigator bietet echten Mehrwert. Die Deutsche Bahn beweist mit ihren Apps, dass auch traditionelle Konzerne digitale Maßstände setzen können.   Quelle: dpa
Lounges: Ein großzügiger Service für Vielfahrer: kostenloser Kaffee, Tee, Wasser und Softdrinks. In der ersten Klasse erhalten Fahrgäste auch Bier, Wein und Snacks. Leider ist die zweite Klasse oft zu voll. Die Deutsche Bahn prüft den Aufbau zusätzlicher Lounges in ein bis zwei Städten. Quelle: dpa

Wie steht die Deutsche Bahn derzeit da?

Die Bahn steht weiterhin stark unter Druck. Zwar sind die Ergebnisse im vergangenen Jahr deutlich besser ausgefallen als ein Jahr zuvor. Doch das liegt vor allem daran, dass die Güterbahntochter 2015 den Konzernverlust zu verantworten hatte. Ohne Sonderbelastung haben sich die Ergebnisse allenfalls nur leicht verbessert. Denn die Güterbahn befindet sich nach wie vor im Krisenmodus. Der Fernverkehr hat zwar mit Sparpreisen ein Gegenmittel gegen die Fernbusse auf der Straße gefunden, aber die gewonnenen Fahrgäste gehen einher mit weniger Marge pro Kunde. Im Nahverkehr hat die Deutsche Bahn außerdem weiterhin wichtige Verträge verloren. Der Marktanteil fällt weiter.

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