Klinikkette Paracelsus ist pleite „Jedes zehnte Krankenhaus ist insolvenzgefährdet“

Paracelsus Krankenhaus Quelle: dpa

Kurz vor Weihnachten schockt die private Klinikkette Paracelsus mit einem Insolvenzantrag. Weitere könnten folgen, warnt Professor Boris Augurzky. Viele Krankenhäuser sind zu klein und zu breit aufgestellt.

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Einmal im Jahr blickt Boris Augurzky tief in die Geschäftsbücher der deutschen Krankenhäuser. Der gelernte Mathematiker und Volkswirtschaftler ist Professor an dem RWI-Leibnizinstitut für Wirtschaftsforschung in Essen, das den jährlichen Krankenhaus Rating-Report entwickelt. Mit den Erkenntnissen reist Augurzky durch die Republik und versucht, Krankenhäuser wirtschaftlich besser aufzustellen. Trotzdem geraten immer wieder Kliniken in die Insolvenz. Nun trifft es den privaten Klinikbetreiber Paracelsus. Zu der Kette gehören 40 Einrichtungen und 5200 Mitarbeiter. Im Interview erklärt Boris Augurzky die Gründe für das Scheitern.

Professor Augurzky, die private Klinikkette Paracelsus musste gerade Insolvenz anmelden. Wie vielen anderen Krankenhäusern droht die Pleite?
Boris Augurzky: Wir haben in Deutschland ungefähr 1800 Krankenhäuser, davon ist jedes zehnte Krankenhaus insolvenzgefährdet. Das sind die Häuser, die wirklich im roten Bereich sind. Verluste machen sogar noch mehr, das ist etwa ein Viertel. Aber viele kommen damit zumindest vorübergehend zurecht.

Zur Person Augurzky

Jedes Zehnte? Ist die Situation so schlimm?
Tatsächlich ist die wirtschaftliche Lage im Moment vergleichsweise gut. Vor einigen Jahren war noch etwa jedes achte Haus gefährdet. Im Moment haben auch die Krankenkassen Überschüsse. Das kommt zwar nicht immer bei den Krankenhäusern an, aber wenigstens wird dann auch nicht viel gekürzt.

Woran liegt es, dass trotzdem so viele Krankenhäuser Verluste schreiben?
Ein wichtiger Grund ist, dass es in Deutschland viele kleine Krankenhäuser gibt, die ein sehr breites Angebot haben. Die Vorhaltekosten sind hoch und der Spezialisierungsgrad ist oft relativ gering: Sie bieten viele Leistungen, kommen aber je Leistungsart nicht auf die nötigen Mengen. Solche Kliniken stehen in der Regel schlechter da als diejenigen, die sich stärker auf wenige Leistungsfelder fokussieren, und dann diese Leistungen oft auch besser und in größerem Umfang machen.

Ist das nicht auch ein politisches Problem?
Das Grundproblem ist, dass wir in Deutschland eine zu hohe Krankenhausdichte haben. Im internationalen Vergleich sind wir hier sehr großzügig ausgestattet. Aber es gibt auch viele innerdeutsche Unterschiede. Nehmen sie das Land Sachsen: Dort gibt es kaum Krankenhäuser, die gefährdet sind. Die neuen Bundesländer haben nicht so viele, dafür aber größere Kliniken.

In Ballungsgebieten wie zum Beispiel München und im Ruhrgebiet ist außerdem die Wettbewerbsintensität sehr hoch. Da braucht man schon ein großes Haus, um sich überhaupt behaupten zu können. Der Markt erzwingt quasi gewisse Insolvenzen; er lässt die hohe Dichte an einigen Standorten nicht mehr zu. Deshalb schließen sich aktuell viele Häuser zusammen. Das machen zurzeit auch viele kommunale Anbieter.

Was war das Problem bei Paracelsus?
Zum einen hat Paracelsus viele kleine Krankenhäuser, die auch sehr verstreut sind. Damit fällt es dem Konzern schwerer als anderen privaten Anbietern, Synergien zu heben. Die Häuser kann man nicht einfach so zusammenlegen.

Außerdem ist es bei jeder Klinikkette wichtig, dass sie eine solide Unternehmensstrategie hat. Und es ist wichtig, dass sie die Strategie konsequent verfolgt und nicht kurzfristig verwirft. Wichtig ist außerdem eine klare Aufgabentrennung von Eigentümern und dem Management. Paracelsus hat nur einen Eigentümer, Dr. Manfred Krukemeyer. Wenn das Verhältnis zwischen Eigentümer und Geschäftsführung angespannt ist, kann das zusätzlich zu Problemen führen.

Viele private Klinikketten haben keinen guten Ruf. Bedeutet die Pleite von Paracelsus nun einen Rückschlag für die privaten Betreiber?
Das könnten manche so sehen. Dem würde ich aber nicht zustimmen. Die privaten Anbieter sind im Durschnitt an der Spitze, was die wirtschaftliche Lage angeht. Paracelsus ist hier eine Ausnahme.

Das sind die größten Pharmakonzerne der Welt
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Platz 8: Glaxo-Smithkline Quelle: dpa
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Platz 6: Bayer Quelle: dpa
Platz 5: Sanofi Quelle: REUTERS
Platz 4: Novartis Quelle: AP

Vielen kommunalen Krankenhäusern geht es sogar noch schlechter. Aber die kommen oft gar nicht in die Insolvenz, weil zuvor die Städte oder der Landkreis einspringen. Da werden Defizite viel länger geduldet oder die Lücken einfach gestopft. Das kann ein privater Anbieter nicht. Da gibt es niemanden, der einfach so ein paar Millionen spendet, damit es weiter läuft.

Der Betrieb in den Paracelsus-Kliniken geht erst mal weiter. Müssen Patienten sich Sorgen machen, dass sie vielleicht nicht so gut versorgt werden?
Nein, da würde ich mir keine Sorgen machen. Der Vorteil an unserem Gesundheitssystem ist, wenn der Patient kommt, dann zahlen die Kassen auch. Erst wenn die Patienten wegbleiben, hat das Krankenhaus ein Problem. Die Einnahmen werden für Paracelsus also weiter laufen. Das Problem ist, dass die Kosten zu hoch sind. Natürlich kann es aber im Fall einer Insolvenz immer passieren, dass das Personal unruhig wird und deshalb vielleicht Ärzte oder Pflegekräfte eher wechseln.

Paracelsus will sich nun selbst sanieren. Hat das Aussicht auf Erfolg?
So ein Sanierungsverfahren in Eigenregie bietet auch eine Chance. So kann die Geschäftsführung gewisse harte Maßnahmen leichter umsetzen, ohne ständig an rechtliche Hürden zu stoßen. Es kann die Sanierung konsequenter verfolgen und sein bestehendes Portfolio bereinigen. Es gilt jetzt, eine klare Strategie zu verfolgen. Vielleicht heißt dies auch, sich „gesund zu schrumpfen“ und sich von dem einen oder anderen Standort zu trennen.

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