Rund 24 Millionen Menschen folgen Taylor Swift auf TikTok. Dabei gibt sich die amerikanische Popsängerin gar nicht allzu viel Mühe, um ihren Fans einen Klick auf den „Folgen“-Button schmackhaft zu machen: „Dies hier ist mehr oder weniger nur ein Katzen-Account“, beschreibt sie ihr Profil auf dem sozialen Videonetzwerk selbst. Und tatsächlich: Katzeninhalte finden sich dort zuhauf.
Was sich auf dem TikTok-Profil der erfolgreichen Sängerin dagegen nur vereinzelt findet: Musik. Zumindest seit diesem Donnerstag. „Dieser Sound ist nicht verfügbar“, heißt es nun stattdessen unter einigen Videos, die noch am Mittwoch mit Swift-Songs unterlegt gewesen waren. Und auch wer eigene TikTok-Videos mit Swifts Musik unterlegen möchte, hat seit dem 1. Februar 2024 Pech: Swifts gesamter Katalog taucht bei entsprechenden Suchanfragen in der App nicht mehr auf.
Hintergrund der neuerdings stummen Swift-Videos ist ein öffentlich ausgetragener Machtkampf zwischen TikTok bzw. dessen chinesischer Mutter Bytedance und Swifts Musiklabel Universal Music Group (UMG), bei dem beide Seiten nicht mit Anschuldigungen gegenüber der Gegenseite sparen: Von Einschüchterungstaktiken ist da die Rede auf der einen Seite, von „falschen Narrativen und Rhetoriken“ auf der anderen.
Unterm Strich steht die Erkenntnis, dass sich TikTok und Universal Music nicht auf einen neuen Lizenzdeal einigen konnten und der alte Deal mit dem Januar ausgelaufen ist. Und die Erkenntnis, dass keine der beiden Seiten bereit ist, einen Schritt auf das Gegenüber zuzugehen. Die Fronten sind verhärtet. Im Ergebnis zieht die Universal Music Group (UMG), die mit einem Marktanteil von 32 Prozent weltgrößte Plattenfirma, nun ihren gesamten Songkatalog von der Plattform ab.
Es könnte ein Schritt mit Signalwirkung für die ganze Musikbranche sein, die seit Jahren um eine aus ihrer Sicht fairere Vergütung für Musik auf den großen Tech-Plattformen ringt. Das Getöse rund um seine Ankündigung war am Mittwoch auch entsprechend groß: Universal Music veröffentlichte dazu nicht etwa eine simple Pressemitteilung, sondern einen „offenen Brief an die Gemeinschaft der Künstler und Songwriter“.
TikTok habe den Musikern und Songautoren nur „einen Bruchteil“ der auf ähnlichen anderen Online-Plattformen üblichen Vergütung geboten, argumentiert das Musiklabel in seinem „offenen Brief“. Auch lasse TikTok in großem Stil mit Hilfe künstlicher Intelligenz erstellte Musik auf die Plattform – und wolle vertraglichen Freiraum dafür. Damit treibe der Dienst faktisch „das Ersetzen von Künstlern durch KI“ voran.
„Die Gier über die Interessen der Künstler gestellt“
TikTok konterte, ebenfalls in einem öffentlichen Statement, Universal Music habe „die eigene Gier über die Interessen ihrer Künstler und Songautoren gestellt“. Man sei darüber „traurig und enttäuscht“. Der Musik-Konzern bleibe damit einer Plattform mit „deutlich mehr als einer Milliarde Nutzer“ fern, auf der Musik beworben und entdeckt werde. Universal Music handele damit nicht im Interesse der Musiker und Fans.
TikTok könnte der Ausstieg von Universal Music unzufriedene Nutzer bringen, ist Musik doch ein zentraler Bestandteil vieler TikTok-Videos. Mehr noch: Der Abgang von Universal Music trifft das Unternehmen mitten ins Mark, so sehr es sich in seiner Replik auch darum bemüht, die eigene Machtposition hervorzuheben. Musik und Sounds seien „zentrale Bestandteile des TikTok-Erlebnisses“, prahlt das Unternehmen nicht zufällig gegenüber seinen Werbepartnern. Man wolle „ein guter und wertvoller Bestandteil der Musikindustrie sein“, sagte deshalb auch TikToks Musikchef Ole Obermann noch im vergangenen Jahr dem Branchenmedium „Musikwoche“.
Ein schwindender Songkatalog nun macht TikTok für seine Nutzer nicht attraktiver. Umso mehr, da Universal Music neben Taylor Swift auch eine ganze Reihe weiterer Weltstars unter Vertrag hat. Billie Eilish etwa, der auf der Plattform derzeit 51,1 Millionen Menschen folgen, den Rapstar Drake, dessen Musik in den vergangenen zehn Jahren mehr als einen viralen TikTok-Trend ausgelöst hatte. Auch die bei Jugendlichen sehr beliebte südkoreanische Boyband BTS, die mit über 64 Millionen Followern den erfolgreichsten Musikeraccount auf TikTok überhaupt betreibt, steht bei Universal Music unter Vertrag.
„Je mehr Kunden und eigene Inhalte TikTok hat, umso mehr kann es den Plattenfirmen die Bedingungen für die Nutzung von deren Musik diktieren“, sagte Tatiana Cirisano vom britischen Marktforscher Midia Research der WirtschaftsWoche bereits Ende 2022. Oder doch nicht? Noch ist diese Messe jedenfalls nicht gelesen. Und fest steht: Ganz so einseitig wie seinerzeit vermutet läuft der Machtkampf zwischen TikTok und den Lizenzgebern nicht.
Derzeit bestehen noch Lizenzvereinbarungen zwischen TikTok und den beiden anderen großen, marktführenden Musiklabels neben Universal Music, namentlich Warner Music und Sony Music Entertainment. Im November 2020 schloss TikTok zudem einen Lizenzvertrag mit dem europäischen Lizenzdienst ICE, zu dem auch die deutsche Verwertungsgesellschaft GEMA gehört. Wann diese Deals jeweils auslaufen, ist nicht bekannt. Es dürfte allerdings zeitnah so weit sein. Der Deal mit Warner etwa wurde Anfang 2021 zeitgleich mit dem nun ausgelaufenen Universal-Deal geschlossen.
Ob die anderen Rechteinhaber nachziehen werden oder nicht, dürfte entscheidend sein für den Ausgang des Streits zwischen TikTok und Universal Music. Nicht umsonst liest sich der „offene Brief“, den die Plattenfirma am Mittwoch veröffentlichte, auch wie ein Appell um Solidarität an die eigene Branche – von der es allerdings zumindest öffentlich bislang keine gibt. Auch auf Anfrage der WirtschaftsWoche wollte sich bislang kein anderer Rechteinhaber, der laufende Deals mit TikTok hat, zu dem Thema äußern.
Hinter verschlossenen Türen sehe das anders aus, versichert allerdings ein Branchenkenner, der nicht namentlich genannt werden möchte. Es sei an der Zeit, dass sich die Branche geschlossen zur Wehr setze. Denn: Es gehe bedeutend schneller, die Plattformen aufzuzählen, die wirklich um eine faires Miteinander mit Künstlern und Labels bemüht seien, als die, die die Branche ausbeuteten. TikTok sei da bei weitem kein Einzelfall. Wenn auch, so sieht es zumindest Universal Music in seinem „offenen Brief“, wohl ein besonders schlimmer.
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