Verdorbene Kalkulation Diese Gefahren drohen aus der Kantinen-Küche

Hoher Preisdruck, schlechte Bezahlung und unklare Herkunftsbezeichnungen sind die Keimherde in Großküchen. Doch die Probleme in deutschen Kantinen gehen noch viel weiter.

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Das essen die Deutschen in der Kantine am liebsten
Kantinenessen wird gesünder Quelle: dpa
Pizza Quelle: AP
Hähnchengyros Quelle: Fotolia
Platz acht geht an die Lasagne Bolognese mit Rinderhack. In den vergangenen Jahren kam das Gericht immer unter die Top Ten. Quelle: REUTERS
Bami Goreng Quelle: dpa
Cappelletti-Pesto-Pfanne Quelle: dpa
Schnitzel Quelle: Fotolia

Roland Brück öffnet die Tür zur Kühlkammer, begutachtet frische Möhren, Blattsalat und Kürbisse in Plastikkörben. Er prüft, ob keine Pappkartons in der Kammer lagern, die Keime an die frischen Lebensmittel abgeben könnten, und wirft einen Blick aufs Thermometer: Sieben Grad darf es höchstens anzeigen.

Brück ist Direktor für Qualitätsmanagement beim Kantinenbetreiber Compass aus Eschborn bei Frankfurt. Der 53-Jährige sorgt dafür, dass in seinen Küchen zum Beispiel Fleisch auf dem Weg aus dem Kühlhaus bis zur Pfanne möglichst wenig Keime und Bakterien abbekommt, dass die warmen Gerichte über 65 Grad erhitzt werden und dass seine Köche den Salat in Essigwasser mit etwas Salz waschen, um Bakterien ganz sicher abzutöten.

Die häufigsten Erreger in Lebensmitteln

Doch der Compass-Manager ist Realist. „Kein Betreiber der Welt kann eine 100-prozentige Sicherheit garantieren“, gibt er zu. Zuletzt sorgte der Wettbewerber Sodexo für Schlagzeilen: Über 11 000 Kinder an ostdeutschen Schulen waren an Brechdurchfall erkrankt, nachdem sie verseuchte Erdbeeren aus China gegessen hatten, die der drittgrößte Caterer in Deutschland zu Desserts verarbeitet hatte.

Sodexo ist zwar der spektakulärste Fall seit Langem, aber nicht der einzige. Denn die Kantinenbetreiber stehen unter Druck wie seit Jahren nicht mehr. Kommunen und Unternehmen kürzen ihre Zuschüsse zur Verpflegung ihrer Beschäftigten und Anvertrauten, wo es nur geht. Den Caterern bleibt nur, an allen erdenklichen Ecken zu sparen – vor allem beim Wareneinsatz und beim Personal. Dabei bleibt die Qualität häufig auf der Strecke.

Insgesamt 50 Fälle von Infektionen durch Lebensmittel hat das Bundesinstitut für Risikobewertung für 2011 dokumentiert – etwa ein Dutzend Mal war mutmaßlich ein Kantinenbetreiber involviert. „Ob ein Caterer aus Kostengründen schon mal die eine oder andere Hygieneregel, etwa Händewaschen oder ausreichende Erhitzung, nicht beachtet, erfahren wir Verbraucher nicht – die Ergebnisse der Lebensmittelkontrollen werden nicht veröffentlicht“, kritisiert Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch.

Ohne Absender

Von Pferdelasagne und Ehec-Sprossen
2016: Plastik im SchokomantelAbermillionen Schokoriegel müssen in die Werkstatt – sozusagen. Nachdem eine Kundin in einem Marsriegel auf ein Stück Plastik gebissen hat, hat der Hersteller mit einer gigantischen Rückruf-Aktion begonnen. Sie gilt mittlerweile für alle Staaten der Europäischen Union, mit Ausnahme von Bulgarien und Luxemburg. Betroffen sind Riegel der Marken Mars und Snickers mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum vom 19. Juni 2016 bis 8. Januar 2017 zurück; zudem alle Produkte der Marke Milky Way Minis und Miniatures sowie mehrere Celebrations-Mischungen mit diesem Mindesthaltbarkeitsdatum. Quelle: dpa
2016: Glyphosat und Malz, Gott erhalt'sPro Jahr konsumiert ein Deutscher durchschnittlich 107 Liter Bier. Und damit nicht nur, streng nach dem deutschen Reinheitsgebot, Wasser, Hopfen, Hefe und Malz, sondern auch noch eine gerüttelte Menge Glyphosat – das weltweit meist eingesetzte Pestizid. In deutschen Bieren wurden Mikrogrammwerte deutlich über den Grenzwerten für Trinkwasser gemessen, im krassesten Fall 300-fach über dem Grenzwert. Direkte Gefahr für die Gesundheit besteht allerdings nicht. Quelle: dpa
2014: Dänischer Wurstskandal erreicht DeutschlandIn Dänemark stellte sich 2014 heraus, dass Produkte des Wurstherstellers Jørn A. Rullepølser mit Listerien-Bakterien verseucht waren. Listerien sind für gesunde Menschen in aller Regel ungefährlich, allerdings ein Risiko für immungeschwächte Personen und schwangere Frauen. In Dänemark starben innerhalb von 30 Tagen zwölf Menschen, 15 weitere erkrankten. Der Betrieb wurde geschlossen, die Produkte zurückgerufen. 160 Kilogramm waren auch an einen deutschen Supermarkt in Schleswig-Holstein an der dänischen Grenze gegangen – sie waren bereits verkauft, bevor sie sichergestellt worden konnten. Verbraucher wurden gebeten, die Wurst zu vernichten oder zurückzugeben. Quelle: dpa
2014: Käse mit ColiDas Unternehmen Vallée-Verte rief die zwei Käsesorten „Saint Marcellin“ und „Saint Felicien“ zurück. In den Produkten der französischen Käserei Fromageries L'Etoile wurden Coli-Bakterien nachgewiesen. Diese können innerhalb einer Woche nach Verzehr zu teils blutigem Durchfall, Bauchschmerzen, Erbrechen sowie Fieber führen. Gerade bei Kindern besteht außerdem die Gefahr von Nierenkomplikationen. Quelle: dpa
2014: Von wegen Edel-Hähnchen2014 deckte die „Zeit“ auf: Das Neuland-Gütesiegel, gegründet vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem deutschen Tierschutzbund und der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft, als ganz besonderes Qualitätssiegel hielt bei Brathühnchen nicht so ganz, was es versprach. Eigentlich sollten Neulandtiere aus Freilandhaltung stammen, gefüttert mit Körnern aus der Region. Tatsächlich stammen in Norddeutschland viele Tiere aus einem ganz gewöhnlichen industriellen Schlachtbetrieb in Niedersachsen. Quelle: dpa
2013: Pferd in der LasagneZusammen mit der Ehec-Epidemie wohl der aufsehenerregendste Lebensmittel-Skandal der vergangenen Jahre: 2013 stellte sich heraus, das Rindfleisch in mehreren Fertiglasagnen aus der Tiefkühlung war eigentlich Pferd. Im Anschluss wurden in Labortests rund 70 Fälle von falsch etikettierten Fertigprodukten nachgewiesen. Die größte Menge an Pferdelasagne gab es in Nordrhein-Westfalen mit 27 Fällen, gefolgt von Hessen (13), Baden-Württemberg (8) und Bayern (8). Weitere betroffene Länder waren Mecklenburg-Vorpommern (5), Brandenburg (4) und Hamburg (2). Quelle: REUTERS
2013: Noch mehr PferdBegonnen hatte der Skandal in Irland und Großbritannien, wo bereits im Januar Hamburger-Frikadellen auftauchten, die Spuren von Pferd enthielten. Bei Hamburgern der Marke Tesco waren es sogar deutlich mehr als nur „Spuren“: Sie bestanden zu 23 Prozent aus Pferdefleisch. Die Tiefkühl-Hackbällchen „Köttbullar“ der Möbelhaus-Kette Ikea in tschechischen Häusern enthielten ebenfalls Pferd und flogen daraufhin aus dem Sortiment – zum Ausgleich landete in schwedischen Tiefkühlregalen Lasagne mit einem Pferdefleischanteil von bis zu 100 Prozent. In ganz Europa wurden schließlich Händler festgenommen, die falsch deklariertes Fleisch verkauften. Quelle: dpa

Vergrößert wird die Gefahr, dass keimhaltiges Essen serviert wird, durch lückenhafte Gesundheitsvorschriften. Während bei Obst und Gemüse die Herkunft angegeben werden muss, fehlt diese Pflicht bei anderen Lebensmitteln. „Oft wissen die Betreiber gar nicht, woher die Ware und die Zutaten ursprünglich stammen“, sagt Günther Lehmann, Geschäftsführer des gleichnamigen Cateringbetriebs aus Bonn.

Im Fall der tiefgefrorenen Erdbeeren bei Sodexo dauerte es Tage, bis klar war, dass die Ware aus China angeliefert wurde. „Gerade bei Tiefkühlprodukten muss die Herkunft nicht angegeben werden“, sagt der Ernährungswissenschaftler Volker Peinelt von der Hochschule Niederrhein.

Die größten Cateringunternehmen in Deutschland 2011

Caterer Lehmann, der auf Schulspeisen spezialisiert ist, weiß zumindest bei vielen frischen Zutaten, woher diese stammen. Jeden Morgen ab fünf Uhr klappert er mit seinem VW Transporter die Bauern im Bonner Umland ab und lädt Salat, Kartoffeln und Obst in den Kofferraum, die seine Köche am Vormittag verarbeiten. Insgesamt liefert Lehmann täglich etwa 5500 Essen an etwa 70 Schulen in der Region.

Die großen Kantinenbetreiber in Deutschland – dazu zählen neben Compass und Sodexo noch der US-Konzern Aramark und der Berliner Dienstleister Dussmann – beschränken sich auf allgemeine Auskünfte, wenn es um die Herkunft ihrer Lebensmittel geht. „Wir haben die Herkunft der Lebensmittel und die Sicherheit in der gesamten Nahrungskette jederzeit im Blick“, heißt es etwa in einer Stellungnahme von Dussmann. Konkreter äußert sich Compass. „Bei den frischen Nahrungsmitteln wie Obst und Gemüse sind die Produzenten direkt auf der Verpackung ersichtlich. Bei bereits verarbeiteten » » Produkten wie Räucherlachs können wir beispielsweise über den Hersteller zusammen mit der Produktnummer das Fanggebiet ermitteln“, so Qualitätsmanager Brück.

Insgesamt erwirtschaftete die Cateringbranche im vergangenen Jahr einen Umsatz von drei Milliarden Euro; knapp die Hälfte davon entfällt auf die Branchenführer Sodexo, Compass und Aramark. Die meisten Unternehmen können sich über ordentliche Wachstumsraten freuen – die gute Konjunktur hat für mehr zahlende Gäste gesorgt. Bei den Gewinnen sieht es aber bescheidener aus. Die meisten Caterer veröffentlichen dazu keine Zahlen; neben dem Kantinengeschäft bieten sie oft noch andere Servicedienstleistungen an.

Knausrige Kommunen

Die verrücktesten Restaurants der Welt
Im Hörnchen oder im Becher? Quelle: Pressebild
Das Restaurant Hospitalis in Riga Quelle: Pressebild
Affig serviert Quelle: Screenshot
Die terasse des chilenischen Restaurants Villaseca Solar Restaurant Quelle: Solarcookers
72oz-Steak Quelle: Pressebild
Licht aus, bitte!
Gib ihm Zucker Quelle: Pressebild

Unisono klagen die Betreiber über den hohen Preisdruck. „Die Kommunen knausern beim Schulessen. Und viele Unternehmen haben ihre Kantinen ausgelagert, den Kostendruck erhöht und Zuschüsse gekürzt“, sagt Guido Zeitler, Referatsleiter für das Gastgewerbe bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).

Viele Kommunen, die per Gesetz für das Schulessen zuständig sind, sind selbst klamm. Sie setzen den Preis für ein Schulessen fest, meist etwas mehr als zwei Euro. Dazu schießen sie einen Teil oder gar nichts zu, den Rest tragen die Eltern. Als Berlin im Frühjahr 2,10 Euro pro Schulessen festschrieb, weigerten sich viele Caterer, überhaupt ein Angebot abzugeben.

„Bei mir geht kein Essen unter drei Euro raus“, sagt der Bonner Caterer Lehmann, „die Marge beträgt ohnehin nur wenige Cent.“ Der 55-Jährige rechnet vor: Bei einem Hähnchenschnitzel mit Brokkoli und Kartoffeln plus einem Apfel zum Nachtisch müsse er allein für die Zutaten mit 1,20 Euro pro Mahlzeit kalkulieren. Hinzu kommen Ausgaben etwa für Personal, Geräte und Logistik sowie die Mehrwertsteuer, die den Großteil der Kosten ausmachen.

Compass hält sich wegen des Preisdrucks beim Schulcatering zurück. „Wir würden gerne stärker in den Markt einsteigen, aber eine Drei müsste beim Preis schon vor dem Komma stehen, damit wir ausgewogene, frisch gekochte Gerichte anbieten können“, sagt Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Thamm.

In den Betriebskantinen können die Caterer zwar mehr Geld verlangen, werden von ihren Auftraggebern aber auch dort knappgehalten. Etwa 30 Prozent der Unternehmen haben ihre Kantine bereits ausgelagert. „Die Zeiten, als die Arbeitgeber die Verpflegung ihrer Mitarbeiter noch als soziale Fürsorgepflicht gesehen haben, sind vorbei“, sagt Gewerkschafter Zeitler.

Immerhin betreiben etwa Daimler, VW, BMW und Siemens noch eigene Kantinen. VW stellt sogar in einer eigenen Fleischerei die Currywurst selbst her – und die ist bei den Beschäftigten so beliebt, dass die örtlichen Edeka-Märkte diese verkaufen.

Die Arbeitsbedingungen in den 9000 von insgesamt 13 800 deutschen Betriebskantinen, in denen noch selbst gekocht wird, entsprechen oft den bescheidenen Preisen, die Caterer erhalten. „Viele zahlen keine Tariflöhne, kein Urlaubs- und kein Weihnachtsgeld“, sagt Gewerkschafter Zeitler. Große Anbieter wie Sodexo bieten allerdings Tariflöhne – bei angelernten Kräften zwischen 8,00 und 8,50 Euro.

Schulessen vom Starkoch

Die Werbung der Köche
Johann Lafer
Johann Lafer
Tim Mälzer
Tim Mälzer
Mario Batali
Mario Batali
Horst Lichter

Nach den massenhaften Brechdurchfällen an ostdeutschen Schulen beginnen nun die ersten Unternehmen, umzudenken und ihre Hygienepraxis zu überprüfen. Der Bonner Caterer Lehmann sucht derzeit nach Verbündeten, um endlich die Herkunft der Lebensmittel über mehrere Lieferstufen transparent zu machen.

Starkoch Johann Lafer sieht die Schuld an der Misere allerdings auch im System: „Ich weiß nicht, wie man bei einem Preis von zwei Euro pro Schulessen, von dem auch noch 19 Prozent Mehrwertsteuer abgeführt werden müssen, vernünftig kalkulieren soll.“ Deshalb plädiere er für eine Entlastung. „Es geht nicht an, dass für Hundefutter und einige Süßigkeiten nur sieben Prozent Mehrwertsteuer gezahlt werden müssen, für gesunde Schulverpflegung aber 19 Prozent angesetzt werden.“

Lafer handelt auch. Von November an betreibt der Spitzenkoch, der in seinem Restaurant „Le Val d’Or“ im rheinland-pfälzischen Stromberg Acht-Gänge-Menüs für 165 Euro kredenzt, eine eigene Schulmensa in Bad Kreuznach. Bis zu 1200 Kinder will er dort verpflegen – mit überwiegend regionalen und saisonalen Produkten, zum Preis von vier Euro. „Wenn man frisch kocht, sind hochwertige saisonale und regionale Produkte nicht zwingend teurer als Fertigkost, sie erfordern aber einen hohen Personaleinsatz“, sagt Lafer.

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