Es war Aufregung mit Ansage. Zwar war der happige Anstieg der EEG-Umlage bekannt. Doch die offizielle Verkündung der 5,277 Cent am Anfang voriger Woche, die jeder Stromkunde von 2013 an pro Kilowattstunde für die erneuerbaren Energien zahlen muss, löste eine Welle von Empörung, Angriffen und Rechtfertigungen aus.
Der Verband der chemischen Industrie sah sich plötzlich am Pranger, weil viele seiner Mitgliedsunternehmen von der Ökostromabgabe befreit sind und diese dadurch für andere steigt. Schon heute zahle "die große Mehrheit unserer Unternehmen" die volle EEG-Umlage, insgesamt 800 Millionen Euro pro Jahr, betonte Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann. Ohne die Senkung der Abgabe für energieintensive Betriebe würde die Branche jährlich mit zwei Milliarden Euro belastet. Allerdings müsse "ein eventueller Missbrauch dabei ausgeschlossen werden".
Politiker sind sich uneins über die EEG-Umlage
Dagegen schäumte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast, bei der Politik der schwarz-gelben Bundesregierung seien "vier Milliarden Euro Privilegien herausgekommen, die auf dem Rücken der mittelständischen, kleinen Wirtschaft und der Privathaushalte ausgetragen werden". Umweltminister Peter Altmaier (CDU) wiederum lobte den Essener Stromkonzern RWE, der die Erhöhung vorerst nicht an seine Kunden weitergeben will. Dafür fing er sich eine Ohrfeige von Hans-Joachim Reck, dem Chef des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU): Die Politik sei für die steigende EEG-Umlage verantwortlich, dürfe sich "nicht aus der Verantwortung stehlen" und schon gar nicht "einzelne Energiekonzerne als mögliches Vorbild hinstellen".
Den Gipfel der Aufgeregtheit aber erklimmt CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, der die steigenden Ausgaben für die Energiewende am liebsten in einem Schattenhaushalt verstecken würde. Der Bayer empfahl einen Kreditfonds bei der staatlichen Förderbank KfW, der die starke Steigerung der Ökostromabgabe abfedern und über die Zeit strecken sollte. Dazu solle die Belastung für die Verbraucher auf 4,5 Cent festgeschrieben und die Differenz zu den künftigen 5,28 Cent über einen Kredit von der KfW bezahlt werden. Je nach Zubautempo der Erneuerbaren würde auf diese Weise ein Schuldenberg von bis zu 97 Milliarden Euro angehäuft. Würde die für 20 Jahre zugesagte Einspeisevergütung auslaufen, bliebe die Umlage bei 4,5 Cent – bis der KfW-Kredit abgetragen sei.
Maßnahmen widersprechensich
Was auch immer Bundesumweltminister Altmaier und Philipp Rösler (FDP) und Kanzlerin Merkel noch alles aushecken, das Dilemma der Energiewende werden sie nicht beseitigen: Weil nicht der Markt, sondern die Politik die Stromversorgung um die Einspeisung aus den Atomkraftwerken verminderte, muss der Staat nun die Lücke mit immer neuen Eingriffen schließen. Je näher der bis 2022 terminierte Atomausstieg rückt, desto offenkundiger erweist sich das Jahrhundertprojekt als Sammelsurium einzelner Maßnahmen, die nur zwei Dinge gemeinsam haben. Sie widersprechen sich vielfach und erfordern immer neue Eingriffe in Investitionsentscheidungen der Unternehmen. Und sie werden immer teurer und heizen den Verteilungskampf in der Wirtschaft und in den Verbrauchergruppen an.
Es bewegt sich viel auf hoher See
Was der Staat ausgelöst hat, muss er nun teuer zusammendengeln, weil kaum etwas zusammenpasst.
In den kommenden Monaten und Jahren soll sich gewaltig viel bewegen vor den deutschen Nord- und Ostseeküsten. Schon 2020 sollen dort Meereswindparks mit insgesamt zehn Gigawatt, bis 2030 sogar mit 25 Gigawatt Leistung stehen, stets so ergiebig wie zehn Atommeiler. So weit die Planspiele der Bundesregierung.
Nur: Am Netz sind gerade mal 200 Megawatt, ein Bruchteil des Fernziels. Grund ist die Kette gegenseitiger Blockaden. Die Realisierung von Parks verzögert sich, weil die Anbindung ans Stromnetz nicht gewährleistet ist. Die Netzbetreiber mauern, weil sie Schadensersatzforderungen bei Übertragungsfehlern fürchten. Indem die Projekte haken, werden Investoren und Versicherungen abgeschreckt. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass neue Hiobsbotschaften von See erschallen.
Der Windkraft gehen die Fachkräfte aus
Mal fehlen Tiefseekabel, mal Spezialschiffe für die gigantischen Fundamente, mal Kräne für die Verladung der Riesenanlagen von Land auf die Frachtkähne. Mitte vergangener Woche ging deswegen sogar ein erstes Unternehmer der Offshore-Branche, die Siag Nordseewerke in Emden, pleite. Die ehemalige Reparaturwerft von ThyssenKrupp hatte sich Hoffnungen gemacht, mit Stahlbaukomponenten für Offshore-Windräder zu überleben. Die Verzögerungen machten dem nun einen Strich durch die Rechnung.
Und jetzt auch noch das: Der Windbranche gehen die Fachkräfte aus – ausgerechnet, wo gleich mehrere Parks wie Global Tech 1 des schwäbischen Windparkentwicklers Windreich oder Meerwind der US-Investmentgesellschaft Blackstone in die Bauphase kommen.
Händeringend suchen die Windmüller Ingenieure, die gewillt sind, unter den erschwerten Bedingungen auf hoher See zu arbeiten. Die Zahl der Beschäftigten in der Offshore-Branche, so das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers in einer Studie vom Jahresbeginn, werde bis 2016 jährlich im Durchschnitt um fast zehn Prozent auf 24 400 im Jahr steigen. Zwischen 2016 und 2021 soll die Zahl der Arbeitsplätze jährlich durchschnittlich zumindest noch um mehr als sechs Prozent auf rund 33 100 Stellen zunehmen.
Die neue Generation studiert noch lange
Für Nachschub wird zwar gesorgt. An der Fachhochschule Kiel läuft seit wenigen Wochen der bundesweit erste Bachelorstudiengang "Offshore-Anlagentechnik". Bundesweit gibt es mehr als 350 Studienangebote zu regenerativen Energien. Doch die neue Generation studiert noch Jahre.
Die angekündigten Bremsmanöver von Bundesumweltminister Altmaier, der Obergrenzen für den Ausbau der Windenergie definieren will, kann er sich auf See getrost sparen. Laut den Experten der Bremer Unternehmensberatung wind:research werden ohnehin nur knapp vier Gigawatt im Jahr 2020 in Deutschland realisiert sein. Das Ziel der Bundesregierung wird damit um 60 Prozent verfehlt werden.
Zustimmung in der Bevölkerung bleibt
Die Zustimmung der deutschen Bevölkerung gegenüber regenerativen Stromquellen und der Energiewende ist nach wie vor hoch. Das jedenfalls suggeriert eine druckfrische Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest von August bis Oktober durchgeführt hat. Demnach halten 93 Prozent der Bundesbürger den verstärkten Ausbau von Sonne, Wind und Co. für "wichtig" bis "außerordentlich wichtig", heißt es. "Die deutsche Bevölkerung steht weiterhin in großer Geschlossenheit hinter dem Ausbau der erneuerbaren Energien", jubiliert Philipp Vohrer, Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien.
Doch die abgefragte Meinung widerspricht vielfach dem Verhalten in der Praxis. Fast gegen jedes neue Windrad, jeden Solarpark, jedes Pumpspeicherkraftwerk und jede neue Hochspannungsleitung protestiert irgendeine Verhindererinitiative. Allein auf der Internet-Seite "windkraftgegner.de" verbünden sich derzeit knapp 100 Bürgergruppen und Nimby-Aktivisten ("Not in my backyard", zu Deutsch: Nicht in meinem Hinterhof). Die Aktivisten reichen vom Aktionskreis "Windkraftmärchen", der gegen den geplanten Bau von neun Windmühlen im niedersächsischen Katlenburg-Lindau ins Feld zieht, bis zur Bürgerbewegung "Sturm gegen Wind" in Wittgenstein bei Siegen, die für ein windmühlenfreies Rothaargebirge streitet.
Zu viele Ausnahmen
Für die Verbraucher wird die EEG-Umlage immer mehr zur Last, für die Unternehmen die großzügige Befreiung zur politischen Belastung.
Grundsätzlich sind die Ausnahmen vom Gesetzgeber vorgesehen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der begünstigten Unternehmen zu sichern. Doch längst geschieht dies nicht nur bei Aluminiumhütten, Stahlwerken, Papierfabriken, Gießereien oder Chemieanlagen. Zu den rund 800 Unternehmen, die in diesem Jahr von der Ökoumlage befreit sind, zählen auch Firmen wie Deutsche Tiernahrung Cremer aus Düsseldorf.
Die Sorge über die EEG-Umlage für mittelständische Betriebe ist dennoch groß. Der Vorsitzende des Energieausschusses des Bundes der Deutschen Industrie BDI, Christopher Grünewald, selbst Betreiber einer Papierfabrik Gebr. Grünewald im Sauerland, mahnt: "Deutschland droht durch den viel zu hohen Strompreis eine schleichende Deindustrialisierung."
Folgekosten türmen sich auf
Das EEG produziert ein Szenario des Grauens: Da wirken die Mehrkosten für einen Durchschnittshaushalt in Deutschland fast schon wie eine Nebengröße: Mit 80 Euro pro Jahr schlägt die EEG-Umlage für eine Familie zu Buche. Doch weitere Folgekosten türmen sich auf, die ebenfalls auf den wehrlosen Haushaltskunden zukommen: Der Ausbau von Stromnetzen, geschätzt werden 3800 Kilometer, werden in einem Zeitraum von zehn Jahren nach Schätzungen der RWI-Wirtschaftsforscher 100 Milliarden Euro kosten, eine bisher selbst in der kostenintensiven Energiewirtschaft unvorstellbar hohe Summe. Die notwendige Nachrüstung von Fotovoltaikanlagen rangiert bei 200 Millionen Euro.
Auch Risiken werden an die Verbraucher weitergereicht
Aber da sind noch Risiken der Energiewende, die von den Versorgungskonzernen keineswegs getragen werden wollen, zum Beispiel die Risiken der Betreiber von Offshore-Windparks, für die nicht rechtzeitig Netzanschlüsse bereitstehen, weil Netzbetreibern das Geld fehlt: Auf eine Milliarde Euro taxieren die Versorger diese Ausfallgefahren, die auf die Verbraucher überwälzt werden sollen. Sie sollen für die Versorger schmerzlos an die Verbraucher weitergereicht werden. Folge: Für 2013 wird der gesamte EEG-Umlagebetrag auf 20,7 Milliarden Euro steigen.
Doch das ist erst der Anfang. Bis zum Sommer haben sich schon mehr als 2000 Unternehmen beworben, um 2013 ebenfalls freigestellt zu werden. Das geht aus Unterlagen des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in Eschborn bei Frankfurt hervor. Experten rechnen damit, dass diese Zahl gar bis auf rund 5000 steigen könnte. Nach Berechnungen der Bundesnetzagentur verbrauchen die begünstigten Unternehmen 18 Prozent des Gesamtstroms, bezahlen aber nur 0,3 Prozent der Umlage. Zwar ist noch nicht sicher, wie viele Ausnahmen genehmigt werden. Bislang fand das zuständige Bundesamt jedenfalls selten Gründe für eine Ablehnung und hat eigens 50 neue Sachbearbeiter eingestellt, um die Antragsflut bearbeiten zu können.
Die Hürde zur Befreiung von der Umlage ist gesunken
Grund für die wachsende Zahl der Extrawürste ist der reduzierte Mindestverbrauch. Künftig können sich Unternehmen von der EEG-Umlage befreien lassen, wenn sie eine Gigawattstunde Strom im Jahr verbrauchen, das entspricht dem Bedarf von 280 Haushalten. Davor lag die Hürde noch zehnmal so hoch.
Während die Verbraucher für die Befreiten mitzahlen müssen, winken einigen der Privilegierten sogar noch zusätzliche Vorteile. Denn die wachsende Produktion von Wind- und Sonnenstrom, der ungebremst ins Netz flutet, drückt die Preise an der Strombörse. Wer sich dort bedient, fährt deshalb heute besser als noch vor eineinhalb Jahren. Unternehmen wie der norwegische Norsk-Hydro-Konzern, der seine eingemotteten Aluminiumschmelzen in Neuss bei Düsseldorf nun wieder hochfährt, rechnet durch den überschüssigen Ökostrom sogar mit dämpfenden Effekten bei herkömmlichen Stromlieferverträgen.
16 verschiedene Energiewenden
Die Bundesregierung macht ihre, die Bundesländer eine andere Energiewende. Da der Bund niemanden verpflichtet hat, die verkündeten Ausbauziele für Grünstrom zu erreichen, wurschteln die 16 Bundesländer in Eigenregie vor sich hin. Egal, ob in Hannover, Schwerin oder München, in jeder Landeshauptstadt basteln die Politiker sich ihre eigene Energiewende.
Dass die Landesväter und -mütter dabei gegeneinander arbeiten, stört diese nicht. So überlegt der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), wie er aus dem Freistaat künftig ein energieautarkes Bundesland mache könnte. Sein niedersächsischer Amtskollege David McAllister (CDU) hingegen will künftig große Mengen Windstrom exportieren: nach Bayern, wo es extrem viele Solar-, aber nur wenige Windanlagen gibt.
Was nicht passt, wird passend gemacht
Mit den Zielen der Bundesregierung harmonieren die Pläne der Länder schon gar nicht. So gehen die Regierenden in der Hauptstadt davon aus, dass sich bis 2020 in Deutschland auf dem Festland Windmühlen mit einer Gesamtleistung von 36 Gigawatt drehen werden. Nach Berechnungen der mehrheitlich staatlichen Deutschen Energieagentur summieren sich die einschlägigen Ausbauziele der Länder aber auf 68 Gigawatt, fast doppelt so viel.
Was nicht passt, soll nun endlich passend gemacht werden. Die Energiewende könne nur gelingen, wenn ein abgestimmtes Vorgehen erreicht werde und nicht jedes Bundesland für sich allein entscheide, sagte Umweltminister Altmaier vergangene Woche. Altmaier will Ausbauziele festlegen und regional steuern.
Emissionsrechte sollte Kohle unrentabel machen
Eigentlich sollte der Handel mit CO2-Emissionsrechten die größten Luftverpester bestrafen, allen voran die Braunkohlekraftwerke, die westlich von Köln sowie in der ostdeutschen Lausitz rauchen. Ihre Eigentümer, RWE in Essen sowie der schwedische Staatskonzern Vattenfall, sollten für teures Geld an der Leipziger Strombörse EEX Verschmutzungsrechte kaufen. So sollte Braunkohle unrentabel und zum Auslaufmodell werden.
Doch die Rechnung geht nicht auf. Die Preise für Emissionszertifikate sinken. Seit der Wirtschaftskrise 2008 ist die Nachfrage vor allem seitens energieintensiver Unternehmen zurückgegangen. Das hat die Preise der Zertifikate im Sommer zeitweilig auf nur sechs Euro pro Tonne Kohlendioxid sinken lassen, ein Rekordtief im europäischen Emissionshandel und mehr als eine Halbierung gegenüber dem ersten Halbjahr 2011. Zusammen mit der Abschaltung von acht Atommeilern, für die die Braunkohlekraftwerke vermehrt einspringen, hat dies die kritisierten CO2-Schleudern sehr profitabel gemacht.
Kein Anreiz schmutzige Kraftwerke vom Netz zu nehmen
Und eine Trendwende ist durch die Wirtschaftskrise in den südeuropäischen Staaten nicht erkennbar. Nach Angaben der EU-Kommission ging der CO2-Ausstoß der mehr als 12 000 am Emissionshandel beteiligten Industriebetriebe und Kraftwerke in der Europäischen Union im Jahr 2011 um 2,5 Prozent zurück. Fünf Prozent der ausgeteilten Zertifikate sind in diesem Jahr nicht verbraucht worden. Die Versorger haben deutlich weniger Anreize, schmutzige Kraftwerke früher vom Netz zu nehmen, in Ökostromanlagen zu investieren und die Energiewende zu forcieren.
Bis zur Abschaltung der acht Atommeiler nach Fukushima im vergangenen Jahr herrschte fast beschauliche Ruhe im Bonner Tulpenfeld, dem Herz des Regierungsviertels der alten Bundesrepublik. Die Bundesnetzagentur, die dort ihren Sitz hat, verstand sich als oberster Marktwächter. Sie sorgte dafür, dass andere Anbieter ihren Strom überallhin in Deutschland schicken konnten, ohne von den Oligopolen E.On, RWE, Vattenfall und EnBW auf deren früher fein säuberlich getrennten Absatzregionen etwa durch höhere Durchleitungskosten benachteiligt zu werden.
Stromnetze drohen zusammen zu brechen
Mit der Energiewende hat sich die Rolle der Behörde jedoch gewandelt. Windräder pressen bei Sturmböen den Strom so gewaltig in die Netze, dass diese zusammenzubrechen drohen. An eiskalten, windstillen und dunklen Tagen im Winter 2011, in der Vorweihnachtszeit, stieg der Stromverbrauch so rasant an, dass die Stilllegung von acht Atomkraftwerken plötzlich schmerzlich spürbar war. Die Netzbetreiber mussten zum Teil die Stromproduzenten anweisen, Ölkraftwerke oder kalte Kohlekraftwerke anzuschmeißen.
Um einen Blackout zu verhindern, plant die Bundesregierung ein Notgesetz, das der Bundesnetzagentur künftig ungeahnte Eingriffsrechte in den Strommarkt geben soll. So soll die Behörde verhindern dürfen, dass die Energiekonzerne unrentable, aber aus Sicht der Beamten notwendige Kraftwerke für die Versorgungssicherheit abschalten. Prompt fordern die Erzeuger für diesen Fall eine Entschädigung.
Eigentlich hätte die Energiewende die Einigung Europas beim Strom vollenden können. Wenn der überversorgte Stromexporteur Deutschland die Atomkraftwerke sukzessive abschaltet, so das Szenario, würde mehr Elektrizität hereinfließen: zum Beispiel aus Frankreich, aber auch aus den Niederlanden und Polen. Die beiden kleineren Länder sind in der Lage, minutenschnell mit ihren Kohlekraftwerken über Kuppelstellen an den Grenzen gut 4000 Megawatt Leistung in Deutschland zu ersetzen, etwa vier Atomkraftwerke.
Polen halten deutschen Strom von ihren Netzen fern
Doch die Realität sieht anders aus. Die Windräder in Deutschlands Norden drücken so viel Strom ins Netz, dass deren Saft wegen ungenügender Nord-Süd-Verbindungen über die Grenzen nach Holland und Polen strebt. Folge: Die polnischen und holländischen Netze ächzen unter zeitweiser Höchstbelastung im Herbst und drohen durchzuknallen. Warschau äußerte sich bereits in Berlin besorgt über den stürmischen Stromexpansionismus, der die Netze östlich der Oder bedroht. Die Polen bauen deshalb Schieber in ihre Kuppelstellen, die deutschen Strom vom polnischen Netz fernhalten.
"Gaskraftwerke hängen uns wie ein Klotz am Bein", sagt ein RWE-Manager dieser Tage. Der Satz klingt wie Hohngesang auf die Energiewende weg vom Atom- und hin zum Strom aus klimaschonender Erzeugung. Denn Gaskraftwerke produzieren weniger Emissionen als Braun- und Steinkohlekraftwerke. Und sie können schnell hoch- und heruntergefahren werden, je nachdem, wie viel Strom Sonne und Wind erzeugen.
Gaskraftwerke sind nicht notwendig
Doch das Kalkül, die Gaskraftwerke zum Joker der Energiewende zu machen, wird immer mehr zu Makulatur. Es gibt zurzeit so viel Strom aus Wind- und Sonnenenergie in Europa, dass Gaskraftwerke immer weniger notwendig werden. In der Vergangenheit waren sie nützlich, um den Spitzenstrombedarf mittags zwischen 12 und 14 Uhr zu decken. Das bescherte den 53 deutschen Gaskraftwerken eine Auslastung von circa 60 Prozent. Mit dem vielen Wind- und Sonnenstrom ist es damit aber vorbei. Neue Gastkraftwerke sind manchmal nur zu zehn Prozent ausgelastet.
Der Chef der Leipziger Strombörse EEX, Peter Reitz, bringt es auf den Punkt: Wenn die Bundesregierung das Ziel habe, die erneuerbaren Energien bis zu einem Anteil von 80 Prozent an der gesamten Stromproduktion heraufzuschrauben und dafür dann die Preise garantiert, dann sei die Marktwirtschaft beim Strom "praktisch tot".
Der frühere Chef der Monopolkommission Justus Haucap stellt kürzlich vor der Ludwig-Erhard-Gesellschaft fest, dass Energiepolitik heute dem "Modell der dezentralen Planverwaltungswirtschaft entspreche".
Wende macht Wettbewerb unmöglich
Tatsächlich wirkt die staatlich verordnete Energiewende wie ein Schwamm, der alles wieder aufsaugt, was im Jahr 13 nach der Liberalisierung der deutschen Energiebranche nach Markt aussah. Wenn 80 Prozent des Stromes Ökoenergie sind und Vorrang bei der Einspeisung ins Netz haben, wird das Angebot konventioneller Kraftwerke Kleinkram. Investitionen in Kraftwerke, die eine kontinuierliche Stromversorgung für die Industrie garantieren, werden zu einem solch großen Wagnis, dass möglicherweise nur staatlich verordnete Abnahmemengen helfen. Schon gibt es erste Forderungen: Wenn die Bereitstellung von unrentablen Kraftwerken verlangt würde, dann würde dem Staat eine Rechnung über 140 Millionen Euro pro Jahr präsentiert, schätzen Konzernmanager.
Auch die Kosten der Stromübertragung explodieren. Die Netzentgelte würden 2013 um 23 Prozent steigen, prognostiziert ein Ökostromhändler. EU-Energie-Kommissar Günther Oettinger (CDU) fordert bereits die Verstaatlichung der Netze.
Umlage steigt trotz fallender Kosten
Nirgendwo kommt die Widersprüchlichkeit in der Konstruktion der Energiewende krasser zum Ausdruck als bei den erneuerbaren Energien. Denn die Umlage für sie steigt nun kräftig, obwohl die Erzeugung von Ökostrom immer preiswerter wird.
So entfielen im vergangenen Jahr rund 50 Prozent der bisherigen EEG-Umlage – 1,8 von 3,6 Cent – auf den Solarstrom. Und das, obwohl die Panele auf Dächern, Wiesen oder Industriebrachen lediglich drei Prozent zur Stromversorgung beitrugen. Zum Vergleich: Wind pustete mehr als doppelt so viel Strom in die Netze, wurde aber nur zu knapp 18 Prozent gefördert.
Eine solche massive Förderung vor allem der Solarenergie hat sich aber längst überlebt. Denn die Kosten der Solarstromerzeugung sind über die Erwartungen hinaus gesunken. "Im Rückblick wurden diese Erwartungen weit übertroffen", heißt es dazu in einer Analyse des Fraunhofer-Instituts. Seit 2006 seien die Kosten für eine Solaranlage um zwei Drittel gesunken.
Ökostrom drückt die Preise an der Börse
Auch die Gestehungskosten des Windstroms sinken. "Der Strom aus Windkraft dürfte wegen des weiteren Preisverfalls und der stetig steigenden Effizienz der Anlagen noch billiger werden", ist sich Lars Quandel, Leiter Renewable Energy bei der HSH Nordbank, sicher. Die Kosten für Strom aus Windmühlen an Land seien mit sechs bis acht Cent je Kilowattstunde vergleichbar mit denen konventioneller Kraftwerke. Kein Wunder, dass der immer kostengünstigere Ökostrom inzwischen bis auf die Börse durchschlägt und den Preis des dort gehandelten Stroms drückt.
Thomas Herdan, energiepolitischer Sprecher des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer, bringt den Widerspruch auf den Punkt: "Es kann kein Naturgesetz sein, dass der Strom aus erneuerbaren Energien den Börsenpreis senkt und gleichzeitig die EEG-Umlage um exakt denselben Wert nach oben treibt."
Einziger Ausweg ist eine totale Revision des EEG mit mehr marktwirtschaftlichen Ansätzen. Andernfalls wird die Energiewende zum Milliardenfiasko für Unternehmen und Verbraucher.