Ein kühler Spätnachmittag im Winter 2014/2015 in der englischen Grafschaft Lincolnshire: Ein Stahlunternehmen arbeitet auf Hochtouren. Die Öfen sind angeheizt, die Bänder laufen wie es sich gehört – nur eines stimmt nicht: Der Stromzähler dreht so heftig, dass man meinen könnte, man blicke auf ein manipuliertes Taxameter eines besonders geschäftstüchtigen Fahrers. Erst nach einer halben Stunde läuft der Stromzähler wieder normal - doch diese 30 Minuten haben ausgereicht, um dem energie-intensiven Unternehmen östlich von Sheffield eine saftige Stromrechnung zu bescheren. Die halbe Stunde schlägt mit einer Million Pfund zu Buche.
Wie ist so etwas möglich? Die Verantwortlichen haben eine sogenannte Triad-Warnung übersehen. In der Regel läuft es für die Unternehmen in der Winterzeit so: Morgens kommt an entsprechenden Tagen die Meldung vom Netzanbieter, dass es beispielsweise zwischen 16 und 18 oder 20 Uhr zu einer besonders hohen Strom-Nachfrage kommen soll und die Preise exponentiell ansteigen werden. Für die Werke gibt es nur eine Konsequenz: abends rechtzeitig herunterfahren. Wer nicht entsprechend reagiert, verliert schnell ein Vermögen – wie eben im vergangenen Winter das Stahlunternehmen in der Grafschaft Lincolnshire. Andere Unternehmen sprechen gar von zwei oder drei Millionen Pfund für einen solchen Abend, an dem eine solche Phase nicht nur 30 Minuten, sondern auch mal zwei, drei oder sogar vier Stunden andauerte.
Ein „Dritte-Welt-Szenario“ nennen das viele Betroffene. Denn durch die Regelung werden energie-intensive Unternehmen auf der Insel in der Wintersaison an manchen Tagen gezwungen, am frühen Abend abzuschalten. Das heißt ihre Maschinen herunterzufahren, die Arbeit einzustellen. Nicht per Gesetz, sondern finanziell: Denn die unsagbar hohen Strompreise, die ausschließlich zu diesen Triad genannten Stoßzeiten erhoben werden, sind unbezahlbar. „Statt des üblichen Preises müssen Unternehmen zu diesen Stoßzeiten dann etwa mit dem Hundertfachen rechnen“, erklärt Jon Ferris, Strategischer Direktor bei Utilitywise, einem britischen Energieberatungsunternehmen.
Null Grad reichen aus, damit der Blackout droht
Der Grund für diese Triad-Maßnahmen, die in Großbritannien zwischen November und Februar zum Einsatz kommen, liegt im defizitären Energiemarkt auf der Insel. „Teile des Stromnetzes sind über 80 Jahre alt. Es wird ständig renoviert und ausgebaut und diese Struktur, die sich kontinuierlich entwickelt, steht unter enormen Druck“, sagt Energieexperte Ferris. Deshalb sind Maßnahmen wie die Triads notwendig, damit das Netz zu Hochverbrauchszeiten nicht zusammenbricht.
Würden Maßnahmen wie die Triads nicht durchgeführt, droht den Briten an kalten Wochentagen abends das Licht auszugehen. Wobei bei „kalt“ nicht unbedingt die Rede von krassen Minustemperaturen ist: „In Großbritannien haben Temperaturen um die null Grad schon einen erheblichen Einfluss“, erklärt Ferris. Die Ursachen für das Kälteproblem liegen zum einen darin, dass im Winter grundsätzlich mehr Strom verbraucht wird. Zum anderen liegen sie im britischen Stromnetz selbst. Im Winter weht an der schottischen Küste weniger Wind, wodurch eine starke und wichtige Stromquelle – die On-Shore-Parks in Schottland – weniger Strom liefert als sonst und als vor allem weniger als notwendig wäre.
Laut einer Analyse der britischen Energie-Regulierungsbehörde Ofgem sind deshalb Blackouts in den kälteren Monaten ohne Notfallmaßnahmen mehr als wahrscheinlich. Das Risiko sei dann so hoch, dass jeden Winter mindestens einmal definitiv damit gerechnet werden müsse, dass der Strom ausfalle und die Briten im Dunkeln sitzen.
Finanzielle Belastung für gebeutelte Unternehmen
Passiert ist das seit den 1970ern nicht mehr, so Ofgem, aber allein in diesem Winter stieg das Risiko von Blackouts so hoch wie seit dem Winter 2007/2008 nicht mehr, warnte der britische Übertragungsnetzbetreiber National Grid im Herbst. Deshalb scheint den Netzbetreibern keine andere Wahl zu bleiben als die Notfallmaßnahme des Triads.
Das hat Folgen für die britische Schwerindustrie. Denn die Triads werden häufiger und bringen die ohnehin gebeutelte Stahlindustrie in noch stärkere Bedrängnis. Schon ohne Triads sind die Stromkosten in den Nachmittag- und frühen Abendstunden für viele Unternehmen oft übermäßig hoch. So mancher Kunde zahle 80 Prozent seiner Stromkosten für den Verbrauch zwischen 16 und 19 Uhr, sagt Utilitywise-Direktor Ferris. Hinzu kommen dann die finanziellen Ausfälle, weil während der Triad-Phasen die Maschinen stoppen und die Produktion steht – oder eben die extremen Mehrkosten, wenn man sich entscheidet, weiterzuarbeiten.
Damit wird jeder Triad, der dem Stromnetz Sicherheit bieten soll, zum finanziellen Risiko für die energie-intensiven Unternehmen. Diesen Winter soll es schätzungsweise an 30 Tagen zum Triad kommen, heißt es.
Keine Besserung in Sicht – im Gegenteil
Die Chance für die Wirtschaft, dass die Triads bald weniger werden könnten, sind gering. Denn eine solide Alternative gibt es bislang nicht. Der Sicherheitspuffer durch die Notfallmaßnahmen zulasten der energie-intensiven Unternehmen ist einfach unverzichtbar.
Selbst wenn der Sicherheitspuffer effektiv auch sehr gering ist. Der liegt nämlich nach Anwendung der Notfallmaßnahmen gerade einmal bei 5,1 Prozent. Aber das ist eben besser als nichts. Denn das Blackout-Risiko droht noch zu steigen, warnen britische Energieexperten.
Weil aufgrund politischer Entscheidungen in Großbritannien in den nächsten Jahren damit zu rechnen ist, dass mehrere Kohle- und Kernkraftwerke vom Netz gehen, wird es zukünftig im Winter noch stärker an stabilen Stromlieferanten mangeln. Die verbliebenen Kraftwerke können das alleine nicht stemmen – zumindest nicht, wenn die erneuerbaren Energielieferanten in Schottland wegen mangelnden Winds in den kühlen Wintertagen herunterschrauben und gleichzeitig aber mehr Strom nachgefragt wird.
„Das Stromnetz ist in den vergangenen Jahren durch die Einspeisung erneuerbarer Energien noch viel stärker unter Druck geraten“, sagt Ferris. Das Problem sei in erster Linie eine Frage von Investitionen, heißt es bei der Energie-Regulierungsbehörde Ofgem. „Diese sind notwendig, um die Versorgungssicherheit gewährleisten zu können“, so Ofgem-Pressesprecher Chris Lock. „Das dezentralisierte britische Energiesystem braucht mehr Flexibilität in wie und wann Strom produziert und gebraucht wird.“ Ofgem setzt dabei etwa auf Anreize für die Energieversorger. Ihnen soll zukünftig Geld gezahlt werden, damit sie alte Meiler auf Stand-by halten, um im Notfall einspringen zu können. Diese Subventionen unter dem Titel „capacity market“ sollen jedoch erst für den Winter 2018/2019 wirksam werden – dann aber garantieren können, dass die Blackout-Gefahr sinkt.
Stromspeicher für die Zukunft
Britische Energieexperten sind allerdings noch sehr skeptisch. Sie warnen: Eine Lösung, um die Blackout-Gefahr gänzlich zu bannen, bedarf noch mehr Subventionen, insbesondere für neue Kraftwerke – und diese Rechnung werden dann letztlich erneut die Verbraucher mit dem Strom zahlen müssen – Privathaushalte wie Unternehmen.
„In den nächsten Jahren gilt es die Speichermöglichkeiten von Strom weiterzuentwickeln, um Großbritanniens Stromversorgung wirklich sichern zu können“, wirft Energie-Experte Ferris den Blick in die Zukunft.
Daran wird gearbeitet – unter anderem mit dezentralen Großspeicherprojekten. Die sollen unter bestimmten Umständen bereits wettbewerbsfähig, heißt es in einem Bericht der Unternehmensberatung KPMG. Demnach könnte es kleine, dezentrale Installationen mit eigenem Speicher bereits bis 2017 geben.
In dem Bericht, der die derzeitigen Trends dezentraler Energie- und Speichersysteme in Großbritannien und die bestehenden Entwicklungshindernisse beleuchtet, kommen die KPMG-Experten allerdings zu dem Schluss, die größten Hindernisse für einen ernsthaften Ausbau von Großspeicherprojekten liegen nicht in der Technik – sondern in den Regulationen Großbritanniens. Auch das liegt also in den Händen der britischen Politik.