Andere würden bei dem Blick aus der Chefetage im fünften Stock die Seele baumeln lassen. Die Weser schlängelt sich durch grüne Wiesen und Felder. Am Horizont erheben sich sanft die Hügel des Weserberglands.
Ulrich Stiebel fällt jedoch etwas anderes ein, wenn er alle zwei Wochen von seinem Wohnsitz in Bayern hierher reist, ins niedersächsische Holzminden, an den Sitz seines Unternehmens Stiebel Eltron. "Wenn
ich hier bin, dann setze ich mich zum Arbeiten einfach in einen freien Konferenzraum", kokettiert der 62-Jährige gern. Ihm und seinem Bruder gehört die Firma.
Einen freien Raum suchen und zum Arbeiten hinsetzen, das bedeutet für Stiebel in jüngster Zeit immer häufiger, dass er sich mit seiner vierköpfigen Geschäftsführung gemeinsam die Haare rauft: über die sich schleppende Energiewende. Denn während Wettbewerber wie Vaillant, Viessmann oder Buderus dazu bisher schwiegen, mischen sich Stiebel und seine Manager immer mehr in die Energiepolitik ein.
„Die mangelnde politisch-administrative Koordination erweist sich als großes Hemmnis, ja weithin als Blockade“, schrieb vor einigen Wochen Stiebel-Eltron-Chef Rudolf Sonnemann an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der energiepolitische Richtungswechsel erfordere eine entschlossene und kraftvolle politische Führung, am besten ein neues Ministerium, das ausschließlich für Energiefragen zuständig ist.
Bundesländer blockieren Energiewende
Der Brief war der jüngste Höhepunkt einer regelrechten Kampagne in Energiefragen, die Stiebel und seine Manager schon länger gegen Berlin fahren. So schrieb Stiebel-Chef Sonnemann schon im Juni 2010, also noch vor dem Beschluss zum Ausstieg aus der Atomkraft, in einem offenen Brief an die Kanzlerin: "Die von der Bundesregierung formulierten Klimaziele sind mit der aktuellen Politik nicht erreichbar. Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien sind in ganz Deutschland in Gefahr!"
Ein Jahr später, das Atomdesaster von Fukushima war passiert, verschärfte Stiebels oberster Manager den Ton: "Die Brücke zur regenerativen Energiewelt sollte nun nicht vorherrschend mit endlichen und umweltbelastenden
fossilen Energieträgern wie Kohle und Gas gezimmert werden."
Am meisten prangern Stiebel und seine Geschäftsführer zurzeit öffentlich an, dass die steuerliche Förderung von Energiesparmaßnahmen an Gebäuden im Bundesrat festgefahren ist, weil die Bundesländer das Gesetz blockieren. "Das liegt an den Kommunen, die befürchten Steuerausfälle", sagt Stiebel. Dafür, so glaubt er, bestehe aber eigentlich kein Grund, denn die Steuereinnahmen durch die Mehrarbeit für die Handwerker würden die Ausfälle kompensieren.
Von allem ein Bisschen
"Man müsste auch Einzelmaßnahmen zulassen", fordert er, statt nur Komplettsanierungen im Wert von 50 000 bis 100 000 Euro zu fördern. Viele Hausbesitzer wüssten gar nicht, wie oder wofür sie einen solchen Batzen Geld lockermachen sollten. Weshalb treibt Multimillionär Stiebel seine Leute, anders als die Wettbewerber, in den Clinch mit den Regierenden?
Die schnöde Hoffnung auf mehr Subventionen, also auf Zusatzgeschäft durch den Staat? Eine besonders grüne Grundgesinnung? Es ist von allem ein bisschen, nichts 100-prozentig, irgendwie passt Stiebels siedendes
Verlangen in kein gängiges Klischee.
Natürlich würde sein Unternehmen besonders profitieren, vollzöge die Politik ganz schnell einen zentralen Teil der Energiewende: mehr Anreize zum Energiesparen. Denn das mittelständische Unternehmen mit 3000 Mitarbeitern und Werken in Deutschland, der Slowakei, Thailand und China gilt als Marktführer für Wärmepumpen.
In einer der größten Wärmepumpenfabriken Europas montieren 250 Mitarbeiter jährlich bis zu 40 000 Geräte, die in mehr als 120 Länder exportiert werden.
Alte Technik neu aufgelegt
Und der Markt für die über 150 Jahre alte Technik, an der schon der britische Physiker William Thomson, der spätere Lord Kelvin, geforscht hat, boomt: Allein in Deutschland wurden im vergangenen Jahr 57 000 Wärmepumpen installiert, knapp zwölf Prozent mehr als im Vorjahr. Die Anlagen nutzen die Wärme aus dem Erdreich, dem Grundwasser oder der Luft, um sie für Heizung und Warmwasser einzusetzen. Dabei entsteht,
abgesehen von den geringen erforderlichen Strommengen, kein Kohlendioxid wie bei der Verbrennung fossiler Rohstoffe.
Ein staatlich forcierter Nachfrageschub zur Minderung des CO2–Ausstoßes käme deshalb der Heizungsbranche im Allgemeinen und Stiebel Eltron im Besonderen zugute. Denn in vielen deutschen Kellern schlummern noch immer veraltete, ineffiziente Anlagen, die schon lange nicht mehr dem heutigen Stand der Technik entsprechen.
Nach einer Statistik des Branchenverbandes Sanitär, Heizung, Klima (ZVSHK) waren im vergangenen Jahr rund 90 Prozent der insgesamt rund 18 Millionen Heizungsanlagen hierzulande veraltet. Insofern könnte eine steuerliche Förderung Eigenheimbesitzer dazu bewegen, ihre alten Klimaschädlinge zu ersetzen.
Grüner Ingenieur
Dass Stiebel Eltron inzwischen zur Creme der Heizanlagenhersteller gehört, die mit Öko- und Energiespartechnik reüssieren, verdankt das Unternehmen auch dem konsequenten Kurs von Ulrich Stiebel. Fast die Hälfte des Gesamtumsatzes von 473 Millionen Euro sind mittlerweile Techniken rund um erneuerbare Energien zuzuschreiben.
Die Umsatzrendite liegt bei drei Prozent, das Wachstum kam in den vergangenen Jahren hauptsächlich durch den Erfolg mit den umweltfreundlichen Techniken. Ein Grüner, der mit allen Mitteln den Klimawandel aufhalten will, ist Unternehmer Stiebel deswegen aber nicht. Er argumentiert eher wie der typische Ingenieur.
CO2-Minderung ist für ihn keine Frage der Einstellung, sondern der Effizienz, veraltete Heiztechnik keine Sünde, sondern Verschwendung. Er hat Maschinenbau in Darmstadt studiert und später in Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen promoviert. Er kann mitreden und versteht sowohl etwas von Technik als auch von Zahlen.
"Er ist thematisch sehr interessiert, er kennt Hinz und Kunz in der Branche, allerdings weniger auf der politisch-wirtschaftlichen Ebene", sagt ein ehemaliger Stiebel-Manager über ihn. Gleichwohl sieht Stiebel sich nicht wie
sein Vater oder manch anderer Mittelständler als frenetischen Tüftler. "Es ist gut, wenn man weiß, wie Dinge funktionieren", meint er.
König der Durchlauferhitzer
Defekte Haushaltsgeräte, okay, die repariere er wie schon als junger Mann weiterhin selbst. Und neulich, schmunzelt er, habe er auch ein Kontaktplättchen eines Akkuladegerätes festgelötet.
Stiebel hat es lieber, Dinge groß angelegt zu testen, die seine Techniker ausgeheckt haben. Anfang des Jahrtausends hatte er in Holzminden die Hofanlage im Brombeerweg bauen lassen, eine Siedlung mit rund 40 Wohnungen in Einzel- und Mehrfamilienhäusern, die durchweg den neuesten Energieeffizienzstandards genügten.
Das Bauprojekt war sogar Teil der Weltausstellung Expo 2000. Auch modernisierte er in Hannover vor fünf Jahren einen Altbau aus dem Jahr 1905, indem er das Gebäude zu einem energieautarken, sogenannten Passivhaus
umbaute, ohne es zu verunstalten.
Stiebel steckt sein Geld in solche Immobilien, nicht so sehr um sein Vermögen zu mehren, sondern weil er dadurch fürs eigene Geschäft lernt – in Form einer privaten Langzeitstudie. "Zukunftsorientiertes Bauen, das ist sein Steckenpferd, seine Passion", sagt Tomas Schwab, der im Unternehmen bis 2010 für Westeuropa und den Mittleren Osten verantwortlich war.
Vom Stromfresser zum Klimaretter
Dabei ist der Name Stiebel Eltron ursprünglich fürs klassische Stromfressen bekannt. Denn zur Berühmtheit verhalf dem Unternehmen nicht die Wärmepumpe, sondern der Durchlauferhitzer: ein zumeist weißer Kasten an der Badezimmer- oder Küchenwand, der Wasser aufheizt. Die Idee dazu hatte Ulrich Stiebels Vater Theodor.
Der hatte den damals revolutionären Ringtauchsieder erfunden und erstmals 1924 auf der Frühjahresmesse in Leipzig vorgestellt. Mit einem prall gefüllten Auftragsbuch zurück, erfand er das Wort Eltron und gründete wenig später in Berlin die Firma Eltron Dr. Theodor Stiebel. Binnen weniger Jahre erlangte das Unternehmen Weltruf.
Gründer Theodor wurde nicht müde, Neues auszutüfteln. 159 weitere Patente gehen auf ihn zurück. Trotzdem gibt es Parallelen zwischen dem Vater und seinem Sohn sowie dessen Bruder Frank, dem das Unternehmen zur
Hälfte mitgehört. Denn was für den Senior der Durchlauferhitzer, wurde für den Nachwuchs die Wärmepumpe. "Stiebel Eltron hat schon mit der Technik angefangen, da war von einem Markt noch lange nichts zu sehen", erzählt ein ehemaliger Manager.
Zwar beeilten sich während der Ölkrise 1973 alle namhaften Hersteller, Techniken zu entwickeln, die die Abhängigkeit von dem Brennstoff aus dem Nahen Osten verringern sollten. Doch als in den Achtzigerjahren immer
mehr Erdgas nach Deutschland strömte, war die passende, wenn auch weiterhin fossile Alternative zum Öl gefunden – und die Wärmepumpe erst einmal passé.
Wichtige Vorteile
"Damals lief alles gegen Elektro", erinnert sich Stiebel. In der Folgezeit verkaufte das Unternehmen lediglich einige Tausend Geräte pro Jahr, hauptsächlich in der Schweiz. Doch die Stiebel-Brüder hielten durch – und sollten recht behalten. "In dieser Beziehung ist Ulrich Stiebel ein Visionär gewesen", sagt Ex-Manager Schwab.
Dadurch hatte das Unternehmen, als die Klimaschutzdebatte an Fahrt gewann, wichtige Wettbewerbsvorteile: eine eigene Produktionsstätte, eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung sowie ein weitverzweigtes Vertriebsnetz.
Konkurrent Viessmann übernahm erst 2008 den Schweizer Wärmepumpenhersteller KWT. Die zur Bosch-Gruppe gehörenden Hersteller Junkers und Buderus beziehen ihre Wärmepumpen über das schwedische Tochterunternehmen IVT.
Vaillant fertigt die Anlagen erst seit 2006 und Wolf Klima- und Heiztechnik erst seit 2010 in Eigenregie. Richtig mithalten konnte nur die Deutschland-Tochter des irischen Heizungsbauers Glen Dimplex, die 1990 das Kulmbacher Klimageräte Werk in Bayern übernahm.
Neuanfang nach 1944
Die Firma hatte ebenfalls in Siebzigerjahren die Produktion von Wärmepumpen aufgenommen und erwirtschaftet damit heute etwa die Hälfte des Umsatzes von 200 Millionen Euro. Genauso wenig wie den typischen mittelständischen Tüftler verkörpert Stiebel die Sorte Familienunternehmer, die nach der totalen Macht im eigenen Laden giert. Die Tradition beschränkt sich im Wesentlichen auf Halle eins der 35 Produktionsgebäude.
Hier hatte Vater Theodor 1944 nach der Zerstörung seiner Fabrik in Berlin den Neuanfang gewagt. 2007 wurde der 6000 Quadratmeter große Neubau eingeweiht, in dem heute so viel Wärmepumpen produziert werden wie kaum sonst wo in Europa. Die neue Halle in dezentem Grau hat nichts mehr gemein mit den übrigen Gebäuden, deren blaue Verkleidung über die Jahre von Wind und Regen verblichen ist.
Dafür trägt sie den Namen des Unternehmensgründers – und irgendwie auch das Schicksal des Jahres 1960 in sich, als Theodor Stiebel sich das Leben nahm. Ulrich Stiebel war damals elf und Schwester Angelika zwölf Jahre alt, Bruder Frank war noch im Kindergartenalter. Bis zur Volljährigkeit wurden die Firmenanteile der drei von einem amtlichen Vormund verwaltet.
Das hat das Unternehmen bis heute geprägt. Frank ist frühzeitig in die USA ausgewandert, Angelika nach Neuseeland. Nur Ulrich blieb hier und arbeitete nach dem Studium drei Jahre beim Lebensmittelmulti Unilever in Bayern. Seitdem ist sein Lebensmittelpunkt in der 6300-Seelen-Gemeinde Obergünzburg im Allgäu.
Inzwischen halten Ulrich und sein acht Jahre jüngerer Bruder Frank jeweils 50 Prozent an der Firma, der Verkauf war nie eine Option. "Ach was", winkt Ulrich Stiebel ab. Bruder Frank ist Architekt und führt die Geschäfte in Nordamerika. Die Leitung des Unternehmens haben sie einer vierköpfigen Geschäftsführung übergeben.
Kein Druck auf die nächste Generation
"Es ist gut, dass wir uns als Familie zurückgenommen haben. Ein externes Management hat sich sehr bewährt", sagt Ulrich Stiebel. Zusammen mit Frank sitzt er im Aufsichtsrat und beteiligt sich darüber hinaus mit seinem auf
300 Millionen Euro geschätzten Privatvermögen an anderen aussichtsreichen Unternehmen.
Darunter ist der Pumpen- und Regeltechnikhersteller ASV Stübbe im westfälischen Vlotho, der 2010 mit 180 Mitarbeitern gut 16 Millionen Euro umsetzte. Beim Gedanken an die Nachfolger holt Ulrich Stiebel die Vergangenheit ein. "Ich hatte keine Wahl", erinnert er sich. Er habe sich immer sehr an seinem Vater orientiert und deshalb wahrscheinlich auch die Leitung der Firma übernommen.
Auf seine eigenen Kinder, die Zwillinge Kai und Fabian, 27, sowie Andrea, 25, will er keinen Druck ausüben. "Natürlich werde ich meinen Anteil an meine Kinder vererben", sagt Ulrich Stiebel, "ob sie auch operativ tätig werden wollen, das müssen sie dann selbst entscheiden."