Evonik Flucht nach vorn

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RAG-Chef Werner Müller Quelle: dpa

Die Chemiker bei Degussa sind ihrer Profession nach ruhige und beständige Leute. Das Geschäft ist stark auf Deutschland konzentriert, die meisten Werke liegen hier, viele davon in Nordrhein-Westfalen. Hüls, Hürth-Kalscheuren und Krefeld sind ihre Standorte. Bei so viel Bodenständigkeit empfinden es viele hochqualifizierte Evonik-Mitarbeiter aus der alten Degussa-Zeit als schmerzlich, von fast jährlich wechselnden Eigentümern wie ein Wanderpokal behandelt zu werden.

Evonik – ein emanzipierter Konzern? Da bekommen viele Konkurrenzkonglomerate Appetit. Auch das – nicht nur das maue Börsenklima – ein Grund, warum Evonik-Chefkontrolleur und RAG-Stif-tungs-chef Bonse-Geuking in diesen Tagen intensiv versucht, Investoren zu begeistern. Ziel: Das Unternehmen soll am besten in einem Schwung an einen geeigneten Interessenten abgegeben werden. Dazu sind eine Menge Schreiben an Investoren in aller Welt herausgegangen.

Einer musste keinen Brief bekommen. Er meldete sich von selbst: Sibur aus Russland. Sibur ist ein petrochemischer Konzern, der es auf vor allem auf die alte Degussa im neuen Evonik-Kleid abgesehen hat. Doch alles, was russisch klingt, ist vor allem Politikern in Berlin – Kanzleramt und Wirtschaftsministerium reden beim Schicksal von Evonik auch mit – ein Dorn im Auge. Sibur ist eine Gazprom-Tochter, und Gazproms Expansionshunger und die undurchsichtigen Machtspielchen zwischen Gazprom und Kreml-Führung jagt vielen in Deutschland Schrecken ein.

Sibur ist es mit seinen Expansionsplänen in Westeuropa ernst – und Sibur ist nicht der sibirische Wolf, nach dem der Firmenname klingt. Gerade zwei Monate ist es erst her, dass Sibur mit dem US-Chemiekonzern Dow Chemical vereinbarte, zusammenzuarbeiten. Sibur prüft mit Dow den Ausbau der Werke im sächsischen Böhlen sowie in Schkopau.

Sibur ist kurz davor, in Deutschland in der Chemiebranche ins Geschäft zu kommen. Da wäre der Kauf der Evonik-Chemie nur ein weiterer Schritt in dieselbe Marschrichtung. Dass Sibur mit Evonik auch gleich acht deutsche Kohlekraftwerke und drei im Ausland bekäme, wäre ein Zusatzgeschäft.

Sibur könnte die Stromerzeugung entweder an die Sibur-Mutter Gazprom weiterreichen – oder, so wird bei Evonik spekuliert, auf dem Weltmarkt feilbieten. Gazprom will sich nicht äußern. Die RAG-Stiftung könnte, so ein Gedanke aus deren Umfeld, die Evonik-Chemie zwecks Verwertung abspalten, die Kraftwerke zunächst behalten.

Sibur – ein idealer Partner für Evonik? „Wohl nicht“, sagt ein Beamter aus dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium. Der Kenner der RAG-Materie weiß auch, warum: „Das Kanzleramt und Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) wollen die Russen nicht ins Ruhrgebiet lassen.“ Auch RAG-Stiftungsvorstand und Evonik-Chefkontrolleur Bonse-Geuking möchte die Gazprom-Tochter lieber nicht an das Schäfchen Evonik lassen. Die Wahlen Anfang März werden erst zeigen, um wie viel enger das Geflecht zwischen Kreml und Gazprom noch wird, Sibur eingeschlossen.

Wer will Sibur als Investor? Aus Evonik-Chef Müllers Umfeld verlautet dazu offiziell nichts. „Evonik möchte in der Phase einer Transaktion nichts sagen“, sagt ein Vertrauter. „Transaktion“? Fragt sich, welche.

Bonse-Geuking peilt die südostasiatischen und arabischen Investoren an. Damit wäre er auch politisch und historisch gesehen auf der sicheren Seite, denn für Deutschland wäre die arabische Formation nichts Ungewöhnliches. Der Staat Kuwait zeigt sich seit Jahren als treuer Daimler-Großaktionär, war jahrzehntelang Anteilseigener der Metallgesellschaft und besitzt noch heute ein kleines Paket am MG-Nachfolger Gea. Vor Jahrzehnten hat ein anderer Großer im Ruhrgebiet den Staat Iran als 25-prozentigen Großaktionär ins Boot geholt. Der damalige Krupp-Chef Berthold Beitz – heute Verwalter der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung auf dem Essener Hügel – hatte den Schah-in-Schah in Teheran umworben, der bei Krupp einstieg. Die Ayatollahs danach waren ebenso berechenbare Investoren. Was Stiftungschef Beitz im Ruhrgebiet vor Jahren als Lösungsweg gezeigt hat, kann Bonse-Geuking als zweiter mächtiger Stiftungschef in Essen, leicht nachmachen.

Doch wer auch immer bei Evonik einsteigt – wird er ein Interesse daran haben, das Konglomerat als Ganzes zu erhalten? Jetzt schon, in den Vorgesprächen mit den Investoren, die den April-Verhandlungen vorausgehen, werden bohrende Fragen an Bonse-Geuking gestellt: „Was haben die Kraftwerke mit Chemie zu tun?“, ist eine Frage der Unterhändler, die außerhalb des Ruhrgebiets und weit weg von Deutschland strenger gestellt wird als es Konsensmanager an der Ruhr wahrhaben. Diese Politiker gehören aber wie NRW-Landeschef Jürgen Rüttgers dem Kuratorium des Evonik-Eigners RAG-Stiftung an, das nicht nur Müller, sondern auch Bonse-Geuking kontrolliert.

Der Fall Nokia in Bochum zeige, so urteilen inzwischen Manager im Umfeld von Evonik sehr viel nüchterner, dass die Politik das Kalkül internationaler Manager bei Weitem unterschätzt. Wenn es um Fortbestand von Traditionen und Arbeitsplätzen von Unternehmen geht, wird von nichtdeutschen Investoren sehr emotionslos agiert. Das gilt auch für den liebgewonnenen Großkompromiss – wie er die RAG- und Evonik-Konstruktion mit der ausgetüftelten Zukunftsfähigkeit von Evonik als Konglomerat darstellt. „Auch die Gewerkschaft IG BCE wird bei Evonik ähnliche Erfahrungen machen wie die Arbeitnehmervertreter bei Nokia“, urteilt ein E.On-Manager von außen – nämlich dass Druck von Investoren größer ist, als Arbeitnehmerinteressen es je sein können.

Evonik als Ganzes? „Dieser Traum stammt aus der Zeit, als man von einem Börsengang schwärmte, der aber ausgeschwärmt ist“, urteilt ein Manager bei Evonik und fügt hinzu: „Ein Investor kann mit dem Haus als Ganzes nichts anfangen.“

Aber nicht nur das Große und Ganze, auch die Chemiesparte allein ist in sich ein unübersichtliches Konglomerat. Gut zwei von elf Milliarden Euro Umsatz wird nicht mit Spezialchemie gemacht, für die die frühere Degussa stehen soll, sondern mit Grundstoffchemie – vor allem ist Evonik einer der größten Rußproduzenten der Welt, der für die Färbung der Reifen benutzt wird. Auch simple Füllstoffe für Reifen kommen von Evonik. Und daneben ist die Ex-Degussa einer der weltgrößten Kieselsäurehersteller – ein Grundprodukt, das mit dem chemischen Verscheucher von Gespensterkrebsen so wenig zu tun hat wie die echte Spezialchemie, die in Krefeld das Werk verlässt. Im dortigen Werk Stockhausen werden sogenannte Superabsorber, nässeaufsaugende Stoffe für Windeln, hergestellt. „Zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen gibt es kaum Synergieeffekte“, sagt ein Evonik-Manager.

Analysten fragen schon daher jetzt, warum sich Evonik nicht völlig auf die Spezialchemie konzentriert. Zumal dem Konzern im Geschäft mit den feinen, gewinnträchtigen Chemieprodukten lange kein großer Wurf mehr gelungen ist.

Doch bevor Bonse-Geuking Ende April in das harte Gespräch mit den Investoren einsteigt, muss er noch intern etwas sehr Wichtiges klären. Noch immer ist das Tauziehen zwischen ihm und Evonik-Chef Müller nicht beendet, was die Kompetenzen von Aufsichtsrat und Vorstand betrifft. „Wie das präzise geregelt wird, vermag ich Ihnen nicht zu sagen“, sagt ein Sprecher im Auftrag von Evonik.

Müller soll nur in enger Abstimmung zusammen mit Bonse-Geuking entscheiden, ob er Unternehmensteile verkaufen kann und an wen. Das gilt vor allem für das Immobiliengeschäft. Denn darüber hält der Stiftungschef gern selbst die Hand: Die Satzung der RAG-Stiftung verpflichtet ihn – anders als Vorstandschef Müller – auch auf das Wohl des Standortes Ruhrgebiet, in dem viele Bergarbeiterwohnungen liegen.

„Bonse-Geuking hat begonnen, seine Arbeit zu machen“, sagt ein Evonik-Manager, weit draußen in einem Chemiewerk. Soll heißen: Bonse-Geuking weist Müller in seine Schranken. „Dazu äußert sich Evonik nicht“, sagt ein Evonik-Sprecher. Anders als für Müller spielt das Chemiegeschäft in den Gesprächen Bonse-Geukings eine zentrale Rolle. Müller dagegen halte „nicht viel von der früheren Evonik“, wird in der Evonik-Chemie beklagt, er sei ein reiner Energiemanager „und hat es immer noch nicht verwunden, dass Bonse-Geuking und nicht er Stiftungschef geworden ist“.

Ein solcher Konflikt würde nicht nur einen Börsengang überschatten. Er würde auch die Verhandlungen mit Großinvestoren nicht gerade erleichtern. Die wollen nämlich als Erstes genau wissen, an wen sie ihr Angebot schicken sollen.

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