Gefängnis-Report Nadelstreifen hinter Gittern: Manager berichten aus dem Knast

Finanzkrise, Untreue, Korruption – der Gang ins Gefängnis wird für immer mehr Manager zur realen Gefahr. Ein Report über den Absturz aus der Chefetage, den Horror hinter Gittern und Haft light für gehorsame Täter in Nadelstreifen.

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Arrestzelle: Dasein ohne Quelle: dpa/dpaweb

Ulrich Beckheuer, Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Euskirchen, stellt den Mann im dunkelgrauen Hemd vor. „Das ist Herr Sommer.“ Der Endvierziger mit dem kurzrasierten Schädel blickt freundlich-neugierig. Er war Vorstandsvorsitzender eines namhaften deutschen Unternehmens mit vierstelliger Belegschaft und hieß natürlich ganz anders. Gut sieben Monate saß er in Untersuchungshaft und wurde wegen Kapitalanlagebetrugs zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die verbringt er zurzeit im offenen Vollzug in der Justizvollzugsanstalt Euskirchen unweit von Köln.

Wo und wann Sommer verhaftet wurde, behält er für sich, nicht aber, wie er es empfand: „Ein Schock.“ „Schatz, so isses“, habe er zu seiner Ehefrau gesagt, als die Polizei ihn abholte. Von einem Tag auf den anderen verschwand Sommer hinter Schloss und Riegel, in einer anderen Welt. Eine Stunde Hofgang am Tag, die ersten sechs Wochen kein Besuch, dann endlich ein Wiedersehen mit den beiden Kindern, die inzwischen über Papas Sünden Bescheid wussten. Seine U-Haft-Zeit verbrachte Sommer in Zwei- und Drei-Mann-Zellen. „Lieber das, als allein zu sein“, sagt er. Über Wochen kümmerte er sich um einen drogensüchtigen Epileptiker und pflegte einen albanischen Kriminellen, der zusammengeschlagen im Etagenbett unter ihm lag: „In der Aufgabe bin ich aufgegangen.“

Die Finanzkrise, aber auch Schmiergeldaffären, Veruntreuungen und Betrugsdelikte rücken ins Blickfeld, was für die meisten Manager undenkbar war: den Gang ins Gefängnis – ein Absturz vom Glamour in den Schmuddel, vom Designer-Bett auf die Pritsche, aus saturierter Stellung ins bodenlose Nichts.

„An der glitschigen Außenfassade klebte der Schmodder, unten sammelte er sich in einer Kloake, in der auch Essensreste schwammen.“ So beschreibt der frühere Immobilienjongleur Jürgen Schneider in seiner Biografie „Bekenntnisse eines Baulöwen“ die Gefängnisanlage Frankfurt-Preungesheim, in der er nach seiner Verurteilung wegen Betrugs von 1996 bis 1999 einsaß.

Der Fall ist Legende, aber aktueller denn je. Wegen Betrugs ermittelt die US-Bundespolizei FBI gegen große und kleine Namen der Wall Street. In Deutschland haben Staatsanwälte und Richter spätestens seit dem Siemens-Schmiergeldskandal und seit der VW-Affäre um den ehemaligen Personalchef Peter Hartz jede Scheu abgelegt, Wirtschaftsprominente hart anzupacken.

Managern droht mehr Ungemach als früher

Als der damalige Post-Chef Klaus Zumwinkel im Februar dieses Jahres wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung zum Verhör abgeführt wurde, standen Kamerateams vor seiner Kölner Villa. Die U-Haft blieb ihm vermutlich nur durch ein teilweises Geständnis erspart. In Frankreich pferchten Pariser Ermittler den früheren Airbus-Chef Gustav Humbert und den ehemaligen EADS-Co-Chef Noël Forgeard zwei Tage lang in Arrestzellen mit nach Urin stinkenden Wolldecken und dreckigen Klosettlöchern, um sie zu möglicherweise illegalen Insidergeschäften mit EADS-Aktien zu befragen. Ähnliches muss wohl Airbus-Chef Thomas Enders fürchten, gegen den ebenfalls ermittelt wird.

Die Liste der Manager mit solchen Erfahrungen dürfte in Zukunft länger werden, glaubt der Kölner Strafrechtsexperte Norbert Gatzweiler. Einige Staatsanwälte setzten die U-Haft vor allem gegen Wirtschaftskapitäne gern „als Instrument ein, um Geständnisse zu erzwingen“, sagt er. Apokryphe, also unechte, Haftgründe nennen das Insider. Verschärft wird die Stimmung gegen Wirtschaftskapitäne durch Politiker wie den Linke-Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, Peter Sodann. Der würde am liebsten Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann „verhaften“, wie er der „Sächsischen Zeitung“ sagte.

Auch international droht Managern mehr Ungemach als früher. Nahezu alle Regierungen haben die Gesetze verschärft. Schmiergeldzahlungen an ausländische Kunden – in Deutschland einst legal und steuerlich absetzbar – sind heute strafbar. Steuerhinterzieher fliegen dank Datenhandel und unzufriedener Bankmitarbeiter gleich reihenweise auf.

Kein Schutz der hervergohobenen Position für Manager

Dass die hervorgehobene Position sie schützt, können Manager nicht erwarten. Im Gegenteil. „Für Wirtschaftsstraftäter dauert die Untersuchungshaft oft länger als für andere“, sagt der Düsseldorfer Staranwalt Sven Thomas. Offiziell begründen Staatsanwälte und Haftrichter dies mit der Komplexität von Wirtschaftsstraftaten. Doch die „Komplexität der Ermittlungen“ werde inzwischen „floskelhaft“ als Grund genannt, meint Thomas, um die Untersuchungshaft immer wieder zu verlängern. So saß Alexander Falk, der Hamburger Erbe des gleichnamigen Stadtplanherstellers und Internet-Pleitier, den Thomas zeitweise verteidigte, 22 Monate im Hamburger Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis, bevor er wegen gemeinschaftlichen versuchten Betruges zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Die Zeit will der frühere New-Economy-Star, der gegen das Urteil Berufung einlegte, als „Besinnung wie im Kloster“ erlebt haben. Drogendealer und Gewaltverbrecher seien ihm zu Freunden geworden, „mit denen ich mich heute noch treffe“, verriet er im Frühjahr der „Bild“-Zeitung.

Wen es so erwischt wie Falk, der tönt in der Regel nicht herum, sondern schweigt. Die WirtschaftsWoche fand dennoch Unternehmer und Manager, die ernsthaft über den Albtraum Gefängnis sprechen wollten – über Demütigungen, Selbstmordgedanken, Verlust an Individualität. Wirtschaftskriminelle empfinden, so sehr sie die Strafe auch verdient haben, aufgrund ihrer gewohnten Lebensumstände den Absturz hinter Gittern als besonders brutal und erniedrigend. Bodo Schnabel, Ex-Chef der Pleitefirma Comroad, der 2002 wegen Betrugs zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, erinnert sich albtraumhaft an die Prozedur, die er über sich ergehen ließ, wenn Frau und Kinder ihn in der JVA Straubing besuchten. Er musste sich komplett ausziehen und untersuchen lassen, bevor er den Besucherraum betrat. „Es war demütigend“, sagt er.

KfW-Vorstand Ulrich Schröder: Quelle: dpa

Andererseits können sich viele verurteilte Wirtschaftsstraftäter dank überdurchschnittlicher Qualifikationen schneller als andere Häftlinge in der Knasthierarche hocharbeiten und in den offenen Vollzug kommen. Wie JVA-Insasse und Ex-Vorstand Sommer, der sich jeden Morgen an der Euskirchener Anstaltspforte abmeldet und mit einem Kleinwagen zur Arbeit fährt. Der Ex-Vorstand ist nun kleiner Angestellter eines Immobilienunternehmens, dessen Objekte im Rheinland und in Hessen er betreut. Abends kommt er zur JVA zurück und wird wieder eingebuchtet. 21 Nächte im Jahr plus Vor- und Folgetag darf er daheim bei der Familie verbringen. Sommer ist Freigänger, wie Häftlinge im offenen Vollzug heißen. Er hat seinen Wohnsitz zwar in der JVA, muss dort auch schlafen, geht aber außerhalb des Gefängnisses einer Arbeit nach. „White-collar-Straftäter wollen kein Hartz IV, sondern selber was tun“, sagt der Euskirchener Anstaltschef Beckheuer.

Rund 600 Personen dürften derzeit in den 203 deutschen Gefängnissen wegen Delikten einsitzen, die dem engeren Kreis der Wirtschaftsvergehen zuzurechnen sind. Das sind zwar gerade mal ein Prozent der rund 61.000 Häftlinge hierzulande. In einem Umfeld, das durch Klassiker wie „Papillon“, „Der Graf von Monte Christo“ und „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ berühmt und dank Anstalten wie Sing-Sing, Alcatraz und Guantanamo berüchtigt ist, bleiben straffällige Bosse Exoten.

Doch die Liste inhaftierter Wirtschaftsstraftäter wird lang und länger: Der frühere Chef des Geldtransportunternehmens Heros, Karl-Heinz Weis, verbüßt wegen schwerer Untreue und Bankrott zehn Jahre Haft. Anfang Oktober wurde der ehemalige Leiter der Sportredaktion des Hessischen Rundfunks, Jürgen Emig wegen Untreue und Bestechlichkeit verurteilt: zu zwei Jahren und acht Monaten Freiheitsentzug. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Im Knast herrschen andere Gesetze

Wer diesen Weg geht, muss sich auf den brutalst möglichen Einschnitt gefasst machen. Jede Chefattitüde gerinnt zur Farce, jeder Wunsch, den eben noch andere geflissentlich erledigten, wird zum Problem, jedes Problem zum Antrag. Eine Schreibmaschine, ein Buch von zu Hause, ein privates Kleidungsstück, etwas Besonderes zum Essen, alles geht nur per Formular. Ein Laptop? Ausgeschlossen. Ein Handy in der Zelle? Verboten. Schokolade? Alle zwei Wochen im JVA-Shop mit privatem Taschengeld zu kaufen. Als „erschütternde Deprivatisierung“ beschreibt der Münchner Anwalt Stefan Kursawe, der Klienten im Siemens-Management hat, wie Manager ihre Einlieferung in den Knast empfinden. Gegen echte oder vermeintliche Schikanen aufzubegehren, habe auch für frühere Top-Entscheider keinen Sinn. „Legen Sie sich nicht mit den JVA-Beamten an“, rät Kursawe seinen Mandanten, „die sitzen am längeren Hebel. Im Knast herrschen andere Gesetze.“

„Löwengrube“ heißt zum Beispiel die Arrestzelle des Münchner Polizeipräsidiums in der Ettstraße. Wer nach der Festname hier landet, muss gemeinsam mit Betrunkenen und Drogensüchtigen ausharren – im Extremfall das ganze Wochenende, bis zu 48 Stunden lang. „Ein Bau aus dem 19. Jahrhundert“, sagt Kursawe, „der Zustand ist je nach dem, mit wem sie da sitzen, ekelerregend und angsteinflößend.“

Das Leben im Knast ist ein Leben ohne Intimsphäre. Zwar sind in U-Haft Einzel- oder Doppelzellen die Regel. Doch häufig besitzen die Zellen keine abgetrennten Toiletten – dann kann jeder Aufseher durch das Guckloch in der Tür bei der Verrichtung zusehen. Geduscht wird in Gemeinschaftsräumen auch mal Seit’ an Seit’ mit dem Gewaltverbrecher von nebenan. Wenn die Staatsanwaltschaft Verdunklungsgefahr sieht, dann hören Beamte bei privaten Besuchen jedes Wort mit. Mehrmals im Monat wird die Zelle ohne Ankündigung gefilzt, um Verbotenes aufzuspüren, etwa Rauschgift oder Handys.

Knast nicht gleich Knast

„Niemand springt auf, wie früher die Sekretärinnen, wenn du was willst“, erinnert sich Häftling Sommer an seine erste Woche in der U-Haft. „Du kannst plötzlich nicht mehr spontan telefonieren und mailen.“ Alle Briefe werden von den Staatsanwälten kontrolliert und sind, heißt es in Häftlingsforen im Internet, schon mal zwei Wochen unterwegs. Immobilien-Betrüger Schneider fand „das bürokratische Schneckentempo höchst gewöhnungsbedürftig“.

Knast ist in Deutschland nicht gleich Knast. In Werl bei Dortmund sitzen beispielsweise vor allem Gefangene mit langen Haftstrafen. Dort sind die Kontrollen schärfer, die Regeln strenger, ist der Umgangston rauer. Die muskelbepackten und tätowierten Männer, die im Betriebshof unter freiem Himmel alte Stromkabel recyceln, indem sie Kunststoff von Kupfer trennen, würden in jeden Film passen. Wer hier als Manager landet, hat einen schweren Stand. Ausgeschlossen ist das nicht: In welches Gefängnis man kommt, hängt nicht vom sozialen Status ab, sondern von der Länge der Strafe.

Auf Mitleid aber darf niemand hoffen. Schließlich haben Wirtschaftsstraftäter Anleger betrogen, Lieferanten und Handwerker in die Insolvenz getrieben, früheren Mitarbeitern den Job gekostet, private Lebensträume zerstört. „99 Prozent der Jungs“, sagt Ex-Vorstandschef Sommer über seinesgleichen in Haft, „sind nicht ohne Grund da.“

Moderater als im Langzeit-Knast geht es in Anstalten wie der JVA Nürnberg zu, die sich auf Häftlinge mit bis zu zwei Jahren Haft konzentrieren. Das Risiko brutaler Übergriffe durch Mitgefangene ist hier geringer, der Umgang zwischen Häftlingen und Personal nicht so angespannt.

Ex-AUB-Vorstand Wilhelm Quelle: AP

In einem Bau der JVA Nürnberg aus den Siebzigerjahren sitzt der ehemalige Siemens-Geschäftspartner und Chef der von Siemens heimlich mit rund 50 Millionen Euro gepäppelten Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB), Wilhelm Schelsky. Die Staatsanwaltschaft wirft Schelsky Steuerhinterziehung und Beihilfe zur Untreue vor, was der im Wesentlichen bestreitet. Während der mit ihm angeklagte frühere Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer, dem wegen des Verdachts der Untreue in einem besonders schweren Fall bis zu zehn Jahre Haft drohen, als freier Mann den Gerichtssaal betritt, wird Schelsky stets von Vollzugsbeamten hereingeführt. Seit einer seiner Anwälte versuchte, ihm im Prozesssaal Zeitungen zuzustecken, darf er nicht mehr zwischen den beiden Verteidigern sitzen, sondern wurde auf die Bank dahinter verbannt.

Schelsky ging jahrelang in den Siemens-Chefetagen ein und aus. Er hatte enge Beziehungen zum IOC-Vize Thomas Bach. Sein Domizil war eine Villa an der Ostsee, die er am 14. Februar 2007 mit neun Quadratmetern hinter Gittern tauschte.

Bleierne Regeln im Knast

Seit über 600 Tagen lebt er nun in einem U-Haft-Trakt mit insgesamt 18 Zellen. Jede hat die Größe und den Charme einer Abstellkammer: grauer Linoleumfußboden, lindgrün gestrichene Betonwände, Gitter vorm Fenster. Über der Tür hängt ein kleiner Fernseher, für den Schelsky 18 Euro Leihgebühr im Monat bezahlt. Schelsky darf sich morgens, mittags und abends von einem sogenannten Hausarbeiter, selbst ein Häftling, seine Mahlzeit auf dem Flur abholen. Am 21. Oktober wurde er 60, der zweite Geburtstag, den er im Knast verbrachte. Ein alter Weggefährte wie AUB-Vorstand Heinz-Jürgen Forstreuter, der den früheren Vorsitzenden jetzt im Gerichtssaal wiedersah, sagt: „Das ist nicht mehr der Schelsky, den ich kenne.“ Im Oktober erfuhr der Langzeit-Untersuchungshäftling, dass sein Antrag auf Aussetzung des Haftbefehls wieder abgelehnt worden war: „An dem Tag“, sagt sein Anwalt Jürgen Lubojanski, „war mit ihm kaum mehr zu sprechen.“

Das Leben im Knast ist wie ein Leben ohne Strom. Kein Zeitdruck mehr, keine Jagd von einem Termin zum nächsten. Stattdessen herrschen bleierne Regeln. Laut Lubojanski half Schelsky gerne zu Anfang seiner U-Haft in der Anstaltsbibliothek. Aber dann wurde er verlegt. Die Anstaltsleitung trifft alle Entscheidungen über Gegenstände im Haftraum, über Bücher oder Zeitungen, die der Häftling möchte. Den Schriftverkehr kontrolliert der zuständige Richter, der auch Besuchsscheine ausstellt. Auf privaten Besuch besteht eine Stunde pro Monat Anspruch, zwei oder drei Stunden sind großzügig. „Vielen Betroffenen erscheint diese Situation anfangs kafkaesk“, sagt der Nürnberger JVA-Chef Hans Welzel.

Sonne gibts nur hinter Gittern

Denn der Knast-Alltag ist haarklein geregelt. Zwei Stunden am Tag ist für Schelsky „Aufschluss“, wie es im Gefängnisjargon heißt. Dann sind die Türen innerhalb eines Trakts offen, und Schelsky kann mit anderen Häftlingen sprechen, allerdings nicht hinter verschlossener Tür. Morgens ist eine Stunde Hofgang, auch bei Regen. Sollte die Sonne später scheinen, sieht Schelsky sie nur durch das Eisengitter. Um aus dem hoch liegenden Fenster zu schauen, muss er auf einen Stuhl steigen. Zweimal im Monat dürfen die Gefangenen des Traktes geschlossen im Gefängnis-Supermarkt einkaufen. Dort gibt es das „normale Sortiment“, sagt Anstaltsleiter Welzel, „aber ohne Alkohol“. Für die Einkäufe darf jeder maximal 178 Euro im Monat ausgeben. Jeder hat dafür ein internes JVA-Konto.

Zu den Tiefpunkten im Häftlingsleben gehört der Transport zwischen mehreren JVAs. Im Beamtenjargon heißt das Verschubung. Dabei werden Gefangene mit einem vergitterten Bus nach festem Fahr- und Routenplan durch Deutschland gekarrt. Wer etwa von Passau nach Hamburg gebracht wird, weil er dort in einem Prozess aussagen muss, fährt aber nicht direkt, sondern über mehrere Etappen dorthin. Die Verschubungszellen gelten als das Schlimmste und Unhygienischste, was der deutsche Justizvollzug zu bieten hat.

Mehr gefangene, weniger U-Haft

Der Düsseldorfer Anwalt Marcus Mosiek berichtet von einem Unternehmer in U-Haft, der für einen Transport – auf direktem Weg wäre es eine 700-Kilometer-Tour gewesen – neun Tage unterwegs war, mit acht Übernachtungen in unterschiedlichen JVAs. „Er war besudelt vom Erbrochenen eines anderen Häftlings“, sagt Mosiek, „bekam keine frische Kleidung, manche Zellen waren kalt und feucht, an einem Morgen kam er mir dreckig und in Schuhen ohne Strümpfe entgegen.“ Zwar können Gefangene für einen dreistelligen Euro-Betrag auf eigene Kosten einen Einzeltransport im Pkw beantragen. Wenn die JVA-Leitung aber kein Personal frei hat, berichtet Mosiek, „wird der Antrag eben abgelehnt“.

Grundsätzlich findet Nürnbergs JVA-Chef Welzel die U-Haft bedrückender als die Strafhaft, weil die Insassen in dieser Zeit seltener die Zelle verlassen dürfen. Denn im Gegensatz zu den anderen Gefangenen haben Untersuchungshäftlinge in der Regel keine Arbeit, der sie nachgehen könnten, sondern endlos Zeit zum Grübeln.

Welzel verordnet manchem Häftling deshalb trotz des Anspruchs auf eine Einzelzelle den Umzug in einen Gemeinschaftshaftraum. Das erzwungene Miteinander mindert die Suizidgefahr, die, so Welzel, unmittelbar nach Antritt der Untersuchungshaft besonders hoch sei: „Dann gibt es, etwa wegen des plötzlichen Eingesperrtseins und der Trennung von den Angehörigen ohne Chance auf spontanen Kontakt, eine höhere Neigung zu Eigenverletzungshandlungen.“ Aber auch abgelehnte Haftbeschwerden, die Zustellung der Anklageschrift oder die Urteilsverkündung sowie private Probleme, etwa die Scheidung vom Ehepartner, sieht Welzel als besondere Krisenauslöser während der Haft.

Manager machen sich hinter Gittern nützlich

Sind Manager erst einmal zu Freiheitsstrafen verurteilt, haben sie bessere Chancen auf Hafterleichterungen und auf sinnvollere oder anspruchsvollere Arbeiten als gewöhnliche Kriminelle. Nicht weil sie aufgrund ihres Status per se bevorzugt würden, sondern weil sie bessere Voraussetzungen mitbringen, um Hafterleichterungen zu erlangen. „Viele Ex-Führungskräfte entwickeln – aus der Not heraus – erstaunliche Fähigkeiten, sich chamäleonhaft anzupassen“, sagt Strafverteidiger Mosiek. Viele machen sich nützlich. Der Erlanger Rechtsanwalt Martin Reymann-Brauer aus der Kanzlei Bissel + Partner, derzeit Verteidiger des Ex-Siemens-Managers Johannes Feldmayer im Nürnberger AUB-Prozess, weiß von einem verurteilten Sparkassendirektor, der in der JVA Bamberg „eine ganze Werkstatt neu organisiert hat“. Ex-Comroad-Chef Schnabel arbeitete als Häftling am PC an MTU-Teilen für Airbus-Jets.

„Es gibt in Deutschland keinen Manager-Knast“, betont der Nürnberger JVA-Chef Welzel. Aber in der Anstalts-Realität sind viele Ex-Manager schlicht die leichter zu handhabenden Fälle. Sie bringen meist den erforderlichen Job mit, den sie vorweisen müssen, um außerhalb der Haftanstalt arbeiten zu dürfen. Wichtig ist dabei, dass die Tätigkeit nichts mit der Straftat zu tun hat. Auf diese Weise erhalten verurteilte Wirtschaftskriminelle oft sehr schnell den Status des Freigängers.

Sehr strenge Voraussetzungen für den Freigänger-Status

Bevor Anlagebetrüger Sommer den offenen Vollzug antreten konnte, musste er rund zwei Wochen in der „gesicherten Zugangsabteilung“ der JVA verbringen, also hinter Schloss und Riegel. Während dieser Zeit überprüft die JVA, ob der externe Job des Häftlings geeignet ist, ob der Häftling alle Voraussetzungen für den Freigänger-Status hat und stellt einen Vollzugsplan auf. Seit rund einem halben Jahr lebt Sommer in einem Zwei-Mann-Raum in Haus 4 auf dem freundlich begrünten Campus der JVA in Euskirchen. Er bezahlt 89,10 Euro pro Monat als Haftkostenbeitrag an die JVA – vor allem für die Unterkunft. Essen und Kleidung muss er sich selber kaufen. Vom restlichen Einkommen geht jeder Cent oberhalb der Pfändungsgrenze an seine Gläubiger. Natürlich ist Sommer untersagt, ein Unternehmen zu führen und sich beruflich mit Geldanlage zu befassen.

Seine täglichen Ausgänge sind streng reglementiert. Verstößt Sommer massiv gegen die Anstaltsregeln, geht es zurück hinter Gitter. JVA-Angestellte rufen ihn stichprobenartig auf seinem Handy an und fordern ihn auf, sofort von einem Festnetztelefon zurückzurufen. Das dient dazu, Sommers Aufenthaltsort zu kontrollieren. Auch bekommt er im Büro unangemeldet Besuch von seinem JVA-Wohngruppenleiter. Kehrt Sommer in seinen Haftraum zurück, muss er sein Handy im Auto lassen. An der JVA-Pforte sitzen Beamte, die ihn im Computersystem morgens aus- und abends einbuchen. Sommer beschreibt sich als unruhig: „Sonntags schaue ich dreimal auf den Urlaubsschein, ob da als Rückkehrzeit wirklich neun Uhr drauf steht.“ Manchmal seien die Erwartungen von Ehefrau, Kindern, Arbeitgeber und die JVA-Regeln kaum vereinbar. Ein Häftling habe ihm mal prophezeit: „Du wirst Momente haben, in denen du dich nach der Ordnung des geschlossenen Vollzugs sehnst.“

Bosse hinter Gittern

Anwälte behaupten, es gebe bei Gefängnissen ein Süd-Nord-Gefälle in Deutschland. Besonders liberal und resozialisierungsfreundlich handhaben demnach Länder wie Nordrhein-Westfalen und Berlin den offenen Vollzug. Der Heidelberger Strafverteidiger Alexander Keller, zu dessen Mandanten der wegen Betrugs verurteilte Flowtex-Chef Manfred Schmider gehörte, versucht Mandanten deshalb „möglichst nach NRW“ zu bekommen. Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Hessen gelten als restriktiv. Die Chance, gleich als Freigänger die Haft anzutreten, sei dort geringer. JVA-Chef Beckheuer warnt bereits vor „Vollzugstourismus“. Gefangene hätten ihren Wohnsitz schon von Hessen nach NRW verlagert, um ihre Strafe dort abzusitzen. Aber die strenge Ordnung der süddeutschen JVA hat auch etwas für sich, sagt Feldmayer-Anwalt Reymann-Brauer: „Für bürgerliche Häftlinge bedeutet sie einen besseren Schutz vor Übergriffen. Wo es lockerer zugeht, dominieren diejenigen, die sich im Knast-Milieu zu Hause fühlen.“

Der Neuanfang ist extrem schwierig

Und nach der Haft? Der Neuanfang ist extrem schwierig. Oft steht nur noch die Familie hinter den gefallenen Größen – wenn überhaupt. Der Gastronom und frühere Präsident des Fußballvereins 1860 München, Karl-Heinz Wildmoser senior, bekannte nach drei Tagen U-Haft im Frühjahr 2004: „Als ich nach der Entlassung durch den Biergarten ging, das war mit das Schlimmste. Da braucht man eine innere Überwindung, weil man sich doch schämt.“ Ermittelt wurde gegen ihn wegen Schmiergeldzahlungen beim Bau des Münchner Fußballstadions Allianz-Arena. Das Verfahren gegen Wildmoser senior wurde eingestellt, weil sein Sohn ihn entlastete und 2005 wegen Untreue und Bestechlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt wurde.

Michael Kölmel, der zwei Tage in U-Haft saß und eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten aufgebrummt bekam, feierte dagegen ein erfolgreiches Comeback. Der ehemalige Kinowelt-Chef, der mit dem Filmrechtehändler 2002 pleitegegangen war, kaufte zurück, was von dem bankrotten Unternehmen übrig war. Dann baute er es zu Deutschlands größtem DVD-Händler mit rund 20 Tochtergesellschaften auf. Im Januar dieses Jahres schließlich verkaufte er die neue Kinowelt nach Brancheninformationen für 70 Millionen Euro an die französische Filmgruppe Studio Canal.

Knast als Therapie

Es gibt aber auch Manager, die ihre Haft zur überfälligen Läuterung nutzen. „In der Untersuchungshaft fallen einem alle Sünden ein“, sagt Anlagebetrüger Sommer. Für ihn sei der Knast „sogar heilsam“. „Man kommt als der Größte dort an“, erinnert er sich, „der Türrahmen ist für das Ego zu niedrig.“ Die ersten zwei Anwälte – „teure Leute, bekannte Namen“ – setzten ihm Hirngespinste in den Kopf, sie würden ihn ganz schnell rausholen aus dem Gefängnis. Erst der dritte Anwalt habe ihm die Augen für seine „wirkliche Lage“ geöffnet.

Über sein Vorleben als Manager sagt Sommer heute: „Im Grunde war ich krank. Ich konnte nicht schlafen, ich nahm Morphine und lag mit zitternden Beinen im Bett. Das war kein Leben mehr.“ Jahrelang hatte er mit allen legalen und illegalen Mitteln versucht, sein Unternehmen zu retten. Dass das Lügen- und Finanzkonstrukt am Ende zusammenbrach, sagt er nun und lächelt, das war „meine Lebensrettung“.

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