Gesundheit Wie Kliniken an Patienten und Mitarbeitern sparen

Kliniken fahren eine Doppelstrategie: Sie sparen an Mitarbeitern und Patienten, erhöhen aber gleichzeitig ihre Einnahmen durch mehr Praxen, Pflegeheime und Privatstationen.

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Helios Klinikum: Geburten im Stundentakt Quelle: Max Lautenschläger für WirtschaftsWoche

Das Helios Klinikum in Berlin-Buch überrascht durch seine Architektur. 270 Meter ist der Hauptgang lang, links und rechts zweigen 50 mal 50 Meter große Würfel ab, mehrstöckig und mit Glasdächern, durch die Licht in die inselförmig angeordneten Abteilungen fällt. Jede hat ihre eigene Farbe, so finden sich Patienten und Besucher schnell zurecht.

Im Erdgeschoss liegen die Behandlungsräume, in den Etagen darüber Stationen und Operationssäle. Die Wege sind kurz, die Stationen durchdacht. Links die Entbindung, rechts die Neugeborenen-Intensiv. Das spart Zeit und viel Geld.

Sparen muss nicht nur die Klinik in Berlin-Buch. Die Budgets sind gedeckelt, medizinische Geräte, Personal und Energie werden immer teurer – und der Kostendruck in deutschen Kliniken immer brutaler. Quer durch die Republik kaufen die Hospitäler billiger ein, lagern Hilfsdienste aus und bauen effizient um.

Doch überleben können die Hospitäler nur, wenn sie gleichzeitig auch wachsen und ihre Einnahmen steigern. „Ihr Geschäftsmodell wird ein anderes sein. Sie sind nicht mehr nur stationärer Anbieter, sondern weiten ihr Geschäft auf andere Bereiche aus“, sagt Michael Weber von Bridges Consulting, der private Klinikkäufer berät. Das können ambulante Behandlungen sein, Pflegeleistungen für Senioren, die Komplettversorgung ganzer Regionen oder Luxusangebote für Privatpatienten.

2100 Krankenhäuser, 500.000 Betten

Es geht um ein gigantisches System: Rund 2100 Krankenhäuser gibt es in Deutschland mit mehr als einer halben Million Betten. Sie beschäftigen 136.000 Mediziner und fast 393.000 Krankenschwestern und -pfleger, die jedes Jahr mehr als 17 Millionen Patienten behandeln.

Die Finanznot vieler Kliniken ist akut. Die 3,5 Milliarden Euro extra, die es im Zuge der Krankenhausreform 2009 gab, sowie die Mittel aus dem zweiten Konjunkturpaket verschaffen den Spitälern nur eine Atempause, so das Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) im aktuellen Krankenhaus-Report:

Derzeit gelten 15 Prozent der Kliniken als insolvenzgefährdet, bis 2020 könnten es fast 30 Prozent werden.2010 dürften die Folgen der Finanzkrise die Gesundheitswirtschaft erreichen. Steigende Arbeitslosigkeit und damit geringere Einnahmen der Krankenkassen, sinkende Steuereinnahmen und die steigende Verschuldung der öffentlichen Hand sorgen für weiteren Kostendruck bei den Kliniken.

Wer produktiver werden will, muss jedoch zunächst investieren. Beispiel Buch: Als Helios das Klinikum 2001 übernimmt, macht der auf 167 teils marode Häuser verstreute Betrieb Verlust, 50 Millionen Mark Schulden haben sich angehäuft. Helios investiert 200 Millionen Euro in einen Neubau, der die alten Standorte vereint, und spart so jedes Jahr allein 43.000 Krankentransporte über 150.000 Kilometer.

Krankenhäuser haben ein Grundsatzproblem: Investitionen beziehungsweise Abschreibungen auf neue Gebäude, Geräte oder Reparaturen dürfen sie nicht in die Preise für ihre Leistungen einkalkulieren, die sie mit den Kassen abrechnen. „Dieses Preisverbot gibt es sonst nirgends“, sagt Rudolf Kösters, langjähriger Vorstand der St. Franziskus-Stiftung in Münster, die 14 Kliniken betreibt.

Dafür werden Investitionen in Krankenhäuser im Prinzip von den Bundesländern bezahlt. Die aber haben ihre Mittel seit 1998 real um ein Drittel gekappt. Die Folge ist ein Investitionsstau vor allem in öffentlichen Kliniken, den das RWI auf neun Milliarden Euro schätzt.

Die in der täglichen Arbeit entstehenden Millionenverluste müssen bei den öffentlichen Kliniken die Kommunen tragen. Weil immer mehr das nicht können oder wollen, steigen private Klinikketten ein. Etwa 30 Prozent aller Kliniken sind heute in privater Hand.

Die Privaten machen vor, wie Krankenhäuser Gewinnmargen von 15 Prozent vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen erzielen können. Sie sparen beim Einkauf, bei Personal und Verwaltung, verbessern die Arbeitsabläufe, investieren in neue Gebäude und moderne Medizintechnik. „Wenn Sie ein Krankenhaus nicht wie einen Industriebetrieb führen, erleiden Sie Schiffbruch“, sagt Josef Zacher, Ärztlicher Direktor des Helios Klinikums Berlin-Buch.

Augenuntersuchung: Facharzt und Klinik im Wettbewerb Quelle: Max Lautenschläger für WirtschaftsWoche

Im Einkauf liegt der Gewinn – auf die alte Kaufmannsweisheit schwören die Privaten.

Als Helios das Klinikum in Buch übernahm, kündigte das Unternehmen alle Lieferantenverträge. Die Lieferanten hätten daraufhin von sich aus angeboten, den Preis um 20 Prozent zu senken, sagt Zacher. „Da haben wir angefangen zu verhandeln.“ Gab es früher 40 Lieferanten für Schrauben, sind es nun drei. 90 Prozent der Standardpatienten, die ein Kniegelenk bekommen, erhalten die Standardprothese.

Auch ein Großteil der öffentlichen Kliniken ordert heute über Einkaufsgemeinschaften. „Aber so radikal und durchsetzungsstark wie die Privaten sind sie vielfach nicht“, sagt ein Branchenkenner. Bei den Privaten liegen die Sachkosten laut RWI bei 25 Prozent vom Umsatz, gut ein Prozentpunkt weniger als bei den Öffentlichen.

Bei Ärzten, Pflegepersonal und Verwaltung haben die Privaten deutlich stärker den Rotstift angesetzt: Der Personalkostenanteil am Umsatz liegt bei ihnen mit 57,4 Prozent deutlich unter denen der freigemeinnützigen (69,2 Prozent) und öffentlichen Kliniken (70,8 Prozent) ohne Unikliniken. Der Druck zeigt Folgen, denn er zielt auch aufs medizinische Personal. Die Arbeitsbelastung für Schwestern, Pfleger und Ärzte bei den Privaten scheint noch stärker zu steigen als bei anderen Trägern.

Mehrheit würde sich nicht in eigene Klinik gehen

So eskalierte auch im Vorzeigehaus Berlin-Buch 2007 der Stress in der Pflege. „Bundesweit beklagten Mitarbeiter aller Helios Kliniken Überlastung“, sagt Klinik-Betriebsrat Rainer Stein. Der Betriebsrat wollte eine Mitarbeiterumfrage starten, die Geschäftsführung versuchte das Projekt per einstweiliger Verfügung zu stoppen – und unterlag.

Mehr als 55% der Pflegemitarbeiter beteiligten sich an der Befragung. Von diesen bewertete mehr als die Hälfte die Stationsbesetzung mit mangelhaft oder ungenügend, ein Großteil fühlte sich häufig überlastet, die Pflegequalität wurde nur mit befriedigend beurteilt.

Die Mehrheit der Befragten würde sich bei ihrem Arbeitgeber nicht behandeln lassen. „Wir haben 2008 weit über 100 Leute in der Pflege hinzubekommen“, sagt Betriebsrat Stein, „wenn auch die meisten auf zwei Jahre befristete Jobs haben. Ständig wird nach weiteren Einsparpotenzialen gesucht.“ Nicht besser ist es bei den privaten Asklepios Kliniken: „Jede Woche zeigen zehn Mitarbeiter in jedem unserer Häuser offiziell an, dass sie überlastet sind“, sagt ein Hamburger Betriebsrat. So vermelden die Kollegen, dass sie die Verantwortung für ihre Arbeit nicht mehr übernehmen können. Die Spar-Strategie im Detail:

Haustarife.

Die meisten privaten Kliniken sind aus den öffentlichen Tarifverträgen der übernommenen Häuser ausgestiegen und haben mit den Gewerkschaften Konzern- oder Haustarifverträge vereinbart. „So lassen sich sieben bis acht Prozent einsparen“, sagt Jan Grabow, Geschäftsführer des auf Kliniken spezialisierten Wirtschaftsprüfers Curacon. Zudem zahlen die Privaten laut RWI-Studie prozentual weniger für betriebliche Altersvorsorge – und für die Ausbildung.Pfleger statt Ärzte. Da Mediziner nicht nur knapp, sondern auch immer teurer werden, versuchen die privaten Kliniken, Verwaltungsaufgaben an Servicekräfte und ärztliche Tätigkeiten auf OP-Assistenten zu übertragen. „Branchenweit bricht die klassische Arbeitsteilung zwischen Arzt und Pflegekraft zusehends auf“, sagt Wolfgang Pföhler, Vorstandschef des privaten Klinikbetreibers Rhön. Damit sich die teuren Spezialisten auf die Patienten konzentrieren können, sollen ihnen bei Rhön 250 Assistenten Verwaltungsaufgaben abnehmen.

„Solche Modelle haben mehr oder weniger alle Träger aus der Not heraus umgesetzt“, beobachtet Uwe Bettig, Professor für Management in Gesundheitseinrichtungen an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Sie reden nur nicht gern darüber. Umstritten aber ist das Vorhaben, Pflegekräften nach Weiterbildungen ärztliche Aufgaben zu übertragen. Am OP-Tisch soll dann der Assistent arbeiten, ein Doktor derweil mehrere OP-Säle gleichzeitig beaufsichtigen. Ein Graus für Ärzteverbände.

Asklepios sucht deshalb den Mittelweg. Seit Mai bildet die Klinikkette Chirurgische Operationsassistenten aus. Fachkräfte mit Berufserfahrung sollen nach 18 Monaten Weiterbildung während der OP assistieren, Katheter und Zugänge legen oder Wunden nähen – alles ärztliche Aufgaben.

Schöner entbinden: Kreißsaal mit Blümchen-Ambiente Quelle: Max Lautenschläger für WirtschaftsWoche

Helfer statt Pfleger.

Essen bringen oder Wäsche wechseln sind in vielen Häusern nicht mehr Aufgabe der Schwestern, sondern wesentlich billigerer Hilfskräfte.

Laut Helios-Chef Francesco de Meo spare dies zwei bis drei Prozent der Personalkosten. Auslagerung an Externe. Viele Krankenhäuser gliedern einfache Dienste wie Gebäudereinigung, Wäscherei oder Küche an Tochterunternehmen aus und zahlen dort nach niedrigeren Spartentarifverträgen.

Leiharbeit. Asklepios stelle fast nur noch Zeitarbeitnehmer ein, rügt Verdi-Gewerkschafter Dirk Völpel-Haus. Asklepios kontert, das betreffe nicht einmal ein Prozent des Personals. „Einige Konzerne missbrauchen Leiharbeit, um mit konzerneigenen Leiharbeitsfirmen Löhne zu drücken“, klagten Betriebsräte verschiedener privater Kliniken im Herbst 2008. Neue Erlöse gesucht. „Die Kliniken müssen sich mehr mit der Ertragsseite auseinandersetzen“, sagt Klinikprüfer Grabow. Dazu zählen vor allem niedergelassene Fachärzte, die in der Regel Patienten ins Krankenhaus einweisen. Das schafft Begehrlichkeiten auf beiden Seiten. Denn „der Kampf um Patienten und Marktanteile läuft auf vollen Touren“, sagt Michael Philippi, Chef der Sana Kliniken.

„Wie lang soll die Wertschöpfungskette sein? Darüber denken alle nach“, formuliert es Bridges-Vorstand Weber in schönstem BWL-Deutsch. Im Klartext: Vom ersten Facharztbesuch über die Operation und anschließendem Reha-Aufenthalt bis zum Altenheim könnte es bald alles unter einem Dach geben. „Die Klinikketten entwickeln sich in einigen Regionen zu integrierten Gesundheitsdienstleistern“, sagt Sana-Chef Philippi.

Ob das auch zugunsten der Patienten ist, steht dabei auf einem anderen Blatt: „Der Krankenhausmarkt ist nicht transparent. Der Patient hat keinerlei Übersicht, wo er gute Qualität bekommt“, rügt Helios-Chef de Meo seine Branche. Der erste Schritt in die neue Krankenhaus-Zukunft ist längst getan. Seit 2003 dürfen die Kliniken auch bestimmte am-bulante Operationen selbst machen. „Das ist der volle Konflikt zu den niedergelas-senen Ärzten“, sagt Georg Baum, Geschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

Privatkliniken suchen neue Einnahmequellen

Zugleich dürfen Kliniken seit 2004 sogar ambulante Praxen gründen – die medizinischen Versorgungszentren (MVZ).

Mehrere Ärzte teilen sich unter einem Dach teure Technik, Anmeldung und Verwaltung, versprechen kurze Wege und Wartezeiten sowie schnelle Diagnosen. 37 Prozent der etwa 1150 Zentren sind bereits in Klinikhand. Die Idee ist nicht neu: Polikliniken nannte man sie in der DDR. Sind Klinik und Praxis vernetzt, können Ärzte beider Häuser auf Befunde, Röntgenaufnahmen und Krankengeschichte zugreifen. Doppeluntersuchungen fallen weg.

Das spart nicht nur Zeit, sondern auch Krankenkassenbeiträge. So weit das unbestritten Positive. Problematisch wird es, wenn die Kooperation darauf hinausläuft, dass sich Kollegen aus Abhängigkeit oder als Freundschaftsdienst Patienten zuschanzen. Ein weiterer Wachstumsmarkt für Krankenhausbetreiber sind, weil die Zahl alter Menschen zuverlässig steigt, Pflegeeinrichtungen. Sana will bis zum Herbst eine „Richtungsentscheidung treffen“, ob der Geschäftszweig weiter ausgebaut wird.

Doch das Betätigungsfeld hat Haken. Die Auslastung schwankt vor allem auf dem Land und in privaten Heimen. Die Kosten sind hoch, und immer wieder gibt es Klagen über mangelhafte Betreuung und Pflege.

Verschlechtert sich zudem die Lage der gesetzlichen Pflegeversicherung weiter, setzt auch das die Heimbetreiber unter Druck. Alternativen sind Versorgungsnetze übers ganze Land, wie es sie in den USA bereits gibt. Die Münchener Rück übt mit ihrer Versicherungstochter Ergo schon mal in Spanien.

In der Region Denia übernimmt der Versicherer die komplette medizinische Versorgung aller Einheimischen. Dafür zahlt ihm der Staat eine jährliche Pauschale von 600 Euro pro Kopf für Behandlungen, Gehälter, Investitionen. Da dies nicht reicht, sollen Privatpatienten und Zusatzservice die Kasse aufbessern. In Spanien kontrolliert der Staat die Ausgaben, in Deutschland aber die Krankenkasse. Auf der Insel Rügen ist ein solches Projekt gemeinsam mit Sana dennoch in Arbeit.

Einfacher ist es, über mehr Privatpatienten mehr einzunehmen – vor allem in eigens ausgegründeten Kliniken oder Edelstationen. Essen auf Silbertabletts, Sekretariatsservice, Suiten mit DVD-Player und Internet-Anschluss – wenn schon Krankenhaus, dann soll es sich wenigstens nicht so anfühlen.

Öffentliche Häuser dürfen von ihren Privatpatienten nicht mehr als die Fallpauschalen verlangen, nur Chefarzt, Einzelzimmer oder andere Sonderwünsche werden extra abgerechnet. Privatkliniken aber sind nicht an die Fallpauschalen gebunden – obwohl die Patienten teils von den gleichen Ärzten operiert und den gleichen Schwestern gepflegt werden wie alle anderen Patienten.

Für ein gewöhnliches Einzelzimmer im Krankenhaus werden laut Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) im Schnitt 83 Euro je Nacht erhoben. Vivantes in Berlin verlangt für die Edelvariante laut Verband 260 Euro.

Für eine künstliche Hüfte berechnet Helios Privatversicherten im Einzelzimmer nach 13 Tagen normalem Krankenhausaufenthalt durchschnittlich 8900 Euro. In den Helios Privatkliniken wie in Buch sind es mehr als 10.200 Euro. Der PKV-Verband läuft Sturm und klagt nun vor Gericht, dass „die angeblichen Privatkliniken die Ressourcen des Plankrankenhauses in Anspruch nehmen – bei identischem medizinischem Leistungsspektrum“.

Wie bei Helios in Berlin-Buch: Die Privatklinik im dritten Stock des Haupthauses hat nicht einmal einen eigenen Operationssaal. Die Pfleger schieben die Privatzahler genauso in den Zentral-OP wie alle anderen Patienten auch.

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