Gleichbehandlung im Internet Alle Macht der Telekom?

Die Telekom und andere Netzbetreiber wollen bestimmen, welche Websites wir künftig im Internet nutzen können und welche nicht. Sie fordern die Maut fürs Web. Wieso sollten wir das zulassen? Ein Kommentar von Thomas Stölzel.

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Web-Surfer in einem Quelle: AP

Die werden das schon verkraften, mag sich manch einer denken, wenn Telekom-Chef René Obermann ankündigt, Google und Co. künftig für die Nutzung des Telekom-Netzes zur Kasse zu bitten.

Schließlich müssen der deutsche Telefonkonzern und seine Konkurrenten im In- und Ausland Milliarden in neue Glasfasernetze pumpen, um das gewaltige Datenwachstum der nächsten Jahre stemmen zu können. So rechnet der IT-Riese Cisco damit, dass sich der Verkehr auf der Datenautobahn weltweit bis 2014 mehr als vervierfacht. Unterdessen erwirtschaften Webriesen wie Google Milliardengewinne, indem sie ihre Daten durch die Netze der Telekoms zu den Nutzern jagen.

Trotzdem besitzt René Obermanns Vorstoß riesige politische und wirtschaftliche Sprengkraft: Er will künftig nur noch die Web-Dienste schnell durch sein Netz leiten, die eine Art Maut zahlen. Alle anderen würden auf Kriechgeschwindigkeit heruntergebremst, so der Plan des Topmanagers. Vorbei wäre es mit der Gleichbehandlung im Internet. Die Freiheit im Web, die eine einzigartige Gründerkultur geschaffen hat, wäre Geschichte. Das Internet, wie wir es kennen, würde es so nicht mehr geben.

Dienste wie YouTube, Twitter und Facebook konnten in den vergangenen Jahren nur entstehen, weil alle Daten im Netz gleich behandelt wurden. Es gab keine Telekom, die sie um Erlaubnis bitten oder gar bezahlen mussten, damit diese Videos, Fotos und Tweets in notwendiger Geschwindigkeit durch ihr Netz leitet.

Wollen wir künftig auf innovative Unternehmen im Netz verzichten? Das ist die Frage, vor der wir nun stehen.

Der Telekom-Chef argumentiert, dass durch sogenannte Qualitätsklassen neue Dienste entstehen. Das mag zwar in gewissem Maße stimmen. Dies werden allerdings meist Angebote von Großkonzernen sein, die es sich leisten können, die Maut zu berappen. Und wir alle wissen, wie innovativ die überwiegende Zahl der Großkonzerne ist.

Die meisten innovativen Dienste im Netz starten als Kostenlosangebot kleiner Start-ups, ohne Werbung, finanziert nur mit ein paar Euro oder Dollar Wagniskapital. Es würde diesen Web-Diensten künftig schwer fallen, das nötige Geld aufzutreiben. Zudem wäre das Risiko, zu scheitern, bei höheren Kosten deutlich größer.

Schließlich sind es derzeit vor allem datenintensive Angebote wie Videoanwendungen, die im Entstehen sind. Und wer weiß, was es die nächsten Jahre noch alles für Ideen geben wird.

Bei solch einer Bedrohung muss man sich wundern, warum hierzulande sowohl der Verband der Internetwirtschaft als auch die Wagniskapitalgeber ruhig abwarten, während René Obermann solch eine Bombe zündet.

Zumal die Lobbyisten der Telekommunikationsunternehmen schon seit Monaten durch Brüssel und Berlin ziehen, um Politiker und Journalisten auf ihre Seite zu ziehen. Dabei bieten die Argumente der Netzbetreiber durchaus Angriffspunkte. Der vorgeschobene Netzausbau der Telekom ist massiv subventioniert. Zudem schleppt der Konzern einen unzeitgemäß riesigen Personalbestand mit sich herum, für den künftig andere Unternehmen bluten sollen.

Nicht einmal kleine und große Internetunternehmen zweifeln an, dass es künftig bestimmte Premiumangebote geben muss, die bestimmte Datenübertragungsgeschwindigkeiten garantieren. Auch sollen die Telekoms Gewinne erwirtschaften können. Doch die Netzbetreiber greifen derzeit nach der gesamten Macht. Und die Telekom und ihres Gleichen werden diese hemmungslos ausnutzen, gesteht der Staat ihnen diese erst einmal zu. Sie könnten etwa konzerneigene Web-Dienste bevorzugen.

Man darf das Internet nicht als ein Produkt sehen. Es ist eine virtuelle Welt, in der Unternehmen heranwachsen, Geschäfte machen, in der Menschen Meinungen verkünden, spielen, sich mit anderen austauschen, Freundschaften gründen. Die Telekommunikationsriesen wollen gern die Regierung dieser virtuellen Welt übernehmen mit der Datenmaut als eine Art Steuer.

Deshalb ist jetzt die Zeit, die politische und gesellschaftliche Debatte in Deutschland und der EU zu starten. Eine Debatte darüber, wer künftig über das Internet bestimmen darf.

Jeder für sich selbst, oder nur ein paar mächtige Telekomkonzerne.

Lesen Sie zu diesem Thema unsere Titelgeschichte in der aktuellen WirtschaftsWoche Nr. 30 und diskutieren sie mit uns. 

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