Herr Wambach, das Oberlandesgericht Düsseldorf hat nach vorläufiger Prüfung die Ministererlaubnis des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel einkassiert. Gibt Ihnen das ein gutes Gefühl?
Das Verfahren hat sich sehr lange hingezogen. Für die Mitarbeiter von Kaiser’s Tengelmann bedeutet das eine sehr lange Unsicherheit. Gut ist das nicht. Dass das Gericht bei der materiellen Beurteilung ähnlich liegt wie die Monopolkommission, bestätigt uns in unserer Arbeit.
Zur Person
Achim Wambach ist der Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität zu Köln. Seit April 2016 ist er Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Zudem ist er Vorsitzender der Monopolkommission.
Hätte der Wirtschaftsminister gleich auf die Monopolkommission hören sollen?
Das sagt sich im Nachgang natürlich sehr leicht. Festzuhalten ist aber, dass Minister Gabriel die Arbeitnehmerrechte und die Arbeitsplätze bei Kaiser’s Tengelmann als Gemeinwohlgründe in den Vordergrund gestellt hat – wir haben daran gezweifelt. Nun bleibt abzuwarten.
War der Dienstag ein guter Tag für den deutschen Handel?
Für den Wettbewerb im Lebensmittelhandel sicherlich. Die Relevanz der wettbewerblichen Nachteile einer Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka hat die Untersuchung des Bundeskartellamts gezeigt. Für die Kaiser’s Tengelmann-Mitarbeiter dagegen geht das Bangen weiter.
Ministererlaubnis
Formell muss nach dem Gesetz für Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) mindestens einer der Beteiligten eines Fusionsprojekts nach dessen Untersagung durch das Bundeskartellamt die Ministererlaubnis beantragen. Er kann dies innerhalb von einem Monat nach der Zustellung des Verbots der Wettbewerbswächter tun. Innerhalb von vier Monaten nach Eingang des Antrags soll der Minister entscheiden. Wird eine Erlaubnis erteilt, kann sie mit Bedingungen und Auflagen verbunden sein. Die Entscheidung ist aber gerichtlich anfechtbar.
Voraussetzung für einen solchen Antrag ist ein öffentliches Interesse an dem Zusammenschluss. Nach dem GWB muss die Fusion gesamtwirtschaftliche Vorteile bieten und/oder durch ein "überragendes Interesse" der Allgemeinheit gekennzeichnet sein. Diese übergeordneten Vorteile müssen die Nachteile für den Wettbewerb aufwiegen, wegen derer das Bundeskartellamt sein Veto einlegte. Auch die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Auslandsmärkten soll berücksichtigt werden.
An dem Verfahren für eine Ministererlaubnis werden auch Personen und Gruppen beteiligt, deren Interessen durch die Fusion erheblich berührt werden. Dazu gehören etwa Arbeitnehmer, Verbände, aber auch Konkurrenten. Vor einer Entscheidung über eine Ministererlaubnis muss die Monopolkommission - ein Expertengremium, das die Bundesregierung bei Wettbewerbsfragen berät - eine Stellungnahme abgeben. Deren Einschätzung ist allerdings nicht bindend. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Zudem muss es eine öffentliche mündliche Anhörung geben.
Seit Schaffung des Instruments und damit seit 1974 wurde in 21 Fällen eine Ministererlaubnis beantragt. Die Erfolgsbilanz ist gemischt. Wiederholt wurde eine Erlaubnisantrag im Verlauf des Verfahrens wieder zurückgezogen. Zuletzt war ein Zusammenschluss im Krankenhausbereich - Uniklinikum Greifswald/Kreiskrankenhaus Wolgast - im Jahr 2008 vom Minister genehmigt worden. Der bislang letzte spektakuläre Fusionsfall, bei dem eine Ministererlaubnis den Weg - wenn auch mit Auflagen - freimachte, war der der Energiefirmen E.ON und Ruhrgas im Jahr 2002. Dagegen wurde 2003 ein Antrag für ein Zusammengehen der Verlage Holzbrinck/Berliner Verlag zurückgezogen, nachdem die Monopolkommission im Zuge des Verfahrens empfohlen hatte, die Ministererlaubnis zu versagen.
Können zumindest die Zulieferer, die sich ja vehement gegen die Fusion gestellt haben, nun beruhigt sein?
Zunächst ist die Beurteilung des OLG im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Wenn es bei dem Beschluss bleibt, heißt das nur, dass die jetzige Ministererlaubnis außer Kraft gesetzt ist. In diesem Fall muss eine neue Entscheidung getroffen werden. Es ist offen, wie Kaiser’s Tengelmann und Edeka auf den Gerichtsentscheid reagieren.
Die Reaktionen von Gabriel und Edeka stehen bereits fest. Sie wollen gegen das Urteil vorgehen. Wie sehen Sie die Chancen?
Das müssen die Juristen klären. Allerdings empfand ich die Ausführungen des Gerichts als recht eindeutig.
Rewe-Chef Alain Caparros hat sein Angebot für Kaiser’s Tengelmann abermals erneuert. Ist eine solche Fusion überhaupt realistisch? Schließlich ist Rewe nach Edeka die Nummer 2 im Handel.
Sowohl Edeka als auch Rewe sind in einigen Regionen der Kaiser’s Tengelmann-Märkte stark vertreten. Dass das Kartellamt in diesem Fall ebenfalls wettbewerbliche Vorbehalte hätte, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Aber es gab noch kein Verfahren des Kartellamts bezüglich einer möglichen Übernahme durch Rewe, insofern ist das Spekulation.
Das OLG hat Gabriel zum Teil schwere Vorwürfe gemacht. Unter anderem klang ein Befangenheitsvorwurf an. Welche Konsequenzen sollte Gabriel aus Ihrer Sicht ziehen?
Das aktuelle Urteil im Eilverfahren beruht auf einer vorläufigen Prüfung. Es zeigt allerdings bereits, dass der Wirtschaftsminister im Ministererlaubnisverfahren an einen rechtlichen Rahmen gebunden ist. In zukünftigen Ministererlaubnisentscheidungen wird dieser Aspekt mit Sicherheit mehr Beachtung finden.
"Der Minister entscheidet und trägt die Verantwortung"
Sofern es noch einmal ein solches Verfahren geben wird. Es sind im Laufe der Debatte immer wieder Stimmen laut geworden, die eine Abschaffung fordern. Was halten Sie davon?
Die Ministererlaubnis erfüllt einen sehr wichtigen Zweck. Das Kartellamt kann durch dieses Prozedere frei von politischem Druck auf Basis wettbewerblicher Argumente entscheiden. In anderen Ländern – wie etwa Großbritannien – kann die Politik schon früher in solche Verfahren eingreifen. In Deutschland ist das Verfahren ziemlich sauber und transparent: Erst erfolgt die wettbewerbliche Prüfung und dann kann auf Antrag der Minister entscheiden, ob Gemeinwohlargumente überwiegen.
Nun hat das Gericht die Berechtigung genau dieser Argumente bemängelt.
In diesem Fall. Aber es gibt durchaus Gemeinwohlargumente die überwiegen können – etwa wenn es um Umweltschutz oder Wissenschaftsförderung geht. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass Fusionen im Rahmen der Ministererlaubnis bewilligt wurden. Übrigens hat auch die Monopolkommission in einigen Fällen eine solche Erlaubnis empfohlen.
Braucht es eine engere Definition des Gemeinwohls im Wettbewerbsrecht?
Aus den bisherigen Ministererlaubnisentscheidungen, der Rechtsprechung und den Stellungnahmen der Monopolkommission ergeben sich schon einige Voraussetzungen für die Anerkennung als Gemeinwohlgrund. Es dürfte schwierig sein, eine präzisere Definition des Gemeinwohls gesetzlich festzuschreiben. Eine bessere Systematisierung potenzieller Gemeinwohlgründe wäre allerdings hilfreich, um den offenbar bestehenden Unklarheiten bei Anwendung dieses Instruments entgegenzuwirken.
In der Debatte wurden ebenfalls Stimmen laut, die forderten, die Entscheidungen der Monopolkommission sollten für den Wirtschaftsminister bindend sein. Was halten Sie davon?
Die Monopolkommission ist nicht in gleicher Weise demokratisch legitimiert, wie etwa der Wirtschaftsminister. Im Rahmen der Ministererlaubnis sind gegebenenfalls unterschiedliche Gemeinwohlgründe gegeneinander abzuwägen. Das ist eine politische Entscheidung. Der Minister hat ein politisches Amt und kann zur Verantwortung gezogen werden.
Ihr Vorgänger, Daniel Zimmer, ist nach dem Eklat mit dem Wirtschaftsministerium zurückgetreten. Wie harmonisch ist aktuell die Zusammenarbeit mit dem Minister?
Wir haben eine ganze Reihe von Themen, die wir mit dem Wirtschaftsministerium und dem Minister diskutieren. Das funktioniert gut. Bei der Ministererlaubnis sind wir und das Ministerium unterschiedlicher Meinung. Der Rücktritt meines Vorgängers war ja auch dieser Sache geschuldet. Wir haben die Argumente sehr sorgfältig analysiert und sind zu unserer Empfehlung gekommen. Der Minister hat anders entschieden. Aber so ist es: Wir empfehlen, der Minister entscheidet und trägt die Verantwortung dafür.
Nun, normalerweise wirkt die Monopolkommission im Hintergrund. Zimmers Rücktritt brachte viel Brisanz mit sich. Gibt es wirklich keine Spannungen?
Da müssen Sie im Ministerium nachfragen. Auf der operativen Ebene arbeiten wir nach wie vor sehr gut zusammen. Dass wir in dieser Sache anderer Meinung sind, das gehört dazu, das hat es auch vorher schon gegeben.