Frachtraten sinken Reeder rasen in die Verluste

Mit Steuergeschenken und Zuschüssen wollte die Politik deutsche Containerflotten-Betreiber auf den Weltmärkten stärken. Doch nun sinken die Frachtraten rapide. Wer den Hafen verlässt, wirft Geld über Bord.

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Die wirtschaftlichen Aussichten sind trübe für die Frachter-Flotten der Meere. Quelle: dpa

Düsseldorf Der deutsche Traum von einer Seefahrernation platzte an einem Dienstag. Auf der Hauptrennstrecke Asien–Nordeuropa seien die Frachtraten derart zusammengebrochen, dass mit ihnen erstmals nicht mehr der Schiffsdiesel zu bezahlen sei, meldete der Branchendienst Alphaliner am 18. Oktober 2011 – und verkündete damit den Schiffbruch des globalen Seecontainergeschäfts.

Wer den Hafen verlässt, wirft seither automatisch Geld über Bord. Nicht einmal die Spritaufschläge, die den Frachtkunden üblicherweise zusätzlich in Rechnung gestellt werden, können das ändern. Das hatte es nicht einmal in der Finanzkrise 2008/09 gegeben.

Dumm nur: Den Seetransport von Schiffscontainern hatte die Bundesregierung vor acht Jahren zu einer deutschen Domäne erklärt. Um heimische Anleger von der Globalisierung und vom jährlich sechs Prozent wachsenden Welthandel profitieren zu lassen, erließ der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder den Reedereien einen Großteil der Steuern. Gleichzeitig lockte er Schiffsbetreiber mit lukrativen Zuschüssen. „Maritimes Bündnis für Beschäftigung, Ausbildung und Wettbewerb“ nannte er das.

Mit zunächst durchschlagendem Erfolg. Zwar fahren die meisten Schiffe immer noch unter den Flaggen von Panama, Liberia oder Antigua – wo Steuerbehörden großzügig und Sozialversicherungen unbekannt sind. Müssten die weltweit 4718 Containerschiffe allerdings die Flagge ihrer Eigentümer hissen, trügen 35,5 Prozent von ihnen Schwarz-Rot-Gold. Keinem Staat der Erde gehören mehr Containerschiffe als Deutschland.

Das aber könnte vielen von ihnen nun zum Verhängnis werden. „Wenn die Frachtraten sich in den nächsten zwei bis drei Quartalen nicht erholen, kann einigen deutschen Schiffsfonds eine Schieflage drohen“, warnt Jens Riedl, Logistikexperte der Unternehmensberatung Boston Consulting (BCG).

Doch an eine Besserung glaubt niemand mehr. „Die Überkapazitäten bei den Schiffen werden sogar noch steigen“, erwartet ein Schiffsinvestor in der Schweiz. Eine Studie des chilenischen Reederei-Riesen CSAV belegt: Die laufenden Aufträge für Schiffsbauten umfassen ein Volumen, das 30 Prozent der aktuell operierenden Flotte entspricht. Schon im Juni 2011 lag die weltweite Containerkapazität 8,5 Prozent über dem Vorjahr.


Um ihre Frachter zu füllen, locken Reeder mit Dumping-Offerten

Hervorgerufen wird der Bauboom nicht nur durch steuerliche Anreize. Leistungsfähigere Dieselmotoren und robustere Schraubengetriebe ermöglichen es inzwischen, Schiffe für bis zu 18.000 Standardcontainer zu konstruieren. Noch vor zehn Jahren war bei 7500 Einheiten Schluss.

Die Ozeanriesen sind – auf den Container gerechnet – zwar wesentlich sparsamer bei Sprit und Heuer. Um sie zu füllen, locken die Reeder aber zunehmend mit Dumping-Offerten. Seit Frühjahr 2010 marschiert der Preis nur noch in eine Richtung: steil nach unten.

Kostete der Transport einer 20-Fuß-Box im März 2010 noch mehr als 2000 Dollar, ist dessen Reise von Asien nach Europa derzeit – ohne Spritzuschlag – für 680 Euro zu haben. „Einen Container von Halle nach Hamburg fahren zu lassen ist teurer, als ihn anschließend von dort nach Schanghai zu verschiffen“, wundert sich ein Speditionsmanager in Köln.

Hinzu kommt, dass sich der Bunker, wie Seeleute den Schiffsdiesel nennen, seit Jahresbeginn um 36 Prozent verteuerte. Nur die Hälfte davon konnten die Reeder als Aufschlag an ihre Kunden weitergeben.

Leidtragende sind auf den ersten Blick die großen Schiffsbetreiber. So rutschte der bislang profitable Weltmarktführer Maersk vor wenigen Tagen mit einem Quartalsverlust von 213 Millionen Euro ins Minus, der angeschlagene chilenische Wettbewerber CSAV sackte sogar mit 249 Millionen Euro in die roten Zahlen. Bei der französischen CMA CGM, dem weltweit drittgrößten Containerreeder, rechnet nur noch jeder zehnte Anleihegläubiger damit, dass er sein Geld am Ende der Laufzeit zurückbekommt.

Noch schlimmer dran sind die sogenannten Charterreedereien. Sie nämlich sind es, denen die meisten Containerschiffe in Wirklichkeit gehören. Während etwa die klassische Reederei CMA CGM in Marseille nicht einmal ein Viertel ihrer 390 Frachter im Eigentum hält – was ihr die Rückgabe von gecharterten Schiffen erleichtert  –, bleiben die Charterreedereien auf ihren Ozeandampfern sitzen.


Drei Branchengrößen kämpfen gegen den Abstieg

Gleich drei Branchengrößen mit einem Weltmarktanteil von 70 Prozent residieren in Hamburg, wo sie derzeit verzweifelt gegen den Abstieg kämpfen. Der größte von ihnen, die Peter Döhle Schiffahrts-KG mit knapp 200 Schiffen, musste vor anderthalb Jahren beim Großkunden CSAV einsteigen, um ihn vor der Pleite zu retten. Wettbewerber Erck Rickmers, Besitzer von 107 Schiffen, versucht derweil, sich mit Stornierungen von Schiffsbau-Aufträgen über Wasser zu halten.

Von der Krise getroffen ist auch die Reederei Claus-Peter Offen, die 110 Frachter verchartert und ihre Banken bereits um die Aussetzung von Darlehenstilgungen ersuchte. Im Geschäftsbericht mahnen die Wirtschaftsprüfer: Die Unternehmensfortführung sei nur „aufrechtzuerhalten, wenn die den Konzern finanzierenden Kreditinstitute ihre Ansprüche im Zusammenhang mit den gewährten Darlehenssicherheiten nicht geltend machen“.

Dass dies in Zukunft so bleibt, hält BCG-Restrukturierungsexperte Ralf Moldenhauer für eher unwahrscheinlich. „Die Kreditgeber haben keinen unbegrenzten Atem“, glaubt er, „zumal eine Besserung der Lage derzeit nicht in Sicht ist.“

Schon im September stellte die NordLB die ausstehenden Verbindlichkeiten für den Schiffsfonds „MS List“ von Castor Kapital fällig, der daraufhin in die Insolvenz geriet. Mitte Oktober traf es den Dr.-Peters-Öltanker-Schiffsfonds, kurz nachdem schon der Petuja-Schiffsfonds von Navalis Invest die Insolvenz beantragt hatte.

Weil Privatanleger den geschlossenen Schiffsfonds kaum noch Vertrauen schenken, müssen nun die Banken aushelfen. Auch sie werden damit zu Opfern des Preisverfalls auf den Weltmeeren – allen voran die Commerzbank.

In ihrem jüngsten Geschäftsbericht weisen die Frankfurter zehn Fonds für Containerschiffe aus, die für die Charterreederei Offen aufgelegt wurden. Das Kuriose: Die zum Teil bereits ausgelieferten Frachter gehören fast alle zu 90 Prozent der Commerzbank – weil diese keine privaten Anleger als Anteilszeichner fand, wie Finanzexperten vermuten.

„Da die Commerzbank zum Teil dem Staat gehört“, lästert ein Schiffsfinanzierer, „ist jeder Steuerzahler gleichzeitig auch ein wenig Reeder.“ Ist Deutschland also doch ein Volk von Seefahrern?

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