Hanjin-Pleite Gefangen in der Flaute der Globalisierung

Nach der Pleite der südkoreanischen Reederei Hanjin dümpeln deren Schiffe auf den Meeren oder hängen in Häfen fest. Und alle sind ratlos. Was wird nach der Pleite der Reederei Hanjin aus deren Schiffen?

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Ein Containerschiff der Reederei Hanjin auf der Elbe bei Hamburg. Quelle: Bloomberg

Die Seeleute füllten ihre Einkaufswagen, als gebe es kein Morgen. Vor allem auf frisches Obst hatten sie es abgesehen. Berge von Bananen, Dutzende Netze mit Orangen und Zitronen wanderten aus den Regalen in ihre Körbe. Rund 600 Euro kostete der Großeinkauf beim Discounter Lidl am Ende, im nächsten Supermarkt standen gut 400 Euro auf dem Kassenzettel. Die Matrosen setzten ihre Heuer in Vorräte um. Keiner von ihnen weiß, für wie viele Tage die reichen müssen.

Normalerweise folgt der Alltag der Seeleute dem hektischen Takt der Globalisierung. Rein in den Hafen, Container von Bord und dann schnell weiter, so lautet für gewöhnlich ihre Order. Nun wirkt ihr Leben wie schockgefroren. Saß die Besatzung des Containerriesen Hanjin Europe erst mehr als 14 Tage lang im Hamburger Hafen fest, liegt ihr Riesenfrachter nun seit dem Wochenende vor der Nordseeinsel Langeoog auf Reede.

Ihr Eigner, Hanjin Shipping, die größte Reederei Südkoreas, der siebtgrößte Schiffskonzern der Welt, ist pleite. Ein Rädchen in der globalen Lieferkette ist zum Stillstand gekommen. Und keiner weiß, wie es weitergeht.

Marktanteile der größten 10 Container-Reedereien

Ratlos sind nicht nur die 24 Seeleute aus Südkorea, Indonesien und den Philippinen auf der Hanjin Europe. Ratlos sind auch die Kunden, die um ihre Ladung bangen, die derzeit auf mehreren Dutzend Hanjin-Schiffen weltweit unterwegs ist. Und ratlos sind bisher auch die Häfen, die vergeblich auf eine Ansage warten, wer die Kosten für das Laden und Löschen der Container übernimmt. 

Grenzenloser Glauben

Seit der Insolvenz Ende August schippern rund 97 Hanjin-Schiffe mit 500.000 Containern und Waren im Wert von 12,5 Milliarden Euro an Bord ziellos über die Weltmeere oder liegen in Häfen fest – jedes einzelne von ihnen Symbol einer Zunft, von der der Rhythmus des weltweiten Handels abhängt und die nun unter Schock feststellt, dass sie für den Fall der Pleite eines großen Mitspielers sehr schlecht vorbereitet ist.

Die Allianzen der Reedereien

Dabei steckt die Branche seit neun Jahren in der Krise. Im Glauben an das grenzenlose Wachstum des Welthandels haben die Reeder zu viele Schiffe gebaut, die Überkapazitäten lassen die Preise immer wieder abstürzen. Zudem hinkt die Nachfrage in Schwellenländern den optimistischen Prognosen von einst weit hinterher. Als Folge der Flaute hat Hanjin über die Jahre einen gewaltigen Schuldenberg aufgebaut, unter dem die Reederei nun zusammengebrochen ist.

"Hanjin hat hohe Außenstände bei uns"

Auch drei Wochen nach dem Aus ist längst nicht geklärt, was mit Schiffen, Ladung und Besatzungen geschieht. Mehrere Dutzend Pötte dümpeln auf hoher See, weil Häfen ihnen die Zufahrt verwehren und Hanjin verhindern will, dass Gläubiger die Schiffe beschlagnahmen. Auf denen lagert ein riesiger Schatz an Elektroartikeln, Mode und Autobauteilen, der nach und nach gehoben werden muss. Darunter befinden sich Produkte von Samsung, Siemens oder Nike.

von Jacqueline Goebel, Peter Steinkirchner

Jene Schiffe, die bereits vor Anker lagen, als die Nachricht von der Insolvenz kam, haben Behörden und Eigner beschlagnahmt. Weitere liegen unter Embargo, weil sie die Gebühren für die Abfertigung nicht bezahlen können. Die sind zwar im Falle der Hanjin Europe offenbar inzwischen bezahlt worden, so dass der Frachter am späten Freitagabend noch auslaufen konnte – mit zunächst unbekanntem Ziel.

Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, dass das Schiff wie geplant nach Rotterdam weiterfährt, denn in Hamburg hatte Terminalbetreiber Eurogate die Container komplett von Bord geholt. Kunden können ihre Bestellung abholen, wenn sie die entstandenen Kosten von rund 500 Euro pro Container übernehmen und sich verpflichten, die Behälter zurückzubringen.

Eurogate versucht zu retten, was zu retten ist, die Pleite der südkoreanischen Reederei trifft den Hafenbetreiber hart. Hanjin zählte zu den wichtigsten Kunden des Unternehmens. Mittlerweile stehe bei Eurogate ein hoher zweistelliger Millionenbetrag von Hanjin offen, heißt es in Hafenkreisen. „Es ist richtig, dass Hanjin hohe Außenstände bei uns hat. Über einen genauen Betrag geben wir keine Auskunft“, sagt eine Sprecherin.

Bei einem Umsatz von rund 650 Millionen Euro ist das nicht leicht zu verkraften. Die Abfahrt des Containerfrachters ist dabei nur die halbe Lösung. Denn die mittlerweile abgeladenen Container verstopfen das Hafengelände. Zwar hat ein Teil der Kunden seine Ladung bereits abgeholt – doch nicht jeder ist bereit, dafür teils doppelt so hohe Beträge zu zahlen wie vorgesehen.

Das Schiff selbst versperrte viel länger als geplant den Liegeplatz für andere Frachter. „Das ist eine erhebliche Beeinträchtigung“, sagt der auf Schifffahrt spezialisierte Berater Jan Ninnemann. Mehrere Hundertausend Euro pro Woche kostete der Stopp des Frachters, schätzt ein Hafenkenner.

Um das Schiff loszuwerden, hatte Eurogate daher Hanjin angeboten, das Schiff nach Wilhelmshaven umzuleiten. Dort betreibt Eurogate ein Terminal im erst vor wenigen Jahren eingeweihten Jade-Weser-Port, an dem im Gegensatz zu Hamburg wenig Betrieb herrscht. Doch das Angebot habe Hanjin abgelehnt, bestätigt eine Sprecherin von Eurogate.

Moderne fliegende Holländer

Nachdem die Hanjin Europe die Anker gelichtet und Hamburg verlassen hat, ist die Hanjin-Krise für die Hansestadt indes nicht vorbei. Zum einen warten zahlreiche Kaufleute und Unternehmen weiterhin auf Ware, die auf Hanjin-Schiffen unterwegs ist. Zum anderen nimmt offenbar bereits das nächste Problem Kurs auf Hamburg: die „Hanjin Harmony“. 

Die beliebtesten Flaggen der deutschen Reeder

„Wir wissen, dass sie plant, nach Hamburg zu kommen“, sagte in der vergangenen Woche ein Sprecher der Hafenbehörde HPA. Doch man habe der Reederei bereits vor Tagen schriftlich mitgeteilt, dass eine Einfahrt nur möglich sei, „wenn für die Einfuhr und Ausfuhr schriftliche Bestätigungen vorliegen, dass die privaten Anbieter wie die Schlepper und Lotsen das Schiff bedienen“, heißt es.

Doch für die Harmony, die nach mehreren Tagen auf Reede vor Le Havre aktuell durch den Ärmelkanal schippert, gelten andere Bedingungen als für die Europe: Die Reederei Hanjin hat das Schiff nur gemietet, tatsächlich gehört es dem stadtbekannten Hamburger Reeder Peter Döhle, genauso wie drei weitere Schiffe.

Für den Schiffsvermieter ist das ein sensibles Thema. Denn die Frachter bringen kein Geld ein, und noch ist unklar, wann die Vermieter sie anderen Reedereien wieder anbieten könnten. „Wir sagen nichts“, heißt es dort nur, die zuständige Mitarbeiterin legt den Telefonhörer noch mitten in der Frage auf.

Laut einem noch nicht bestätigten Bericht des „Wall Street Journal“ erwägt Hanjin derzeit, die insgesamt 61 von Drittanbietern gecharterten Schiffe an die Eigner zurückzugeben. Dazu würde auch die „Harmony“ zählen. Das angeschlagene Unternehmen wolle seine eigene Containerflotte um mehr als die Hälfte verkleinern, um sich womöglich noch zu retten.

Die größten Reedereien der Welt
Platz 10Mit einer einer Transportkapazität von knapp 600.000 TEU und einem Marktanteil von 2,8 Prozent hat es die taiwanesische Yang Ming Marine Transport Corp. in die Top 10 der weltweit größten Reedereien geschafft. Yang Ming ist mit 172 Niederlassungen in 73 Ländern vertreten und gehört damit zu den größten Transportunternehmen weltweit.Quelle: Alphaliner, Stand: Juni 2016 Quelle: dpa
Platz 10Die Orient Overseas Container Line, kurz OOCL, kann mehr als 570.000 Standardcontainer transportieren, ergibt eine Auswertung des Branchendienstes Alphaliner von Februar 2016. Das sind drei Prozent Weltmarktanteil. Damit landet das börsennotierte Unternehmen mit Sitz in Hongkong auf dem zehnten Platz der größten Reedereien der Welt.Quelle: Alphaliner, Stand: Februar 2016 Quelle: dpa
Platz 8Mit einem Transportvolumen von rund 625.000 geht die Reederei Hanjin Shipping auf dem achten Platz vor Anker. Das Unternehmen sitzt in Seoul und gehört mit weiteren Unternehmen wie der Fluggesellschaft Korean Air zur Hanjin Group. Die Schiffe von Hanjin fahren hauptsächlich zwischen Ostasien, Europa und der Westküste der USA. Mittlerweile ist Hanjin Shipping pleite. Quelle: AP
Platz 8Auf Rang Acht landet die Deutsche Reederei Hamburg Süd mit einer Kapazität von knapp 650.000 Standardcontainern. Das Unternehmen wurde 1871 von elf Hamburger Handelshäusern gegründet. Heute ist es im Besitz der Oetker-Gruppe. Quelle: dpa
Platz 5Auf Position fünf des Rankings: Die Reederei Hapag-Lloyd mit Sitz in Hamburg besitzt am 22. Februar 2016 dem Branchendienst Alphaliner zufolge eine Kapazität von 920.559 Standardcontainern. Das sind fast sechs Prozent Weltmarktanteil. Die tief gefallenen Ölpreise sorgten auch bei der größten Reederei Deutschlands für Probleme: Eine Gewinnwarnung des Weltmarktführers Møller-Maersk hatte im vergangenen Jahr den Börsengang erschwert. Die Hamburger mussten ihre Aktien billiger anbieten, um Investoren zu finden. Darunter litten auch die Großaktionäre - Tui, die Stadt Hamburg, und der Großspediteur Klaus Michael-Kühne. Quelle: AP
Platz 4Mit 927.428 Containern Kapazität schafft es Evergreen Line aus China auf Position vier. Damit hat Evergreen Hapag-Lloyd eingeholt. Die Schiffe der Flotte tragen übrigens alle auch den Zusatz „Ever“ im Namen. Quelle: REUTERS
Platz 4Durch die Fusion der China Ocean Shipping Company (COSCO) mit der China Shipping Container Lines (CSCL) ist Anfang des Jahres der Anbieter mit der weltweit größten hauseigenen Flotte im Reich der Mitte entstanden. Mit einem Transportvolumen von 1.573.498 und einem Marktanteil von 7,6% hat sich der neue chinesische Container-Riese auf Platz vier katapultiert. Quelle: dpa

Die Wahrscheinlichkeit für eine Abwicklung des hoch verschuldeten Unternehmens sei aber noch immer groß, schrieb das Blatt. Der Konzern wollte sich nicht zu dem Bericht äußern und verwies darauf, dass der Sanierungsplan erst im Dezember vorgelegt werden muss.

Für die Seeleute auf der Hanjin Europe heißt das zunächst: Sie müssen weiter warten, im Meer vor Langeoog, moderne fliegende Holländer, die sie sind. Die Ungewissheit setzt sich fort.

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