Dass das Lego-Imperium mal kurz davor stand, in Einzelteile zerlegt zu werden, erscheint kaum noch vorstellbar. Aber 2003 machte der Konzern mehr als 200 Millionen Euro Verlust. Die Übernahme durch den US-Spielzeugriesen Mattel drohte. Die Misere fing 1999 an. Geschäftsführer Kjeld Kirk Kristiansen dachte, dass Steine allein nicht alles sein können. Lego eröffnete Freizeitparks, produzierte eigene Computerspiele, bedruckte T-Shirts – und vergaß dabei den Markenkern.
Als der Zusammenbruch drohte, trat Kristiansen ab. Der frühere Finanzchef des Unternehmens, Jørgen Vig Knudstorp, übernahm 2004 den Chefsessel und räumte nach seinem Amtsantritt kräftig in der Gruppe auf: er lagerte die Nebentätigkeiten und stellte die kleinen bunten Klötzchen wieder in den Mittelpunkt des unternehmerischen Handelns.
Der Umbau hat sich rentiert. Jahr für Jahr kann Knudstorp neue Rekorde vermelden: Der Umsatz lag zuletzt bei 4,8 Milliarden Euro, der Gewinn bei 1,2 Milliarden. 100 Millionen Kinder weltweit spielen mit Lego.
Die Geschichte Legos
1932 gründete der dänische Tischlermeister Ole Kirk Christiansen Lego. Der Name setzte sich zusammen aus „leg godt“, was so viel heißt wie: „spiel gut“. Zu Anfang stellte das Unternehmen noch Holzspielzeug her.
Ein Legostein, der dem heutigen Modell schon sehr ähnelt, wurde 1949 eingeführt. Die Oberseite war mit Noppen besetzt – wie es bis heute noch ist. Allerdings war die Unterseite hohl. Daraus resultierte ein Mangel an Stabilität.
Geschaffen wurde die Stabilität, die Lego so beliebt macht, 1958. Statt des Hohlraums befanden sich an der Unterseite der Steine nun Röhren, die dafür sorgten, dass die Steine fortan sehr gut hielten.
Von 1956 bis 1970 produzierte Lego Modellfahrzeuge nach realen Vorbildern. Insgesamt 16 Fahrzeuge gab es – diese konnten mit den bereits verkauften Klötzen kombiniert werden.
1974 wurden erstmals Lego-Figuren mit drehbaren Köpfen und Armen verkauft. Die Körper wurden damals noch aus herkömmlichen Steinen gebaut. Im selben Jahr kamen Figuren mit drehbaren Köpfen auf den Markt, die den heutigen Figuren sehr ähneln. Allerdings hatten sie noch keine bemalten Gesichter. Seit 1978 werden die sogenannten „Minifigs“ produziert – die heute bekannten Figuren.
2003 musste Lego große Verluste hinnehmen – rund 120 Millionen Euro verlor das Unternehmen und stand kurz vor der Insolvenz.
Deswegen übernahm ab 2004 der damals 36-jährige Jørgen Vig Knudstorp die Geschäftsführung. Der frühere Mitarbeiter von McKinsey war der erste Lego-Chef, der nicht zur Gründungsfamilie gehörte. Indem er zurück zum Kerngeschäft kehrte, die Zahl der Teile drastisch reduzierte und Legos Kindermarke Duplo wieder einführte, brachte er den Konzern zurück auf Gewinnkurs.
Unter Knudstorp schaffte Lego auch den Sprung in die digitale Welt. Warner Brothers produzierte für Lego den Film „Lego the Movie“, es gibt mittlerweile Online-Games, Computer-Spiele und Apps. Mit all diesen Mitteln wirbt Lego für sein Kerngeschäft – die Klötzchen.
In Billund könnte es aktuell kaum besser laufen. Das liegt auch daran, dass Knudstorp erkannt hat: Kristiansen lag nicht vollkommen falsch. „Wenn alles, was die Marke ausmacht, Bauklötze sind, ist Lego zum Scheitern verurteilt“, sagt David Robertson, der in seinem Buch „Imperium der Steine“ die Unternehmensgeschichte beleuchtet hat, im Interview. „Jeder kann ein Plastikspielzeug produzieren, das sich zusammenklicken lässt.“ Was das Unternehmen unter Knudstorp gelernt hat: Die Klötzchen müssen mit einer Geschichte kombiniert werden, damit sie einmalig sind. Und Geschichten werden heute – vor allem wenn sie sich an Kinder richten – auf Smartphone, Tablet, Kinoleinwänden und Spielkonsolen erzählt.
Lego bedient Spielzeugkiste und Smartphone
Lego hat es wie kaum eine andere Marke geschafft, das Spielzeug aus der analogen in die digitale Welt zu transformieren. Als Beispiel kann die in 2016 gestartete Reihe „Lego Nexo Knights“ dienen.
Ihre Geschichte ist wenig originell. Gut kämpft gegen Böse. Ein Zauberer und seine tapferen Ritter müssen einen Bösewicht besiegen, der in ihr Königreich eingefallen ist. So weit, so altbacken.
Marktanteil der Lego GmbH in ausgewählten Ländern
In Deutschland beherrschte Lego 2013 17,1 Prozent des Spielzeugmarktes.
In der Schweiz ist der Anteil minimal größer – er beträgt 17,2 Prozent.
18,4 Prozent des Österreichischen Markts konnte Lego vereinnahmen.
Modern wird Nexo Knights, weil die Schilde der Lego-Ritter mit Codes beklebt sind. Wer die per App einscannt, kann die Geschichte auf dem Smartphone oder dem Tablet weiterspielen. Der Clou für Lego: Um weiterzukommen, müssen die Kinder möglichst viele Schilde einscannen - und deshalb immer neue Figuren kaufen. Aktuell gibt es 170 solcher Schilde.
Seine Ritter-Geschichten ergänzt Lego mit kleinen Film-Episoden im Netz. „Wenn sich die Kinder im Internet kleine Lego-Cartoons ansehen oder die Lego-Spiele spielen, sorgt das eher dafür, dass sie mehr Lego kaufen, um die Geschichten nachbauen und nachspielen zu können“, erklärt Robertson.
Die Investition scheint aufzugehen. Auf der Spielwarenmesse in Nürnberg hat Lego die Nexo Knights für das zweite Halbjahr präsentiert – im Juni kamen wieder zehn neue Sets. Die Preisspanne: zwischen 10 und 120 Euro.
Lego kennt keine Altersgrenzen
Den ersten Schritt ins Digitale unternahm Lego mit der Reihe Mindstorms 1998. Kern der Produktserie ist ein programmierbarer Legostein. Die Kombination aus Motoren, verschiedenen Reglern und Sensoren sowie Technikteilen ermöglicht es, kleine Roboter zu bauen. Damit sprach Lego vor allem Jugendliche und Erwachsene an.
Die steckten nicht nur Stein auf Stein. Sie bauten mit der Zeit auch die Software dazu zusammen und brachten den Robotern neue Bewegungen bei. Mit mehr als einer Million verkauften Exemplaren wurde die Serie, die 2013 in die dritte Generation ging, zum Bestseller.
Spätestens seit Lego 2010 die Werbekampagne Legomen startete, die gezielt das Spielkind im Manne anspricht, scheint die Zahl der Produkte für Erwachsene jedes Jahr stärker zu werden. Neben Lego-Technic-Baukästen gibt es mittlerweile die Architektur-Reihe, in der echte Bauwerke nachmodelliert werden, die Ultimate-Collector-Serie, in der Sets zum Teil mehrere tausend Steine umfassen und die Anleitungen mehrere hundert Seiten lang sind und die Modular Buildings, aus denen sich eine realistische Stadt bauen lässt.
Die Sets sind zumeist rasch vergriffen, obwohl sie mehrere hundert Euro kosten. Gebraucht können Fans sie dann nur für mehrere tausend Euro ergattern. Für Kinder sind sie bei diesen Preisen gar nicht erst gedacht.
„Die Lego-Gruppe will allen Kunden gerecht werden – und so ist es nur natürlich, dass sie immer mehr Produkte herausbringen, die sich an Erwachsene richten“, sagt Jordan R. Schwartz, ein früherer Lego-Designer und Autor eines Buchs über Lego-Design. Dass Lego dieses Potenzial überhaupt erkannt hat, ist aus seiner Sicht dem Internet zu verdanken. Lego-Fan-Webseiten haben seit den Neunzigern Erwachsene Klötzchenbauer auf der ganzen Welt miteinander verbunden. „Viele von ihnen dachten lange, Lego bauen ist nur etwas für Kinder, also behielten sie ihr Hobby für sich“, sagt Schwartz. „Im Netz fanden sie Gleichgesinnte.“
Bis heute diskutieren mehrere Tausend Afols (Adult Fan of Lego) die neusten Produkte und vor allem ihre eigenen Entwürfe. Das hat sie zum einen als Zielgruppe für das Unternehmen interessant gemacht. 2014 kauften laut Branchenkennern 15 Prozent der erwachsenen Kundschaft das Spielzeug für sich selbst.
Zum anderen hat das Netz zu einer Professionalisierung der Hobby-Designer geführt. „Nimmt man die Entwürfe von erwachsenen Fans und vergleicht sie mit denen von vor zehn Jahren, erkennt man riesige Fortschritte“, sagt Schwartz. „Das resultiert aus der Möglichkeit, unsere Werke zu teilen, von den Ideen anderer zu lernen und so das Level weiter anzuheben.“ Diese Leidenschaft weiß Lego für sich zu nutzen.
In Billund wird das Potenzial der Fans genutzt
Viele, die heute für Lego arbeiten, kommen aus der Fan-Community. So auch Schwartz. Der US-Amerikaner war 15 Monate als Designer in Billund. In dieser Zeit entwarf er unter anderem das 135 Euro teure Palace Cinema aus der Lego Creator Reihe mit mehr als 2000 Teilen. Bevor Lego auf ihn aufmerksam wurde, zeigte er seine Entwürfe bloß im Internet und auf Fan-Treffen.
Enthusiasten wie Schwartz, die die Möglichkeit kriegen, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen, sind entsprechend motiviert. Wer mit ihm spricht, merkt das. „Die Zeit in Billund war für mich eine bemerkenswerte Erfahrung“, sagt er. „Ich bin sehr dankbar dafür.“
Die erwachsenen Fans dienen allerdings nicht nur als Talent-Pool für das Unternehmen. Sie sind auch diejenigen, die die Produkte von Lego voll ausreizen und immer wieder mit Verbesserungsideen an die Dänen herantreten.
In einem Interview mit der SZ sagte Lego-CEO Knudstorp über die Afols: „Wenn wir ein Autohersteller wären, wären das unsere Rennfahrer. Sie testen unser Produkt wirklich bis an die Grenzen.“ Ein Fan, der große Landschaften mit Zügen aus Lego baute, wies ihn darauf hin, dass die Züge in Kurven an Geschwindigkeit verlören. „Ich habe vorher nie darüber nachgedacht, jetzt arbeiten wir daran“, sagt Knudstorp.
Lego beherrscht Crossbranding wie kein anderer Spielzeugproduzent
Ende der Neunziger stieg Lego ins Film-Geschäft ein. Wie das Geschäft mit den Filmen erfolgreich läuft, musste Lego damals auf die harte Art lernen. 1999, als Star Wars Episode 1 erschien, erwarb Lego Lizenzen und veröffentlichte Sets zum Film. Es war der erste große Versuch, die Bekanntheit von Lego über andere Marken zu steigern. „Für die Lizenzen zahlte Lego viel Geld“, sagt Robertson.
Das Ganze schien zu funktionieren: Die Regale waren wie leer gefegt, also produzierte Lego im Jahr darauf noch mehr Star-Wars-Sets. 2000 erschien allerdings kein neuer Film. Die Folge: Die Nachfrage brach ein.
Wann immer ein neuer Star-Wars-Film erschien, rentierte sich die Lego-Produktion. In den Jahren zwischen den Filmen, ließen sich die Sets zu den Filmen kaum abschlagen. Lego verkaufte zu wenig, um die Lizenzkosten wieder hereinzuholen. „Das brachte Lego an den Rand des Bankrotts“, so Robertson.
Aus dem Fehler hat Lego gelernt: Das Unternehmen stimmt seine Produktion auf den Turnus ab, in dem die Filme erscheinen. „Dadurch ist Lego-Star-Wars eine der besten Partnerschaften der Crossbranding-Geschichte geworden“, sagt Robertson. Mittlerweile gibt es Lego-Sets zu den Harry Potter Filmen, zu Batman, zu Arielle der Meerjungfrau.
Auch wenn keine dieser Lizenzproduktionen an den Erfolg von Star Wars heranreicht, sie alle sind große Werbung für Lego, erschließen immer neue Käuferschaften – und haben die Marke Lego so bekannt gemacht, das Lego den Spieß umdrehen konnte: Heute erwerben andere Unternehmen Lizenzen von Lego, um ihre Produkte mit der Marke bekannter zu machen.
Lego schafft ständig Geschichten rund um die Klötzchenwelt
Das bekannteste Beispiel ist „The Lego Movie“. Als der Film 2014 erschien, von Warner Bros. finanziert und produziert, gelang Lego einer der größten Coups der Unternehmensgeschichte. Im ersten Halbjahr nach Veröffentlichung des Films stiegen Umsatz und Gewinn um mehr als zehn Prozent, wie „Die Zeit“ berichtete.
Das lag nicht an den Einnahmen der Kinokassen. Die flossen zum Großteil an das Filmstudio Warner Bros. Laut „Die Zeit“ beträgt das Geschäft mit Lizenzen nur ein Prozent des gesamten Lego-Umsatzes.
Die Dänen verdienten vor allem an den Sets zum Kinostreifen. „Extra Produkte zum Film herauszubringen, war ein starker Zug von Lego“, sagt Experte Robertson. „Die Kinder wollen sie, um die Geschichten daheim nachspielen zu können.“
Ähnliche Erfolge erhofft man sich in Billund von den kommenden Filmen. Im Februar nächsten Jahres erscheint „The Lego Batman Movie“. Im September folgt ein Film zur Ninjago-Reihe, bei dem Jackie Chan einem der Charaktere seine Stimme leiht. Im Februar 2019 kommt der Nachfolger des „The Lego Movie“ in die Kinos. All das verspricht rosige Aussichten, wenn die Lizenzprodukte zu den Filmen ähnlich gut laufen wie 2014.
Lego läuft auch auf der Konsole
In dem Geschäft mit Computer- und Konsolenspielen läuft es ähnlich. Seitdem Lego beschloss, sie nicht mehr selbst zu produzieren, müssen Spieleproduzenten, die an der Klötzchenwelt mitverdienen wollen, eine Lizenz kaufen und die Dänen am Gewinn beteiligen.
Das taten einige frühere Lego-Angestellte und gründeten eine eigene Firma über die sie 2005 das erste Spiel zu Lego-Star-Wars veröffentlichten. Das Spiel verkaufte sich 6,5 Millionen Mal. Infolgedessen fusionierte die Firma mit Traveller’s Tales, die sich zuvor um die Spiele zu Disney-Filmen kümmerte. Das neue Unternehmen heißt TT Fusion und produziert seit 2006 fast ausschließlich Lego-Spiele.
Auch das Lego Star-Wars-Spiel zum aktuellen Film „The Force Awakens“ kommt aus der britischen Gamesschmiede. Seit 2007 gehört die Firma Times Warner. Anhand des damaligen Kaufpreises von 100 Millionen Pfund lässt sich ablesen, was die Lizenzen schon vor rund zehn Jahren wert waren.
Ausblick
Bei all dem Fortschritt für Lego in der digitalen Welt – besteht die Gefahr, dass die Plasikklötzchen selbst künftig zu kurz kommen? „Auch wenn Lego immer stärker digitalisiert wird, ich sehe keinen Grund, warum die Legosteine bald aussterben sollten“, sagt Ex-Designer Schwartz. Auch wenn er selbst kein Freund der digitalen Lego-Welt ist, erkennt er ihre Notwendigkeit für den Konzern in einer Welt, in der Kinder mit Smartphone und Tablet aufwachsen.
Was der nächste Schritt des Unternehmens ist, weiß er nicht. „Bedenkt man, dass die ersten Lego-Steine, die der Firmengründer Ole Kirk Christiansen entwarf, aus Holz waren, erscheint alles möglich.“