Nahrungsmittel Nestlé will sich gesund futtern

Nestlé drängt in den Gesundheitsmarkt. Weil das Kerngeschäft mit Lebensmitteln langsamer wächst, investieren die Schweizer Milliarden in Hautpflege und medizinische Nahrung. Rechtliche Hürden stehen der Strategie im Weg.

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Nestlé-Fabrik in Portugal: Das Geschäft mit Klassikern wächst langsamer. Quelle: Imago

Düsseldorf Der weltgrößte Lebensmittelkonzern Nestlé wendet sich zusehends von seinem Kerngeschäft ab. Firmenchef Paul Bulcke und Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck-Letmathe wollen künftig nicht mehr nur Nahrungsmittel anbieten, sondern ihr Sortiment um Produkte mit einem gesundheitlichen Zusatznutzen erweitern. Jüngster Clou in diese Richtung: die Komplettübernahme von Galderma, einem Spezialisten für Haut-Pharmazeutik. Galderma stellt vor allem Cremes gegen trockene Haut, Shampoos gegen Haarausfall und Pillen gegen Nagelpilz her.

Nestlé verspricht sich von dem Engagement im Gesundheitssektor langfristig hohe Gewinne, die im Kerngeschäft zunehmend ausbleiben. Die Machtverhältnisse im Lebensmittelsektor verschieben sich: weg von den Produzenten, hin zu den Händlern. Das bekommt auch Nestlé zu spüren, wie die heute Donnerstag präsentierten Geschäftszahlen der Schweizer belegen.

Der Lebensmittelmulti erwirtschaftete 2013 einen Umsatz von rund 75 Milliarden Euro. Erstmals seit 2009 blieb Nestlé mit 4,6 Prozent organischem Wachstum unter dem selbst gesteckten Ziel von fünf bis sechs Prozent. In den Schwellenländern sackte die Nachfrage ein, der Gewinn sank leicht auf 8,2 Milliarden Euro. Um wieder in alter Stärke zu wachsen, ändert Nestlé die Schlagrichtung. Motto: Hauptsache gesund.

Nestlé war schon bisher zu fünfzig Prozent an Galderma beteiligt. Am Dienstag hatte der Konzern bekannt gegeben, auch die restliche Hälfte des eidgenössischen Unternehmens zu kaufen. Zur Finanzierung lässt Nestlé seinen Anteil an dem französischen Kosmetikriesen L’Oreal von 29,4 Prozent auf 23,3 Prozent abschmelzen. Im Gegenzug erhält Nestlé 3,4 Milliarden Euro in bar und die restlichen fünfzig Prozent von Galderma, die bisher im Besitz von L’Oreal standen.

Noch ist das Geschäft mit der Hautpflege klein. Mit einem Jahresumsatz in der Höhe von 1,6 Milliarden Euro ist Galderma aktuell nur eine Randnotiz im Reich des Lebensmittelriesen. Experten sehen aber großes Potential. „Der Markt mit gesundheitsfördernden Produkten wird stark wachsen“, sagt Mark Sievers, Partner bei der Unternehmensberatung KPMG im Gespräch mit Handelsblatt Online. Gerade in den Schwellenländern gebe es eine zunehmende Bereitschaft der Konsumenten für Gesundheitsartikel Geld auszugeben.


Cremes gegen Akne

Kein anderes Lebensmittelunternehmen drängt so stark in den Pharmaziesektor wie Nestlé. Während einer der Hauptkonkurrenten, Danone, Gerüchten zufolge erwägt seine Sparte für medizinische Ernährung zu verkaufen, setzt Nestlé voll auf diese Schiene.

Erst kürzlich vereinbarten die Schweizer eine langjährige Kooperation mit der US-Biotechnologiefirma Cellular Dynamics International (CDI). Ziel: die Erforschung der Zusammenhänge von Ernährung und Krankheiten. Mit Hilfe von personalisierter Nahrung will Nestlé so etwa Alzheimer bekämpfen, Diabetes und Übergewicht unterbinden sowie Herz-Kreislauf-Störungen lindern.

Schon vor gut zwei Jahren gründete Nestlé die Sparte „Health Science“ mit angeschlossenem Forschungsinstitut. Wie ernst es den Schweizern damit ist, beweist die Führungspersonalie. Luis Cantarell, ein Urgestein des Konzerns, wurde mit der Leitung beauftragt.

Rund um Galderma will Nestlé nun eine weitere Sparte mit Gesundheitsbezug aufbauen. Allerdings ist dieser Bereich weiter vom Stammgeschäft mit Lebensmitteln entfernt denn je. Cremes gegen Akne haben mit Schokoriegeln, Instantkaffee und Müsli nichts mehr gemein. Galderma passt aber durchaus ins Konzept von Nestlé. „Unser langfristiges Ziel ist, das führende Unternehmen in Nutrition, Gesundheit und Wellness zu sein“, sagte Vorstandschef Paul Bulcke.

Kritik an Nestlés Expansionsplänen kommt von Verbraucherschützern. Oliver Huizinga von Foodwatch fordert, dass Nahrungsmittel und Medizin nicht vermengt werden dürfen. „Diese Produkte sollten rechtlich behandelt werden, wie Medikamente und auch die Zulassungsverfahren für Arzneimittel durchlaufen müssen.“


Auch Rückschläge sind möglich

Es bestehe die Gefahr, dass Verbraucher in die Irre geführt werden. Konzerne könnten versucht sein, das „harte“ europäische Arzneimittelrecht zu umgehen, indem sie Medizin unter dem Deckmantel von Lebensmitteln verkaufen. Denn: „Das Lebensmittelrecht ist deutlich weicher, als das Arzneimittelrecht“, sagt Huizinga.

Wenn Nestlé seine Produkte nach den Maßstäben der Pharmaindustrie messen lassen muss, droht den Schweizern Ungemach. Aufwendige Studien mit mehreren tausend Probanden müssten dann wohl durchgeführt werden, mit stets ungewissem Ausgang. Höhere Entwicklungskosten wären unweigerlich die Folge.

Demgegenüber stünden im Erfolgsfall aber satte Gewinne. „Mit Produkten, die nachweislich der Gesundheit förderlich sind, lassen sich deutlich zweistellige Margen erzielen“, sagt Mark Sievers von KMPG. Laut einer Erhebung von Euromonitor International wächst der Markt für Spezialnahrung zudem doppelt so schnell, wie der Markt für konventionell verpackte Lebensmittel.

Allerdings hat sich Nestlé schon einmal beim Potential von Produkten im Gesundheitssektor getäuscht. 2006 kaufte der Lebensmittelhersteller den US-Diätberater Jenny Craig für 600 Millionen US-Dollar. Im vergangenen Jahr wurde die Firma wieder verkauft. Grund: zu wenig Profit.

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