Tarifeinheit Kleingewerkschaften im Visier

Mit der Zahl der Gewerkschaften steigt auch die Zahl der Streiks. Darum hat sich die neue Bundesregierung zum Ziel gesetzt, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln. Doch eine Umsetzung scheint unwahrscheinlich.

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Nichts geht mehr: Insbesondere den Fluggesellschaften machen Kleinstgewerkschaften zu schaffen. Quelle: dpa

Frankfurt Lufthansa -Chef Christoph Franz ist ein Freund markiger Worte, vor allem wenn es um seinen Lieblingsfeind geht. Wegen der Spartengewerkschaften herrsche im deutschen Flugverkehr „eine Situation wie in Großbritannien vor Margaret Thatcher“, sagt der Konzernchef im April 2013 vor einem Bundestagsausschuss. Beinahe im Drei-Monats-Abstand werde die Branche durch Streiks der Klein-Gewerkschaften beeinträchtigt. Franz rief die Abgeordneten damals dazu auf, neue Rahmenbedingungen zu schaffen, um des Problems Herr zu werden.

Und die neue Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, die sogenannte Tarifeinheit gesetzlich zu verankern. Dahinter verbirgt sich der Grundsatz, das in einem Betrieb nur eine Gewerkschaft vertreten sein darf. Experten sind skeptisch.

„Die Tarifeinheit wird und sollte nicht kommen“, sagt Ökonomieprofessor Bert Rürup. Gegen eine Einführung sprächen hohe verfassungsrechtliche Hürden - vor allem Artikel 9 Grundgesetz, dem zufolge Arbeitnehmer sich frei zu Gewerkschaften zusammenschließen dürfen, die sogenannte Koalitionsfreiheit. Sein Fazit: „Die Tarifeinheit wird mit einem unendlichen politischen Tauziehen verbunden sein.“ Rürup kennt sich mit Tarifauseinandersetzungen aus: Im Herbst 2012 schlichtete er den Clinch zwischen der Flugbegleiter-Gewerkschaft und der Lufthansa.

Spartengewerkschaften sind klein, aber häufig sehr schlagkräftig. Als die Piloten vor vier Jahren bei ihrem letzten Streik nur einen Tag nicht ins Cockpit stiegen, fielen bei der Lufthansa auf einen Schlag 1000 Flüge aus. Der nächste Streik steht kurz bevor, die Piloten haben sich in einer Urabstimmung am Donnerstag dafür ausgesprochen.

„Die sind so mächtig, da ihre Mitglieder gut ausgebildet und in Schlüsselpositionen vertreten sind“, sagt Daniel Schultheis, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Simmons & Simmons. Zudem sorge der gemeinsame Beruf für Geschlossenheit, und zwar nicht nur bei den Piloten. Ein Arbeitskampf lasse sich so wesentlich einfacher organisieren als etwa bei großen Gewerkschaften wie Verdi.


„Es gibt viele Leute, die sich ärgern.“

In Anbetracht der Vorteile ist es nach Aussagen von Ulrich Preis, Jura-Professor an der Universität Köln, verwunderlich, dass sich nicht mehr Berufskollegen zu eigenen Gewerkschaften zusammenschließen. Zumal das Bundesarbeitsgericht 2010 in einem Grundsatzurteil die Position der Kleinen zementierte. Damals sei befürchtet worden, dass die Tariflandschaft wegen neuer Gewerkschaften vollkommen zersplittere - grundlos, wie sich heute herausstelle. „Eigentlich leidet nur die Lufthansa, daneben sind noch die Bahn betroffen und die Ärzte.“

Die Zahl der fest etablierten Vertretungen ist übersichtlich: Fluglotsen sind bei der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) organisiert, Flugbegleiter bei Ufo, Lokführer in der GdL, der Marburger Bund vertritt die Interessen der Ärzte und die Vereinigung Cockpit die der Piloten. Letztere sehen dem neuen Gesetzesprojekt gelassen entgegen. „Von einem Koalitionsvertrag werden üblicherweise nur 20 Prozent umgesetzt“, sagte ein VC-Sprecher.

Das Volk kocht

Warum nimmt die Große Koalition ausgerechnet eine Handvoll Winz-Gewerkschaften ins Visier? Nach den Worten von Ronald Bachmann, Gewerkschaftsexperte am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, genießen Luftfahrt, Bahn und Krankenhäuser eine extreme Aufmerksamkeit, die aber nicht unbedingt mit der ökonomischen Relevanz zusammenhängt. „Es gibt viele Leute, die sich ärgern, wenn der Zug wegen eines Streiks verspätet ist, aber es entsteht daraus kein großer volkswirtschaftlicher Schaden.“ Wegen der geringen Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft sei aber schwer vorstellbar, warum deshalb zentrale Arbeitnehmerrechte wie das Streikrecht beschnitten werden sollten.

Mittlerweile merkt auch die Bundesregierung, wie schwer die rechtliche Umsetzung der Idee ist. Arbeitsministerin Andrea Nahles wollte die Tarifeinheit eigentlich zusammen mit dem Gesetzentwurf für einen flächendeckenden Mindestlohn noch vor Ostern auf den Weg bringen. Eine verfassungsfeste Regelung gestaltet sich aber schwierig. Die Regelung soll nun später in diesem Jahr kommen. Eine Arbeitsgruppe verschiedener Ministerien brütet über einer rechtssicheren Lösung.


„Wer überprüft, wer die meisten Mitglieder hat?“

Deshalb versuchen es die Juristen der Fachabteilungen nun mit einem Kniff: Innerhalb eines Betriebs soll sich die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern durchsetzen, wenn es um Tarifverhandlungen- und Verträge geht. Der Vorstoß tauge dazu, die Spaltung der Belegschaft in immer mehr kleine Gewerkschaften zu verhindern, argumentiert der Arbeitgeberverband BDA. Der Deutsche Beamtenbund hält die Lösung für nicht praktikabel, da sie mehr Probleme schaffe als löse: „Wer überprüft, welche Gewerkschaft die meisten Mitglieder hat? Welche Zeiträume sind der Maßstab? Wie ist ein Betrieb definiert?“, fragt Gewerkschaftschef Klaus Dauderstädt.

Es ist nicht der erste Versuch, die Tarifeinheit einzuführen: 2010 startete der BDA in seltener Einheit mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und Verdi einen Vorstoß. Die Gewerkschafter fürchteten, dass ihnen die neuen Rivalen Mitglieder abspenstig machen. Verdi zog sich allerdings nach heftigem Einspruch der eigenen Basis bald wieder zurück und das Vorhaben floppte.

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