Ihre Torten fehlen in keiner Tiefkühltruhe, ihr Puddingpulver in keinem Küchenschrank, ihre Koteletts in keiner Fleischtheke. Sie gelten als Inbegriff der Solidität erfolgreicher deutscher Familienunternehmen. Und doch droht ihnen Ungemach – durch sich selbst.
Denn wovon anonyme Aktiengesellschaften in der Regel verschont bleiben, bricht sich in den drei Unternehmen gerade auf beinahe zerstörerische Weise Bahn: der Bazillus der Blutsverwandtschaft.
Ob beim Tiefkühltorten-Champion Coppenrath & Wiese mit Sitz im niedersächsischen Osnabrück, beim Pudding- und Pizza-Imperium Oetker im westfälischen Bielefeld oder 20 Kilometer entfernt beim deutschen Schlachtprimus Tönnies in Rheda-Wiedenbrück: In allen drei Firmen streiten sich die Familienmitglieder, die durch Erbschaft zu Unternehmern geworden sind, wie die Kesselflicker – um die Nachfolge, um die Macht oder um den Nachlass.
Gemeinsam ist ihnen nur die räumliche Nähe, die Region Ostwestfalen und das angrenzende Niedersachsen. Die ländliche Gegend stand bisher eigentlich für die stille Schaffenskraft der Provinz mit Aushängeschildern wie Haushaltsgerätehersteller Miele, Kaffeeröster Melitta oder dem Medienriesen Bertelsmann. Daraus ist durch die drei Ausreißer nun ein Pfuhl aller Sünden geworden, zu denen Familienunternehmen neigen, wenn durch Geburt Zusammengeschweißte der zersetzenden Kraft persönlicher Animositäten erliegen statt unternehmerischer Rationalität.
Tönnies: Enttäuschter Metzgersohn
Die Streithähne
Beim Schlachtriesen Tönnies in Rheda-Wiedenbrück ficht der Sohn gegen den Bruder des Firmengründers. Der Sprössling fühlt sich von dem Onkel persönlich hintergangen. Zielscheibe der Vorwürfe ist der 58-jährige Clemens Tönnies, der Chef des gleichnamigen Fleischkonzerns und im Nebenjob Boss des Fußballclubs Schalke 04. Er steht vor dem Landgericht Bielefeld, weil sein 36-jähriger Neffe Robert Tönnies sich von ihm nichts mehr gefallen lassen will. Robert ist einer von zwei Söhnen des 1994 verstorbenen Firmengründers Bernd Tönnies. Seit dessen Tod leitet sein Bruder Clemens den Konzern, der wie sein Neffe Robert 50 Prozent am Unternehmen hält. Robert hat sich Ende 2013 aus dem Tagesgeschäft verabschiedet und bombardiert seitdem seinen Onkel Clemens mit Klagen.
Die Streitgründe
In der Fehde der beiden geht es um nicht weniger als die Macht im größten deutschen Fleischkonzern mit mehr als 8000 Mitarbeitern und rund 5,5 Milliarden Euro Umsatz. Robert hatte Onkel Clemens 2008 fünf Prozent am Unternehmen geschenkt und ihn damit zum gleichberechtigten Miteigentümer gemacht. Das bereut Robert nun. Deshalb will er die Schenkung rückgängig machen und begründet dies, der Onkel habe sich ihm gegenüber undankbar verhalten. Die Liste der Vorwürfe reicht von übler Nachrede, arglistiger Täuschung bis zu wirtschaftlicher Schädigung. Clemens hält dagegen, sein Bruder Bernd habe ihm mehrfach vor seinem Tod die Gleichberechtigung am Konzern versprochen. Im Testament ist dies jedoch nicht erwähnt.
Die Eskalation
Aus Tönnies gegen Tönnies ist mit dem Gang vor Gericht ein öffentlicher Schlagabtausch geworden. Der Ton zwischen den Kontrahenten ist mittlerweile schärfer als ein Metzgermesser und unter der Gürtellinie angekommen. So kamen bei der Vernehmung von Zeugen pikante Details aus dem Leben des Firmengründers ans Licht, zum Beispiel eine angeblich heimliche Geliebte.
Die Entscheidung
Robert verlangt von Onkel Clemens, sich binnen weniger Monate aus dem Unternehmen zurückzuziehen. Dazu ist der aber keinesfalls bereit. Die Entscheidung fällt aber keiner der beiden Streithähne, sondern der Vorsitzende Richter der 9. Zivilkammer am Landgericht Bielefeld, Jörg Schröder. Er will am Nachmittag des 9. Februar verkünden, ob er Roberts Anfechtungsklage gegen die Schenkung folgt oder ob er erneut in eine Beweisaufnahme gehen will.
Die Lösung
Bei Tönnies haben die Beteiligten „so kräftig an der Eskalationsspirale gedreht, dass es kaum noch ein Zurück gibt“, sagt Peter May, Jurist und auf Familienunternehmen spezialisierter Berater aus Bonn. May prognostiziert eine Trennung von Neffe und Onkel, „wahrscheinlich noch in diesem Jahr“. Robert könnte als Mehrheitsgesellschafter den Vorsitz in einem neu zu bildenden Unternehmensbeirat übernehmen. Clemens verlässt das Unternehmen und kümmert sich um seine privaten unternehmerischen Engagements wie die Wurstfabriken Könecke, Böklunder und Gutfried unter dem Dach der Zur-Mühlen- Gruppe. Im Tönnies-Konzern übernähme ein familienfremder Manager die Führung.
Coppenrath & Wiese: Entfremdete Tortenbäcker
Die Streithähne
Kaum anderthalb Jahre nach dem Tod des Patriarchen Aloys Coppenrath im März 2013 wird das emotionale und räumliche Zerwürfnis zwischen seiner Witwe und den drei Kindern offensichtlich. Jens Coppenrath lebt seit mehr als 15 Jahren mit seiner Frau Karle und seinen drei Kindern in der Nähe von Seattle im US-Staat Washington. Der 49-Jährige verwaltet dort Immobilien und sein Vermögen. Seine Schwester, die 53-jährige Anne-Caroline Ramm wohnt mit ihrem zweiten Ehemann, einem Englisch-Lehrer, und den drei Kindern in Berlin. Dritter im Erben-Bund ist der 51-jährige Volkswirt Rolf Coppenrath, dem gemeinsam mit seiner Frau Anne der Hamburger Life-Verlag mit Titeln wie „Food and Travel“ und „Das Karibik-Magazin“ gehört. Lust, in das geerbte Unternehmen zu investieren, hat offenbar keiner der Erben.
Die Streitgründe
Im Sommer 2014 zeigte sich, dass die Erben jegliche persönliche Bindung an das stolze Unternehmen verloren hatten, das mit 2000 Mitarbeitern Torten und Aufbackbrötchen im Wert von mehr als 400 Millionen Euro im Jahr herstellt. Deshalb entschied der Clan, den Nachlass zu versilbern. Favorisiert wurde von Beginn an ein Verkauf an den benachbarten Oetker-Konzern. Auch Finanzinvestoren wie Cinven und EQT oder der Düsseldorfer Bäckerei-König Heiner Kamps meldeten Interesse an. Doch es gibt keine Einigkeit im Erbenkreis. Seitdem wird verhandelt – ohne Ergebnis. Die Unentschlossenheit lähmt den Entscheidungsprozess. Aus dem Umfeld heißt es sogar, die Streithähne könnten vielleicht doch an dem rentablen Unternehmen festhalten.
Die Eskalation
Im Gegensatz zu Tönnies fetzen sich die Erben ausschließlich hinter den Kulissen; niemand äußert sich öffentlich.
Die Entscheidung
Die sich hinziehenden Verhandlungen zeitigen Folgen. Arbeitnehmervertreter betrachten den Stillstand mit Sorge. „Im Betrieb herrscht Unsicherheit, wir kommen nicht zur Ruhe“, klagt Karl-Heinz Hukriede, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats. Er hofft auf eine schnelle Einigung, um wieder zum Alltag überzugehen. Wichtige Vorhaben wie Investitionen in neue Anlagen lägen auf Eis. „Die Unfähigkeit zu strategischen Entscheidungen ist der Grund für den Verkauf des Unternehmens“, sagte Geschäftsführer Andreas Wallmeier.
Die Lösung
Der Verkauf an Oetker – oder an Nestlé – muss nicht die beste Lösung sein, denn die Gefahr besteht, dass sie Arbeitsplätze kostet. Die Selbstständigkeit des Unternehmens und die Bedeutung der Marke könnten durch einen Finanzinvestor eher gewahrt werden. Doch vorher müssen sich die Familienmitglieder erst mal klar darüber werden, was sie überhaupt wollen. „Jede Familie braucht eine gemeinsame Vorstellung davon, was sie will: verkaufen oder weitermachen. Wo diese fehlt, ist Streit programmiert“, sagt Berater May.
Oetker: Kampf um die Puddingerbfolge
Die Streithähne
Bei Deutschlands traditionsreicher Lebensmittelmarke geht es um eines der zentralen Probleme in Familienunternehmen: die Nachfolge. Als meinungsführende Widersacher stehen sich der 47-jährige Alfred Oetker und sein 70-jähriger Halbbruder August Oetker gegenüber. Alfred vertritt die Interessen der Kinder des verstorbenen Alleininhabers Rudolf-August Oetker aus dritter Ehe: Carl Ferdinand Oetker, 42, und Julia Oetker, 35. August schart die Nachkommen aus der ersten und zweiten Ehe seines Vaters hinter sich: Rosely Schweizer, 74, Bergit Gräfin Douglas, 68, Christian Oetker, 66 und Richard Oetker, 64.
Die Streitgründe
Der Konflikt zwischen den Generationen dreht sich um die Mitsprache bei strategischen Investments. Im Mittelpunkt aber steht die Frage, wer dem amtierenden Firmenchef Richard Oetker 2016 nachfolgen soll, der im kommenden Jahr die Altersgrenze von 65 Jahren erreichen wird. Die jungen Wilden sehen Kronprinz Alfred Oetker in dieser Rolle. Die alten Haudegen bevorzugen eine externe Lösung.
Die Eskalation
Lange konnten die Clan-Zwistigkeiten unter der Decke gehalten werden. Als das Vorhaben der Alten, die eigene Containerreederei Hamburg Süd mit dem Konkurrenten Hapag-Lloyd zu verschmelzen, von den Jungen verhindert wurde, brachen die Schweigemauern.
Die Entscheidung
Offenbar rauft sich der Clan wieder zusammen. Nach einem Entscheidungsvakuum meldete Oetker in 2014 zahlreiche Übernahmen: vom Nobelhotel Lanesborough in London über das Familienunternehmen D’Gari, den mexikanischen Marktführer für Desserts wie Götterspeise, bis zum US-amerikanischen Tiefkühlpizzageschäft von McCain Foods. Selbst die Reederei Hamburg Süd stärkte sich mit dem Kauf der chilenischen Reederei CCNI.
Die Lösung
Der Konflikt bei Oetker sei immer lösbar gewesen, sagt Familienexperte May. Im Unterschied zu Tönnies gebe es genug Optionen. „Das hat auch mit den Beteiligten zu tun. Denkbar ist sowohl eine friedliche Realteilung als auch eine neue, professionelle und faire Unternehmensverfassung.“ So könnte Alfred Oetker als Vertreter der jüngeren Generation zum stellvertretenden Beiratsvorsitzenden gewählt werden. Vorsitzender des Gremiums ist der ehemalige Oetker-Chef August Oetker. Nachfolger von Richard Oetker könnte dann ein familienfremder Manager werden. „Im Fall Oetker scheint vieles möglich, auch weil das Tischtuch noch nicht endgültig zerschnitten scheint“, sagt May.