„Der Schlick“, seufzt Jens Meier. „Sedimentablagerungen gibt es in jedem tideabhängigen Fluss“, erklärt er. Die Ebbe spült Sand und Ablagerungen den Fluss hinunter. „Schwipp-Schwapp-Effekt“, nennt Meier das und grinst. Optimismus ist das Markenzeichen des Chefs der Hamburger Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA). Diesen Optimismus kann nicht mal der Schlick vertreiben, der sich immer wieder im Hafenbecken ablagert. Meier schickt deshalb täglich Peilschiffe durch den Hafen, die überprüfen, ob sich irgendwo die Fahrtrinne beeinträchtigt ist. Dann kommen die Bagger und machen den Weg wieder frei.
Bis zu 100 Millionen Euro kostet es den Hafen jährlich, die Wasserstraße frei zu halten und von Schadstoffen zu reinigen. Kommen die Bagger nicht rechtzeitig, kann das den Verkehr im Hafen beeinflussen – so wie im vergangenen Jahr. Die Schiffe hätten manche Ecken des Hafens nicht befahren können, beschwerten sich die Hafenunternehmer bei Meier.
Der HPA-Chef ist die Sammelstelle für alle Beschwerden im Hamburger Hafen. Meiers Job ist es, alle Schwierigkeiten gleichzeitig zu beseitigen. Doch der Schlick ist nur eines in einer langen Liste von Problemen, die sich im Hafen anhäufen. Hamburg wartet noch immer auf die Elbvertiefung. Neue Konkurrenten locken die immer größeren Schiffe der Reeder an. Und das macht Meiers Job zunehmend schwieriger.
Deutschlands Tor zur Welt leidet unter der Krise der Schifffahrt – und das mehr als die Konkurrenz in Rotterdam und Antwerpen. Seit Jahren stagniert der Containerverkehr. 8,9 Millionen Standardcontainer schlug der Hafen im vergangenen Jahr um, kaum mehr als vor der Krise. Im ersten Quartal diesen Jahres ging der Containerumschlag wieder um 0,7 Prozent zurück. Dabei hatte die Stadt ursprünglich von mehr als 17 Millionen Standardcontainern geträumt, die bis zum Jahr 2020 im Hafen verladen werden könnten.
Marktanteile der größten 10 Container-Reedereien
Die United Arab Shipping Company (UASC) zählt mit einem Marktanteil von 2,5 Prozent zu den zehn größten Reedereien der Welt.
Quelle: Statista, Stand: 14. März 2017
Die Hongkonger Reederei Orient Overseas Container Line (OOCL) kommt auf einen Marktanteil von 2,8 Prozent.
Auf Platz acht landet die Hamburg Süd Group, die ebenfalls auf einen Marktanteil von (gerundet) 2,8 Prozent kommt.
Auch das chinesische Transportunternehmen - Yang Ming Marine Transport Corporation - gehört zu den größten Container-Reedereien der Welt. Aufgerundet liegt der Marktanteil ebenfalls bei gerundet 2,8 Prozent.
Ein weiteres deutsches Transport- und Logistikunternehmen ist durch die Hapag-Lloyd AG mit Sitz in Hamburg in den Top 10 vertreten. Mit einem Marktanteil von 4,8 Prozent ist Hapag-Lloyd die sechstgrößte Container-Reederei der Welt.
Die Liniendienste der Reederei Evergreen Marine landen mit einem Marktanteil von (gerundet) 4,8 Prozent auf Rang fünf.
Bei einem Marktanteil von rund 8 Prozent ist die chinesische Reederei COSCO die viertgrößte der Welt.
Der Marktanteil des französischen Schifffahrts- und Logistikunternehmens CMA CGM Group liegt bei stolzen 10,3 Prozent.
Noch etwas besser ist es um die Mediterranean Shipping Company (MSC) bestellt, die in Genf sitzt. Bei einem Marktanteil von 14,3 Prozent ist sie zurzeit die zweitgrößte Reederei der Welt.
Die dänischen Containerschiffsreederei A. P. Moller-Maersk landet auf der Spitzenposition. Ihr Marktanteil ist bei 15,9 Prozent unübertroffen.
Es kam anders. Der Einbruch der Weltwirtschaft 2008 zerschlug die Wachstumshoffnungen. In China schwächelt die Konjunktur seit Jahren, deshalb werden von dort aus weniger Waren verschickt. Das trifft Hamburg, China ist das wichtigste Zielland für die Schiffe, die hier ablegen. Und seit den Sanktionen gegen Russland geht auch der Verkehr in den Osten zurück. Selbst beim drittgrößten Handelspartner des Hamburger Hafens, Brasilien, schwächelt die Wirtschaft.
Seit neun Jahren befindet sich deshalb nun die gesamte Schifffahrt in der Krise. Auch die Reeder hatten zu große Hoffnungen, sie bauten Schiffe wie verrückt. Nun gibt zu viele Schiffe für zu wenig Waren auf den Weltmeeren, die Transportpreise – in der Schifffahrt Raten genannt – sinken immer wieder auf nicht für möglich geglaubte Tiefstände.
Die Reeder steuerten gegen, in dem sie immer größere Schiffe bauten, damit sie die Container billiger transportieren könne. Schon ab dem kommenden Jahr sollen auf den Strecken nach Asien hauptsächlich Schiffe mit einer Kapazität von mehr als 18.000 Standardcontainern eingesetzt werden. Diese Giganten sind 400 Meter lang, sie liegen bis zu 16 Metern tief im Wasser. Und das sorgt in Hamburg nun erst Recht für Probleme.
Meiers Büro liegt einige hundert Meter weg von diesen Giganten, im alten Hafen, der Speicherstadt. In dem historischen Gebäude aus Backstein mit Stahlpfosten hängt in jedem Raum eine Karte des Hafens. Im Konferenzraum ist die Karte sogar über den ganzen Tisch gedruckt. Meier beugt sich über das Kartenmöbel, sein Finger fährt entlang der Straßen und Schienengleise. „Da haben wir die Verkehrsführung geändert“, sagt er, „und da die Schienen angepasst.“ Das ist seine Hauptaufgabe, er muss die Infrastruktur anpassen, damit die Container möglichst schnell von den Schiffen in das Land transportiert werden können. Doch kaum ist eine Straße erweitert, gibt es an der nächsten ein Problem. Kaum ist eine Schleuse repariert, eine Brücke saniert, geht die nächste kaputt. Und dann ist da noch die Elbvertiefung.
Das Wort gilt bei vielen Beteiligten mittlerweile als verboten. "Fahrrinnenanpassung", sagt Meier stattdessen. Schließlich geht es nicht nur um die Vertiefung der Fahrrinne, sondern auch um eine Verbreiterung, damit die Containergiganten einander auf der Elbe auch passieren können und nicht ein Schiff in der Nordsee warten muss, bis das andere nach Stunden endlich die Fahrbahn freigegeben hat.
„Wir arbeiten mit Höchstgeschwindigkeit“
Die Elbvertiefung wird kommen, das immerhin steht mittlerweile fest. Nur wann die Bauarbeiten losgehen, ist weiter unklar. Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig hat zwar bereits im Februar sein Urteil gefällt, doch die schriftliche Begründung ist gerade erst im Rathaus eingetroffen. „Wir arbeiten mit Höchstgeschwindigkeit“, sagt Meier. Er hofft weiter darauf, dass die Bauarbeiten nächstes Jahr beginnen können.
Doch während Behörde, Politiker und Hafenunternehmen arbeiten, nimmt woanders die Konkurrenz zu. Mit der Entwicklung in Rotterdam oder Antwerpen kann Hamburg nicht mithalten. Die Belgier verluden im vergangenen Jahr sogar vier Prozent mehr Container und haben Hamburg mittlerweile auf den dritten Platz der europäischen Rangliste verwiesen.
Auch die Eisenbahn-Schienen von Rotterdam und Antwerpen reichen mittlerweile bis ins Hamburger Hinterland. Viele Schiffe müssen dort ohnehin Container loswerden, um überhaupt in Hamburg einlaufen zu können. Gleichzeitig kommen neue Konkurrenten hinzu: auch Danzig und Wilhelmshaven sind tief genug für die großen Containerschiffe. Noch stimmt dort die Infrastruktur nicht, in Wilhelmshaven fehlt vor allem eine Bahnanbindung, um die Container von den Schiffen wieder weg zu transportieren. Meier räumt ein: „Der Wettbewerb zwischen den Nordsee-Häfen hat zugenommen.“
Dieser Wettbewerb schlägt auch auf die Preise durch. Terminalbetreiber locken mit günstigen Hafengebühren. Hamburg hingegen gilt immer noch als sehr teuer. Und es gibt wenig Reedereien, die an Hamburg gebunden sind. Die weltgrößte Reederei Maersk hält Beteiligungen an den Terminals in Rotterdam und auch in Wilhelmshaven, deshalb schickt sie dort regelmäßig Schiffe vorbei. In Hamburg wollte man das nicht, die Politik sah in diesen Beteiligungen eine zu große Abhängigkeit von einer Reederei. Allein Hapag-Lloyd hat eine Beteiligung am Containerterminal in Altenwerder.
Hamburg habe auf die falsche Mischung gesetzt, sagen Kritiker. Der Hafen habe sich zu abhängig von den Containerschiffen gemacht. Denn der Containerverkehr ist besonders hart, der Preiskampf ist so ausgeprägt wie sonst nirgendwo. Und mit jeder Pleite und jeder Fusion verlieren die Häfen potenzielle Kunden und Schiffe.
Andere Häfen konzentrieren sich auf bestimmte Waren. So profitiert Rotterdam von den Raffinerien im Hafen, die stetig neues Erdöl brauchen. Das ist ein Vorteil, weil diese Reedereien von der Schifffahrtskrise nicht so stark betroffen sind. Das zeigt sich selbst in Hamburg: So stieg im ersten Quartal dieses Jahres der Umschlag mit Kohle und Erz an, während der Containerverkehr stagnierte. „Die Mixtur muss stimmen“, sagt zwar auch Meier. Doch viele werfen der Hamburger Regierung vor, dass sie an der Formel der Mixtur zu viel verändert hat. Es fehle ein „langfristiges Hafenentwicklungskonzept“, schimpft Oppositionspolitiker Michael Kruse (FDP).
Die Kritik richtet sich auch gegen die Behörde. Die HPA sei zu intransparent, heißt es in Hafenkreisen, sie kümmere sich zu wenig um die Belange der Hafenunternehmer. Und mache ihnen sogar noch Konkurrenz. So musste Meier heftige Kritik hinnehmen, als er sich im vergangenen Jahr direkt an die Reeder wandte, um mit denen Probleme zu besprechen. Es sei „problematisch und kontraproduktiv“, dass die HPA „ohne Abstimmung und Information eigenständige Gespräche mit Reedereien“ führe, ärgerte sich Heinz Brandt, Vorstand des Terminalbetreibers HHLA, dem größten Unternehmen im Hamburger Hafen.
Ein anderer Vorwurf: Meier sei zu sehr mit seinem Hobby beschäftigt – dem HSV. Meier sitzt im Aufsichtsrat des Hamburger Fußballvereins, er soll seit seiner Jugend eine Dauerkarte haben. Er hätte wohl auch den Job des kürzlich zurückgetretenen HSV-Aufsichtsratschef Karl Gernandt übernehmen können. Mit den Spekulationen um diese Personalie kam Meier fast genauso oft in die Schlagzeilen wie mit seinem Job als Chef der HPA. Doch nach Kritik aus dem Rathaus soll er sich gegen den HSV entschieden haben – und für den Hafen.
Es gibt dort auch genug zu tun. Er muss die nächste Brücke sanieren, die nächste Schleuse erneuern, den nächsten Streit schlichten. Meier bleibt optimistisch. "Wenn die Fahrrinnenanpassung kommt", sagt er, „wird unser Umschlag schlagartig steigen."