Handelsblatt Auto-Gipfel „Das männliche Hirn ist mit dem Auto verwachsen“

Die Zukunftsforscher Matthias Horx und Alexander Makowsky entwickeln auf dem Handelsblatt Auto-Gipfel ihre Vision von der Mobilität von morgen. Warum ausgerechnet männliche Traditionalisten den Durchbruch verhindern.

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Alexander Mankowsky und Matthias Horx (v.l.n.r.) diskutieren auf dem Auto-Gipfel des Handelsblatts in München über die Fortbewegung der Zukunft. Quelle: Thorsten Jochim für Handelsblatt

München Das Publikum glaubt an die Zukunft. Satte 70 Prozent sagen, dass sie einem Autopiloten im Wagen ihr Leben anvertrauen würden. Und auch sonst befinden sich im Publikum des Handelsblatt-Auto-Gipfels viele Menschen, die der neuen Technik aufgeschlossen gegenüberstehen. Damit hätte Zukunftsforscher Matthias Horx wohl nicht gerechnet.

Aus seiner Sicht sind es vor allem die männlichen Traditionalisten, die den Durchbruch des elektrifizierten, selbstfahrenden Autos erschweren. „Vor allem das männliche Hirn ist sehr stark mit dem Auto verwachsen“, sagt Horx. Das steuern einer leistungskräftigen Maschine sei Ausdruck der Dominanz, ein kulturell erlerntes Muster. „Dabei werden viele Endorphine ausgeschüttet und darauf verzichten Menschen nicht gern“.

Für Horx ist der Wandel trotzdem kaum aufzuhalten. 60 Prozent aller Autofahrer – also die Mehrheit – säße nicht gerne am Steuer. Ältere Menschen, auch Romantiker oder Buchleser. Diese würden die neue Form der Mobilität sehr gerne erleben. Dabei müsse sich die Industrie aber vom technologischen Denken lösen. „Wenn man nicht versteht, was eigentlich die Psychologie des Autofahrens ist, also den menschlichen Aspekt, hat man große Schwierigkeiten, die Zukunft wirklich zu verstehen“, sagt Horx.

Sein Diskussionspartner Alexander Mankowsky ist bei Daimler genau für diese Aspekte der zukünftigen Mobilität zuständig. Mit seinem Think Tank in Berlin entwickelt er Zukunftsvisionen, mit denen der Autobauer seine künftigen Modelle plant. Auf der Bühne der Münchener BMW-Welt erklärt der Daimler-Denker, wie seine Idee der zukünftigen Mobilität aussehen könnte, am Beispiel des Konzeptfahrzeugs F-015, das er gemeinsam mit den Ingenieuren entworfen hat.

„Das Zentrum ist das Interieur“, sagt Mankowsky. Das Auto sei konzipiert wie eine schützende Hand oder eine Kutsche. Die Mitfahrer können wie im gewöhnlichen Auto nach vorne blicken, sich auf Wunsch aber auch gegenübersitzen. Denn das beste Mittel gegen den Stress beim Fahren sei die menschliche Kommunikation, das „miteinander quatschen“, wie Mankowsky es ausdrückt.

Und auch das Gefühl, dem selbstfahrenden Auto hilflos ausgeliefert zu sein, will Mankowsky mit Technologie lösen. Kommandomodule in den Türen sollen jedem Fahrer auf Wunsch die Möglichkeit geben, ein Ziel zu bestimmen. Ein Kind könne dem Auto befehlen, dass es die nächste Eisdiele ansteuern soll. „Man bleibt Herr des Gerätes“, sagt der Daimler-Visionär. Das Auto solle ein Platz sein, an dem man sich erholen und schlafen kann und „Dinge macht, die man in der heutigen hektischen Zeit nicht mehr hinbekommt.“

Man müsse bei der Mobilität der Zukunft aber auch über das Auto hinausdenken. „Alles, was Transport angeht, wäre am Ende auch skalierbar“, sagt Makowsky – vom selbstfahrenden Trolley bis zum selbstfahrenden Haus. Eine Vision des Kollegen, die Zukunftsforscher Horx humorvoll aufgreift. „Das gab es als Fantasie öfter schon einmal. Nennt sich glaube ich Wohnwagen.“ Für Horx bietet die Zukunft noch andere Formen der Fortbewegung. „Die Frage ist auch, wie viel unserer Mobilität sich in den Cyberspace bewegt. Wenn man mit einer VR-Brille alles Mögliche erleben kann, entsteht eine sekundäre Form der Mobilität“, sagt Horx.

Wird das Auto am Ende durch die VR-Brille ersetzt? Für Daimler-Forscher Mankowsky keine wünschenswerte Entwicklung. „Wir schließen unser Gehirn über das Licht ab“, sagt er. Doch unser Wahrnehmungsapparat funktioniere mit Feedback. „Das finde ich gefährlich. Ein bisschen wie das LSD damals.“

Ohnehin stellen beide Zukunftsforscher in ihrer Diskussion immer wieder fest, wie viele Zukunftsvisionen, sich am Ende als Luftnummern entpuppen. Mankowsky führt dafür den Psychologen Sigmund Freud ins Feld, der Menschen als „Prothesen-Götter“ bezeichnet. „Wir sind Götter, können fliegen, laut reden – aber wir müssen immer eine Prothese dafür anlegen“, erklärt er. Darum müsse man die Fantasien sortieren. Denn viele hätten schon Grundmängel.


„Wir sind körperliche Wesen, keine Geistwesen“

Der Hyperloop, jene Hochgeschwindigkeitsröhre, von der Elon Musk derzeit träumt, brauche beispielsweise weite Radien. Es könnten nur wenige Leute darin sitzen. „Da ist er dem traditionellen Zug unterlegen“, sagt Mankowsky.

Nach der Ansicht von Horx lasse sich die Mehrzahl der Erfindungen schon heute auf ihre Erfolgsfähigkeit testen. Nach Untersuchungen seines Instituts habe er den Misserfolg des „Segways“ und des „Google Glass“ schon früh vorhersagen können. Dafür habe er ein Modell entwickelt. „Aber niemand unserer Kunden interessiert sich dafür“, sagt er und erinnert an einen Test, mit dem sich nach Ansicht von Horx auch der Erfolg mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden kann. „Das, was wir wissen können, wollen wir nicht wissen“, sagt Horx. Menschen seien keine Wissens-, sondern Bestätigungswesen.

Die Zukunft des Elektroautos ist für den Zukunftsforscher dagegen ausgemachte Sache. „Wenn man einmal Elektroautos gefahren ist, dann weiß man: dieses Geratter und Geknatter mögen meist Männer, die es nötig haben“, sagt Horx.

Der Technologie durch eine Technokratie zum Durchbruch zu verhelfen, halten beide Zukunftsforscher allerdings für eine gefährliche Entwicklung. „Das ist letztlich eine Diktatur“, sagt Makowsky. Denn in solch einem System sei Technik die Legitimation, ohne ein Ideal zu benennen. „Die Idee des guten Lebens kommt nicht raus.“

Für Horx ist der Aufbau der Mobilität in China vor allem eine nachholende Entwicklung. „Die Chinesen werden bei der E-Mobilität Vorreiter sein“, sagt er. Die Entwicklung zum reinen Vernunftfahrzeug ist für Daimler-Forscher Mankowsky dagegen nicht ausgemacht. In China sei es üblich, dass Käufer ihre Sportwagen mit Transportern auf Rennstrecken fahren lassen. „Neben dem entstressenden Fahrzeug bräuchte man einen Sportwagen der Zukunft, der womöglich kaum straßentauglich wäre, aber das Körpererlebnis bietet“, sagt er. Das Verschmelzen mit der Maschine mache vielen Menschen Spaß.

Die Grenzen der individuellen Mobilität sind für die Forscher dagegen klar definiert. Für Horx steuert die Mobilität in den Industrienationen sogar auf einen Peak zu. Und auch für Mankowsky gibt es viele Grenzen. „Wir sind körperliche Wesen, keine Geistwesen“, sagt er. Der Bedarf nach neuen Ideen für die Mobilität von Morgen dürfte darum kaum sinken. Gute Aussichten – zumindest für Zukunftsforscher.

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