Am auffälligsten in der Twitter-Liste ist dabei, dass es trotz allen Grollens der abgehärmten Sprachhüter in der Festung Englisch nur zwei „Netspeak“-Wörter darin gibt, also internettypische Verkürzungen – nämlich rt für „retweet“ und u für „you“. Man sollte doch meinen, dass Verkürzungen, ob grammatisch korrekt oder nicht, in einem auf 140 Zeichen beschränkten Format dominieren, aber die Nutzer scheinen die Begrenzung eher zu umgehen, als stur draufloszuschreiben. Zweitens fällt auf, dass die durchschnittliche Wortlänge in der Twitter-Liste größer als die im OEC ist – 4,3 gegen 3,4 Buchstaben.
Und schließlich sollte man auf den Inhalt der Twitter-Worthitliste achten. Ich habe die Wörter markiert, die nur hier auftreten, um den Vergleich zu erleichtern. Während die OEC-Liste ziemlich banal ausfällt – lauter Partikeln und Hilfswörter, handwerklich notwendig, um dann und wann ein Nomen oder Verb einzuflechten –, gibt es bei Twitter keinen Platz für Füllwörter, jedes einzelne ist wichtig. Also erreichen kraftvolle Vertreter wie love (lieben), happy (froh), life (Leben), today (heute), best (am besten), never (nie), home (zu Hause) die Liste der 100 häufigsten Wörter.
Twitter verbessert womöglich sogar den Schreibstil seiner Nutzer, weil es sie zwingt, mehr Bedeutung aus weniger Buchstaben zu pressen – eine Verkörperung von William Strunks berühmtem Ausspruch „Lass überflüssige Wörter weg“. Wer tweetet, muss sich zwangsläufig kurz fassen, und ungewollt wird so auch eine größere Wortlänge gefordert: Längere Wörter bedeuten weniger Wörter und damit auch weniger Leerzeichen, also bessere Platzausnutzung. Die Gedanken auf Twitter mögen zwar verkürzt ausgedrückt sein, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie verflacht sind.
Einem Forscherteam an der Arizona State University gelang es, über Häufigkeit und Länge der Wörter hinaus auch Tonfall und Stil der Texte zu bewerten, und es ergab sich Überraschendes: Erstens verändert Twitter den gewöhnlichen Schreibstil eines Nutzers nicht. Eines von vielen Beispielen ist, dass Nutzer, die „you“ in E-Mails und SMS als „u“ abkürzen, das auch bei Twitter tun, während diejenigen, die bei der korrekten Schreibweise bleiben, sie auch in Tweets ausschreiben. Der Stil ändert sich also nicht mit dem Medium. Auch die lexikalische Dichte von Tweets ist bereits linguistisch analysiert worden, also der Anteil an bedeutungstragenden Wörtern wie Verben und Nomen, und es ergab sich, dass er nicht nur höher als in E-Mails lag, sondern an das US-Debattenmagazin „Slate“ heranreichte, das als Kontrollmedium diente.
All das führt zu einer Schlussfolgerung: Twitter hat unseren schriftlichen Ausdruck weniger verändert, sondern viel mehr einem beschränkten Raum angepasst. Die Daten zeigen keinen Kahlschlag aus Baumstümpfen, sondern einen Wald von Bonsaibäumen. Wie auch immer Twitter die Sprache verändert – das ist nichts gegen das Ausmaß, in dem es die Sprachforschung verändert. Twitter zeigt uns Wörter nicht nur als Bausteine von Gedanken, sondern als Werkzeuge sozialer Verbundenheit, und das ist in der Tat der Zweck der Sprache, seit die Menschheit über die Steppe der Serengeti zu schlurfen begann."