Juristischer Streit um Atom-Ausstieg Anti-Atom-Organisation wirft Konzernen Trickserei vor

Politik und Konzerne haben für den Atomausstieg ein großes Paket geschnürt: Die Unternehmen zahlen Milliarden, die Risiken für den Atommüll bleiben beim Steuerzahler. Die juristische Winkelzüge gehen unterdessen weiter.

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Der politische wie auch juristische Streit um Klagen der Atommeiler-Betreiber geht weiter. Quelle: dpa

Berlin Das Fallenlassen eines Bündels an Klagen gegen den Atomausstieg ist nach Ansicht von Umweltschützern ein leicht durchschaubarer Schachzug der großen Stromkonzerne. „Wenn die AKW-Betreiber jetzt 20 Klagen fallen lassen, so ist das nicht viel mehr als eine PR-Maßnahme“, sagte Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt“, laut Mitteilung am Samstag in Berlin.

In diesen Verfahren gehe es lediglich um 600 bis 800 Millionen Euro. Dagegen umfassten die Klagen, die die Konzerne weiter aufrechterhielten, ein Volumen von 11 bis 12 Milliarden Euro. Zurückgezogen würde also lediglich ein Anteil von fünf bis sieben Prozent.

So hält der schwedische Staatskonzern Vattenfall daran fest, in Washington vor einem internationalen Schiedsgericht rund 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz von Deutschland zu erstreiten.

Die 20 Klagen, die jetzt von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW aufgegeben würden, seien teilweise juristisch aussichtslos, meinte Stay. Manche hätten die AKW-Betreiber bereits in ersten Instanzen verloren. Bei anderen sei klar, dass die geforderten Summen nicht zu halten seien. „Der Jubel in den Parteien ist verfehlt“, kritisierte die Organisation.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) begrüßte das Fallenlassen der Klagen als „einen ebenso fälligen wie respektablen Beitrag zum Rechtsfrieden“. Sie fügte hinzu: „Es läge in der Konsequenz der heutigen Erklärung, wenn nun auch Vattenfall seine Klage vor dem internationalen Schiedsgerichtshof in Sachen Krümmel zurückziehen würde.“

Mit ihrer Ankündigung, einen Teil der Klagen fallenzulassen, reagieren die Konzerne auf ein vom Kabinett bereits beschlossenes Gesetzespaket zur Finanzierung des Atomausstiegs. Demnach sollen die vier Unternehmen ab Januar bis zum Jahr 2022 rund 23,55 Milliarden Euro bar in einen staatlichen Fonds überweisen, der die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll in den nächsten Jahrzehnten managen soll. Im Gegenzug können sich die Unternehmen von einer Haftung bis in alle Ewigkeit „freikaufen“ - dieses Risiko liegt dann beim Steuerzahler. Am kommenden Donnerstag soll der Bundestag das Milliardenpaket verabschieden.

Für Stilllegung und Rückbau der Kernkraftwerke sowie Verpackung des radioaktiven Abfalls sollen die Unternehmen verantwortlich bleiben. Der Staat würde mit dem Fonds Geld für den Atomausstieg sichern, das bei Konzernpleiten verloren wäre. Das letzte Atomkraftwerk in Deutschland soll 2022 vom Netz gehen. Aktuell sind acht in Betrieb.

Der beschleunigte Atomausstieg vor fünf Jahren nach der Katastrophe im japanischen Fukushima hat für die Bundesregierung so oder so noch ein Nachspiel. Den Energiekonzernen steht für sinnlos gewordene Investitionen und verfallene Produktionsrechte ein angemessener Ausgleich zu. Dies stellte gerade das Bundesverfassungsgericht nach Klagen von Eon, RWE und Vattenfall fest. Dabei dürfte es nach Angaben der Regierung aber nicht um Milliardensummen gehen. Vielmehr dürfte sich die Entschädigung im dreistelligen Millionenbereich abspielen.

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