Die Stimmung in der deutschen Solarindustrie ist derzeit stark angespannt. Auf der einen Seite kämpfen europäische und deutsche Hersteller von Zellen und Modulen angesichts der erdrückend günstigen chinesischen Konkurrenz um ihre Zukunft in Deutschland, um deutsche Standorte oder gar das Überleben – allen voran das Schweizer Unternehmen Meyer Burger, aber auch Solarwatt aus Dresden und Heckert Solar aus Chemnitz. Sie fordern von der Politik einen so genannten „Resilienzbonus“ – höhere Einspeisevergütung für Produkte „made in Europe“. Andernfalls, drohen sie, müssen sie ihre Produktion in Deutschland drosseln oder einstellen. Meyer Burger will schon in der zweiten Februarhälfte entscheiden, ob das Unternehmen seine Solarfabrik in Freiberg in Sachsen schließt.
Auf der anderen Seite sperren sich Installationsfirmen wie das Berliner Unternehmer Enpal oder das Hamburger Start Up 1Komma5° genau gegen diese Art der Förderung. Sie vermieten oder verkaufen Gesamtpakete – vorwiegend bestückt mit chinesischen Modulen und fürchten Auftragseinbrüche als Folge von Subventionen. Auf LinkedIn, aber auch in Berlin tobt zwischen den Beteiligten eine bemerkenswerte, mit allen Mitteln ausgefochtene Lobbyschlacht – in der kommenden Woche will die Regierungskoalition über mögliche Hilfen verhandeln.
Warum liefert Meyer Burger nicht direkt?
Im Rahmen dieser Auseinandersetzung hat Enpal sich nun beschwert, dass Meyer Burger nicht einmal bereit sei, von Enpal bestellte Solarmodule „Made in Europe“ direkt auszuliefern. Im vergangenen November hatten Enpal-Chef Mario Kohle, 1Komma5°-Chef Philipp Schröder sowie drei weitere Unternehmen sich in einer „Absichtserklärung„ bereit erklärt, Solarkomponenten aus europäischer Produktion anzubieten. Damit, so hieß es, wollten die beteiligten Unternehmen die Bestrebungen der Bundesregierung sowie der Europäischen Kommission unterstützen, zur „Resilienz der Fotovoltaik-Wertschöpfungskette beizutragen.“
Entsprechend hat Enpal nach eigenen Angaben Module bei Meyer Burger für knapp 300.000 Euro bestellt, ist aber vom Meyer-Burger-Vertrieb an Großhändler wie etwa BayWa Re verwiesen worden. Das hat Enpal offenbar irritiert. Die Zusammenarbeit sei über mehrere Monate „genau so“ besprochen worden, so ein Enpal-Sprecher. Die Lieferung sei als „Startschuss für eine langfristige Partnerschaft“ vereinbart gewesen. „Über die kurzfristige Absage sind wir sehr enttäuscht.“ Vor allem der Zeitpunkt weckt bei Enpal offenbar Misstrauen: „Es wäre schade, wenn potenzielle Partnerschaften zum politischen Kalkül“ würden.
Innerhalb der Bundesregierung wird derzeit um eine Lösung für die Solarindustrie gerungen. Die Landesregierungen von Sachsen und Sachsen-Anhalt machen sich für einen Resilienzbonus stark – einen Vergütungsaufschlag für Produkte „Made in Europe“, der im Erneuerbaren-Energien-Gesetz Niederschlag fände.
Gespaltene Haltung in der Koalition
In der Regierungskoalition ist die Haltung gespalten. Die SPD-Bundestagsfraktion stützt das Konzept, die FDP ist dagegen. Wie genau sich Kanzleramt und auch Robert Habecks Wirtschafts- und Klimaministerium positionieren, ist nicht ganz eindeutig. Als Alternative gelten sogenannte „Resilienzausschreibungen“ für größere Projekte, Solarparks, weil die eine wettbewerbliche Komponente enthalten würden. Aber diese Ausschreibungen würden den bedrohten Herstellern kurzfristig wenig helfen.
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In der kommenden Woche soll das Konzept in den Bundestagsfraktionen verhandelt werden – als Teil des sogenannten Solarpakets I. Eine Möglichkeit wäre, dieses Gesetzespaket in der Sitzungswoche des Bundestags ab dem 19. Februar zur Abstimmung zu bringen. Das würde bedeuten: In der nächsten Woche wäre High Noon in der Auseinandersetzung um die Zukunft der deutschen Solarindustrie oder, wie das „Handelsblatt“ es treffend nannte: „Endspiel.“
Meyer-Burger-Chef Gunter Erfurt wies die Vorwürfe Enpals in Kommentaren auf LinkedIn zurück. Die Bestellung von Enpal sei im Umfang gering. Es handele sich um „ein einmaliges Spotgeschäft.“ Dafür werde Meyer Burger als „verlässlicher und loyaler Partner“ seine Großhändler nicht umgehen. Das, so der Subtext, mache man nur bei umfassenden Partnerschaften. „Wir stehen für langfristige Partnerschaften mit klaren Abmachungen.“ Das ergebe für alle Beteiligten Sinn. „Lass uns daher gern an einen Tisch setzen, um über eine strategische Kooperation“ zu sprechen, schrieb Erfurt. Diese Darstellung steht im Gegensatz zu der Behauptung Enpals, alles sei genau so abgemacht gewesen.
Auf eine Anfrage der WirtschaftsWoche am Freitag hin argumentierte Meyer Burger gleichlautend: „Wir haben eine klar definierte Vertriebsstruktur.“ Man sei „verlässlich und loyal“. Und: „Wir sind allerdings mittlerweile in vertrauensvollen Gesprächen mit Enpal.“ Jeder, der wolle, könne Meyer-Burger-Module im Großhandel erwerben. „Wir sind auch jederzeit bereit, in Gespräche über strategische Partnerschaften mit interessierten Akteuren einzusteigen.“
1Komma5° verlässt Verband
Jenseits dieses Modulscharmützels hat das Hamburger Start-up 1Komma5° am Freitag erklärt, dass es den Bundesverband der Solarwirtschaft (BSW) wegen dessen Forderung nach einem Resilienzbonus verlassen werde. Das Unternehmen distanziere sich von Forderungen nach „neuen, aggressiven Subventionen.“ Das Unternehmen wolle nicht „Teil eines rückwärtsgewandten Verbandes sein, der aus unserer Sicht auf Kosten der Steuerzahler und des Industriestandortes Klientelpolitik für wenige Mitglieder“ betreibe, sagte 1Komma5°-Chef Philipp Schröder laut Pressemitteilung. Das Unternehmen stellt in dem Verband bisher einen Vorstand. Schröder argumentiert, Subventionen für Hersteller in Europa würden es neuen Herstellern erschweren, auf den Markt zu kommen, wenn diese auf Komponenten außerhalb Europas angewiesen seien. Das würde zu „Marktverzerrung“ führen. Auch 1Komma5° stelle Solarmodule her.
Meyer-Burger-Chef Erfurt hat jenen Unternehmen, die gegen den Resilienzbonus lobbyieren, unterstellt, damit lediglich ihre bisher hohen Margen bei sehr günstigen Modulen aus China schützen zu wollen.
Vom Bundesverband Solarwirtschaft hieß es in Reaktion auf die Austrittsankündigung von 1Komma5°, der Verband werde weiterhin versuchen, auch „abweichende Auffassungen, soweit sie den Interessen der Solarwirtschaft insgesamt dienen, in seine Positionsbestimmung zu integrieren“.
„Beim Thema Resilienz besteht ein Kompromiss darin, dass sich der BSW-Solar mit Nachdruck gegen die Einführung von Zöllen und Handelsbarrieren einsetzt, auf der anderen Seite aber für einen befristeten Zeitraum und einen Teil des EEG-Fördervolumens die Einführung von Resilienzboni und Resilienzauktionen empfiehlt, um europäischen Herstellern während der Ramp-up-Phase ihrer Solarfabriken den Weg zu einer internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu erleichtern“, so BSW-Geschäftsführer Carsten Körnig. „Dieser Kompromiss wurde einstimmig vom BSW-Vorstand und Vertretern aller Wertschöpfungsstufen getragen.“
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Korrektur: In der ursprünglichen Fassung dieses Texts haben wir geschrieben, dass europäische und deutsche Hersteller von Solarzellen und Modulen auf gleiche Weise um ihr Überleben ringen müssen. Da es dabei jedoch unterschiedliche Positionen gibt, haben wir nun präzisiert, dass sie „um ihre Zukunft in Deutschland, um deutsche Standorte oder gar das Überleben“ kämpfen.