Insolvenzverfahren Die Lehman-Leichenfledderer

Lehman Brothers ist schon seit drei Jahren pleite, wirft aber für einige Leute immer noch Gewinn ab. Das Insolvenzverfahren wird noch Jahre dauern und zahlreiche Anwälte, Wirtschaftsprüfer und Finanzberater reich machen.

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ARCHIV - Ein Schriftzug zeigt Quelle: dpa

Der Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers hat Vermögen vernichtet und Karrieren zerstört. Aber um den Kadaver des Finanzgiganten ist eine florierende Industrie entstanden, die bis heute von der Katastrophe profitiert: Anwälte, Hedge-Fonds und diverse Kleinbörsen. „So war es schon immer an der Wall Street: Es tauchen immer Leute auf, die den Untergang anderer zu ihrem eigenen Vorteil nutzen können“, sagt der Anwalt einer großen internationalen Kanzlei.

Anwälte, Wirtschaftsprüfer und Finanzberater in den USA führen die Gewinnerliste im Falle des größten Insolvenzverfahrens der Welt mit großem Vorsprung an. Knapp 1,4 Milliarden Dollar an Gebühren fielen bis Ende Juli allein bei der Liquidation der Muttergesellschaft in New York an. Damit ist die Abwicklung von Lehman Brothers schon heute die teuerste der US-Geschichte. Bereits jetzt hat sie knapp doppelt so viel gekostet wie die Zerlegung des 2001 zusammengebrochenen Energiehändlers Enron.

Über 80 Insolvenzverfahren

Und nicht nur in den USA wird abgewickelt. Mit der Pleite hat sich der Bankkonzern in mehr als 200 unterschiedliche Gesellschaften in verschiedenen Rechtssystemen zerlegt. Über 80 Insolvenzverfahren laufen parallel weltweit, denn eine Weltinsolvenzordnung gibt es nicht. Und so zerfällt ein globales Unternehmen mit einem Mal wie ein Atomkern in seine Elementarteilchen.

Noch ist die Abwicklung nicht vorbei, die mit der Anmeldung der Insolvenz morgen vor drei Jahren begann - einem Ereignis, wie es nur einmal im Jahrhundert geschieht, wie der Ex-Chef der US-Notenbank Alan Greenspan sagte. Ein wichtiges Zwischenziel in den USA könnte der Prozess aber am 6. Dezember dieses Jahres erreichen. Nach schier endlosen Streitigkeiten zwischen den rund 110.000 Gläubigern und den Lehman-Anwälten hat ein Gericht im August einen Kompromiss über die Verwendung der Insolvenzmasse abgesegnet. 320 Milliarden Dollar an Forderungen stehen 65 Milliarden Dollar an Vermögenswerten gegenüber. Deshalb sollen die Gläubiger rund 20 Cent je Dollar zurückbekommen.

Auch in Deutschland geht es um Milliarden

Wichtige Kreditgeber von Lehman wie der Konkurrent Goldman Sachs und der Hedge-Fonds Paulson & Company stützen den Kompromiss, der nun von allen Gläubigern gegengezeichnet werden muss. Im Dezember könnte die abschließende Anhörung stattfinden. Bei einer Einigung bekommen auch die Gläubiger der deutschen Lehman Brothers Bankhaus AG einen Teil ab. „Das Insolvenzverfahren in Deutschland hängt deutlich von den Entwicklungen in den USA ab“, sagt der deutsche Insolvenzverwalter Michael Frege von der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Er wickelt von seinem Büro im Frankfurter Westend zusammen mit Kollegen die deutsche Tochter ab - auch dabei geht es um Milliarden.

Anders als das US-Verfahren ist das deutsche Verfahren nicht öffentlich, so dass weniger Fakten bekannt sind. Klar ist jedoch, dass mehr als 500 Gläubiger noch Teil des Insolvenzverfahrens in Deutschland sind. Derzeit sind in der Verteilung Gesamtforderungen von über elf Milliarden Euro berücksichtigt. Im vergangenen Jahr haben diese Gläubiger in einer ersten Abschlagszahlung 17 Prozent ihrer Forderungen erhalten. Frege plant eine weitere Abschlagszahlung. Die Schlussabrechnung wird es frühestens in einigen Jahren geben.

Frege setzte auf Kooperation, vor allem mit dem wichtigsten Bestandteil des einst stolzen Lehman-Imperiums - dem US-Rest. Denn rund ein Drittel des Vermögens der deutschen Gesellschaft lag in den USA. „Ein Streit könnte bei diesem komplexen Verfahren voraussichtlich bis zu 50 Jahre dauern.“

„Unfälle können immer passieren“

Wäre die Welt heute, drei Jahre nach der historischen Pleite, besser vorbereitet? In Deutschland etwa gilt mittlerweile ein neues Insolvenzrecht und das Gesetz zur Bankenrestrukturierung, mit denen die Abwicklung einer Bank erleichtert oder gar umgangen werden soll, indem vorher saniert wird. „Diese Regeln werden helfen, solche Krisen künftig besser zu lösen“, sagt Frege, aber er betont: „Unfälle können immer passieren.“

Wer sich dieser Tage mit Frankfurter Bankern unterhält, der hört vor allem eine Überzeugung: Eine Großbank könnte derzeit in Europa niemand insolvent gehen lassen, weil die Ansteckungsgefahr zu groß sei, die Folgen zu komplex. Eigentlich also wie damals, vor der Lehman-Pleite, als ein solcher Schritt als undenkbar galt.

Alle Verträge im Original sind nicht verfügbar

Lehman zeigt, wie kompliziert die Folgen des Undenkbaren sind. Allein bei Freges Kanzlei arbeiten mehr als 100 hochspezialisierte Anwälte an der Lehman-Insolvenz. Weltweit kommen rund 100 weitere Experten wie Wirtschaftsprüfer und Fachanwälte dazu. 25 ehemalige Banker von Lehman Deutschland sind beteiligt an der Abwicklung ihres ehemaligen Arbeitgebers. Sie waren zentral für die ersten Schritte der Abwicklung, die Spurensuche.

„Mit der Lehman-Insolvenz war das Datensystem nahezu zusammengebrochen“, sagt Frege. Externe Dienstleister hatten diese Aufgabe übernommen - und sie eingestellt, als klar war, dass der Auftraggeber pleite ist. Allein für die deutsche Lehman-Tochter mussten die Insolvenzverwalter mehrere Zehntausend Derivate und andere Wertpapier- und Finanzstrukturen in ihren Verträgen nachvollziehen, viele Darlehensverträge im Original seien bis heute nicht verfügbar.

Diese Phase ist vorbei, jetzt geht es um die genaue Akten- und Vertragsarbeit. „Im Marathon sind wir jetzt etwa bei Kilometer 27“, sagt Frege. „Gut die Hälfte haben wir vielleicht geschafft.“ Die Abwicklung der kleinen Privatbank Herstatt hat in Deutschland mehr als 30 Jahre gedauert. Frege will durch einen Insolvenzplan, einen seit 1999 möglichen großen Vergleich, schneller zu einer Lösung kommen. Doch allein der Prozess mit der britischen Lehman-Schwester um Kundengelder könnte noch mindestens fünf Jahre dauern.

Auch in den USA werden Anwälte und Berater über den 6. Dezember hinaus an der Abwicklung von Lehman verdienen. Denn weiter laufen Gerichtsverfahren der Insolvenzanwälte gegen andere Banken und Geschäftspartner, die Vermögenswerte herausrücken sollen, auf die „Rest-Lehman“ Ansprüche erhebt. Gemessen am Anteil an den Abwicklungskosten ist die Restrukturierungsberatung Alvarez & Marsal, deren Mitgründer Bryan Marsal die Reste von Lehman Brothers heute leitet, der größte Profiteur des Zusammenbruchs. Über 420 Millionen Dollar an Managementgebühren kassierte die Firma bislang. 326 Millionen entfallen auf die Sozietät Weil, Gotshal & Manges.

Rückzahlung zieht sich hin

Die Rückzahlung der Gelder an die Gläubiger wird sich auch hinziehen, weil die 65 Milliarden Dollar in den USA zum Teil in Wertpapieren mit langer Laufzeit angelegt sind. Verwaltet werden sie von der eigens dafür gegründeten Vermögensverwaltung Lamco. Das Lamco-Management hatte sogar gehofft, ein neues Geschäft auf der Asche von Lehman zu errichten. Die Idee: Weil sie noch über Jahre die Vermögensreste von Lehman verwalten müssen, könnten sie mit ihrer Expertise auch Portfolios für Dritte verwalten.

Doch die Lehman-Gläubiger lehnten dies ab. „Aus ihrer Sicht war die Gefahr zu groß, dass das Lamco-Management den Fokus verliert“, sagt der amtierende Lehman-Chef Marsal. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, die Gläubiger - meist Banken und Vermögensverwalter - wollten nicht auch noch die Entstehung eines neuen Konkurrenten fördern.

Second Market und Illiquids

Die Lehman-Insolvenz hat aber auch einer neuen Sparte der Finanzbranche zum Durchbruch verholfen: den Handelsplattformen für Ansprüche auf Zuteilungen aus Insolvenzfällen, Second Market in New York und Illiquidx in London. Sie bieten Gläubigern von insolventen Firmen an, ihre Ansprüche wie auf einer Börse meistbietend zu verkaufen. Vor der Lehman-Pleite war der Handel mit solchen Ansprüchen auch in den USA praktisch unbekannt. Drei Jahre später wechselten allein im August Ansprüche auf Auszahlung aus dem Lehman-Vermögen im Gegenwert von 3,55 Milliarden Dollar bei Second Market den Besitzer.

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