Abhörskandal Vodafone gesteht Extraleitungen für Geheimdienste

Der Telekommunikationskonzern Vodafone muss Behörden spezielle Spionage-Leitungen bieten. Ein Unternehmens-Bericht zeigt, wie leicht Geheimdienste Telefongespräche abhören und mitschneiden können.

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Die Brandherde bei Vodafone
Was treibt Schulte-Bockum da nur?Im Oktober 2012 übernimmt Jens Schulte-Bockum von Friedrich Joussen einen florierenden Konzern. "Das Haus ist bestellt und in bester Verfassung“, sagt Joussen und übergibt den Chefsessel. Dann folgen eine Reihe von Fehlentscheidungen, die den Konzern an den Rand der Krise treiben. Quelle: dpa
Kehraus beim ManagementOhne Not wird die bis dahin so starke, achtköpfige Geschäftsführung in kürzester Zeit zerschlagen: Aufsichtsrats-Chef Philipp Humm und Schulte-Bockum tauschen fast die gesamte Top-Truppe aus. Finanzchef Sebastian Ebel und Kommunikationschef Thomas Ellerbeck folgen Joussen zum Touristikkonzern TUI. Andere wie der für den Service zuständige Achim Weusthoff werden intern versetzt. Technikchef Hartmut Kremling, Vertriebschef Erik Friemuth oder die für die Shops zuständige Susan Hennersdorf verlassen das Unternehmen ganz. Quelle: dpa
Bruch mit TraditionenDem neuen Management fehlt der Stallgeruch. Neue Mitglieder der deutschen Geschäftsführung wie Philip Lacor und Frank Krause kommen aus anderen Landesgesellschaften wie den Niederlanden und der Türkei und müssen sich erst noch mit den Eigenarten des deutschen Marktes vertraut machen. Die meisten kommen von außen, so Marcello Maggioni (vom Pay-TV-Sender Sky), Robert Hackl (von T-Mobile USA) und Eric Kuisch (vom niederländischen Ex-Monopolisten KPN).
Revolte bei den MitarbeiternNur noch jeder Dritte vertraut den Entscheidungen der Führungsriege, 21 Prozentpunkte weniger als bei der letzten Mitarbeiterbefragung kurz nach Schulte-Bockums Amtsantritt vor einem Jahr. Die bei Vodafone extrem stark ausgeprägte Bereitschaft, vollen Einsatz mit vielen Überstunden zu zeigen, ist kaum noch vorhanden. Viele Mitarbeiter sind derart demotiviert und frustriert, dass selbst treue Stammkunden zur Konkurrenz überlaufen oder nur durch heftige Preisnachlässe gehalten werden können. Quelle: dapd
Das Netz läuft instabilVodafone hat  die hohe Netzqualität leichtfertig aufs Spiel gesetzt und bekommt jetzt die Quittung. Die alten GSM- und UMTS-Netze sind so überlastet, dass die Beschwerden über Gesprächsabbrüche in die Höhe schnellen. 2010 hatte Vodafone schon einmal die Chance, mit Kabel Deutschland Zugang zum superschnellen Internet zu bekommen, griff aber nicht zu. Die Übernahme 2013 war um ein vielfaches teurer…. Quelle: dpa
… das Nachrüsten wird teuerVier Milliarden Euro darf Schulte-Bockum bis Ende 2015 in die Netzmodernisierung stecken, um alle Engpässe zu beseitigen. Doch auch dies hat seine Tücken: Damit die Techniker die 23.000 im ganzen Land verstreuten Funkstationen umrüsten können, müssen die Anlagen für ein paar Stunden vom Netz. Wenn technische Probleme auftreten, kann solch ein Umbau auch schon mal zwei Tage dauern. Bei dem dann klaffenden Funkloch wäre ein Beschwerdesturm sicher. Quelle: dpa
Zu viel Einfluss der Konzernzentrale„Think global, act local“ – Vodafone baute wie kein anderer Mobilfunkkonzern eine Weltmarke auf, bewahrte aber die nationalen Eigenarten. Dieses Erfolgsrezept gilt plötzlich nicht mehr. Unter Joussen konnte die Zentrale in London kaum hineinregieren. Der Erfolg gab ihm recht: Vodafone konnte Rivalen  T-Mobile zumindest zeitweise überholen. Jetzt mischt sich die Zentrale ständig ein. Das untergräbt das Selbstbewusstsein der bisher so autonom agierenden Deutschen – vor allem, wenn die dafür Verantwortlichen vom Erzrivalen Telekom kommen. „Wir werden an der kurzen Leine stranguliert“, schimpft ein Mitarbeiter. Quelle: dpa

Ein Albtraum-Szenario für Datenschützer: Über eine spezielle Spionage-Leitung ermöglicht es der Mobilfunkanbieter Vodafone Regierungen und Behörden, Telefongespräche abzuhören und mitzuschneiden.

Das geht aus dem erstmals veröffentlichten „Law Enforcement Disclosure Report“ des Unternehmens.

In dem Transparenz-Bericht legt Vodafone erstmals seine Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden in 29 Ländern offen. Von den Möglichkeiten des Abhörens wird demnach in vielen von ihnen weitreichender Gebrauch gemacht.

Totale Überwachung möglich

Dass Telekommunikationsanbieter technische Möglichkeiten haben, den Behörden gezielte Abhörmaßnahmen zu ermöglichen und auf Anordnung auch Verbindungsdaten herausgeben, war bekannt. Laut Vodafone behalten die Unternehmen dabei zumeist die Kontrolle über die Maßnahmen, die nach den jeweiligen Gesetzen genehmigt würden.

In „einer kleinen Zahl“ von Ländern hätten „bestimmte Behörden“ jedoch unmittelbaren Zugriff auf die Inhalten und Verbindungsdaten, heißt es in dem Bericht weiter.

In mindestens sechs Ländern können sich Behörden offenbar direkt in Telefonate einklinken und diese mithören. Zudem ermöglicht es ihnen das System auch, den Standort des Nutzers zu erfahren. In welchen Ländern die Telefongespräche direkt abgehört werden können, sagt Vodafone nicht. „Eine automatische Mitschneidemöglichkeit von außen gibt es in Deutschland aber definitiv nicht“, versichert aber ein Konzern-Sprecher.

Ein Einzelfall ist Vodafone mit seinen Abhörleitungen allerdings nicht. Auch andere Anbieter kooperieren auf ähnliche Art mit Behörden.

Die Veröffentlichung von Informationen zu Abhörmaßnahmen in den einzelnen Ländern hält Vodafone für wichtig, um ein größeres öffentliches Verständnis dafür zu wecken. Im Prinzip sollten aber die Regierungen selbst und nicht die Telekom-Provider für die nötige Transparenz sorgen. Sie könnten ein vollständigeres Bild für das jeweiliges Land abgeben.

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