Vor ein paar Tagen kommentierte ein Kollege mit Blick auf meinen Blackberry „Classic“, ich sei vermutlich der letzte Mobilfunkkunde, der noch auf der charakteristischen Mikrotastatur herum tippe, die vor ein paar Jahren noch die handlichen E-Mail-Telefone aus Kanada zum absoluten Must-Have in den Taschen mobiler Manager machte.
Als die Hauptfunktion von Handys noch bloßes Telefonieren war, ermöglichte Technologie-Pionier mit seinen einzigartigen, etwas klobigen, aber eben extrem praktischen Geräten ein derart effizientes E-Mail-Management unterwegs, dass deren Nutzern beim Blick auf ihre Tastentelefone nur noch von Crackberry sprachen.
Diese Eigenständigkeit haben die Kanadier vor Jahren schon verloren. Die Überlegenheit beim Bedienkonzept im einen Fall beziehungsweise die immense Entwicklungspower auf der anderen Seite (gepaart mit dem Geschäftsmodell, die eigene Software zu verschenken), haben zur Dominanz von Apple und Google - mit der iPhones und der Android-Plattform geführt. Und zu einer drastischen Relevanzverschiebung im Markt.
Apple in Zahlen
18,4 Milliarden Dollar – der Gewinn von Apple im Weihnachtsquartal 2015 war auch der höchste, den ein börsennotiertes Unternehmen bislang erzielen könnte. Der Konzern sitzt jetzt auf einem Geldberg von 216 Milliarden Dollar und ist an der Börse über 580 Milliarden Dollar wert.
68 Prozent – so hoch war im letzten Quartal 2015 der Anteil des iPhones am Apple-Umsatz. Das Telefon ist zum entscheidenden Produkt für das Geschäft von Apple geworden. Insgesamt ist weltweit rund eine Milliarde Apple-Geräte im Einsatz, die meisten davon sind iPhones.
110.000 Mitarbeiter hatte Apple zum Abschluss des Geschäftsjahres September 2015. Zehn Jahre zuvor waren es noch 14.800 Festangestellte und gut 2000 befristet Beschäftigte.
Einstige Mobilfunkriesen mit großem Technologie-Know-how bei der Hardware sind dabei unter die Räder geraden. Motorola existiert in der Handywelt bloß noch als Sub-Marke des chinesischen Technikriesen Lenovo, Nokia hat sein verlustreiches Smartphone-Geschäft vor Jahren an Microsoft verkauft - das es inzwischen auch weitgehend hat abschreiben müssen. Nun hat es also auch Blackberry erwischt. Unternehmenschef John Chen kündigte an, die Entwicklung eigener Smartphones einzustellen.
Das ist - für praktizierende Tastenfans wie mich - eine überaus traurige Nachricht. Strategisch aber ist sie nachvollziehbar - nicht nur angesichts des verbliebenen 0,2-prozentigen Marktanteils im Smartphonegeschäft.
Mehr noch, was Chen mit dem Ausstieg aus der Handy-Entwicklung zum Ende bringt, ist der Endpunkt einer strategischen Kurskorrektur, die als Vorbild für einen Großteil der Mobilfunkbranche dient.
Blackberry ist folgendes passiert: Hoch standardisierte Produkte mit einer exponentiell wachsenden Nutzerzahl und gleichzeitig immenser Innovationsgeschwindigkeit verdrängen die proprietäre Technik eines einzelnen Herstellers. Das Gleiche vollzieht sich mindestens so radikal auf der anderen Seite der Mobilfunkwelt: im Netzwerk.
Auch wenn die Masse der Smartphone-Nutzer davon kaum etwas mitbekommt, ist die Branche der Netzwerkausrüster mindestens so sehr in Aufruhr und im Umbruch wie die der Handy-Produzenten.
Die seit Jahren anhaltende Konsolidierung, die zuletzt den Zusammenschluss der einst eigenständigen Anbieter Alcatel und Lucent unter das Dach von Nokias Netzwerksparte getrieben hat, ist nicht minder getrieben vom Trend, dass Software die ehemals hochprofitable eigenständige Hardware ersetzt.
Wo die Netzwerk-Spezialisten in der Vergangenheit sündhaft teure Spezial-Hardware für den Betrieb der Mobilfunknetze verkaufen konnten, stehen heute immer häufiger hundsgewöhnliche PC-Systeme, technisch engst verwandt mit Desktop-Rechnern oder Laptops. Und damit drastisch billiger als die Gewinntreiber, die Ericsson, Nokia, Alcatel, Lucent, Motorola oder Nortel vor einem halben Jahrzehnt noch ein überaus auskömmliches Geschäft bescherten.
Weg von der Hardware, hin zur Software
Heute herrscht bei der Hardware ein dramatischer Preiswettbewerb, in dem keiner der Etablierten noch etwas zu gewinnen hat. Und in dem speziell wettbewerbsfähigeren chinesischen Anbieter sich Geschäftsanteile aus dem Markt geschnitten haben, als wären sie ein warmes Messer in der Butter – anfangs dank niedrigerer Personalkosten, inzwischen aber auch dank innovativerer Systeme.
Der Ersatz von Hardware durch Software beschleunigt sich noch. Längst sind große Teile der Netzwerk-Infrastruktur in den mobilen Netzen physisch gar nicht mehr vorhanden. Netzwerk-Management-Server, Kunden-Management-Systeme, Sendetechnik - all das existiert nur noch virtuell, in Form von Software, die die Funktionen der einst eigenständigen Hardware mehr und mehr imitiert.
Das ist flexibler, drastisch billiger und um ein Vielfaches innovativer. So mussten Netzbetreiber beispielsweise in der Vergangenheit an einzelnen Basisstationen für jede Übertragungstechnik – den alten 2G-GSM-Mobilfunk, das schnellere UMTS-Netz oder die neue, leistungsstärkste LTE-Infrastruktur – eigene (und damit unflexible) Spezialrechner installieren. Heute reicht es, einfach die Software in einen anderen Sendemodus umzuschalten. Ein immenser Effizienzsprung.
Was der neue Mobilfunk 5G leisten soll
Bis zu 100 Mal größer: 5G soll ganz neue Formen der Unterhaltung ermöglichen, wie Videospiele mit virtuellen Realitäten – und Computerbrillen für 3-D-Videos mit lebensechter 4-K-Auflösung.
10 Mal effizienter: Heute ist Strombedarf einer der größten Kostentreiber im Mobilfunk. Künftig müssen Infrastruktur und Endgeräte drastisch weniger Energie verbrauchen – und im Idealfall bis zu zehn Jahre ohne Batterietausch funken.
1000 Mal höher: Wenn Mobilfunk künftig auch Sensoren in Parkuhren, Ampeln, oder Pkw-Stellplätzen vernetzen soll, müssen Funkzellen mit der 1000-fachen Zahl von Geräten kommunizieren können.
10 bis 100 Mal schneller: Damit autonom fahrende Autos einander rechtzeitig Notbremssignale geben können, muss das Funknetz Befehle in weniger als zehn Millisekunden übermitteln. Heutige Netze brauchen mindestens 100 Millisekunden.
Bis zu 1000 Mal verlässlicher: Heute nerven Verbindungsabbrüche nur. Im Internet der Dinge wird es zum unkalkulierbaren Risiko, wenn der Funk zickt. Dann drohen der Stillstand von Maschinen oder gar tödliche Unfälle mit Robotern.
Wer in dieser neuen Mobilfunkwelt überleben will, muss in großen Teilen weg von Hardware und Kompetenz in Sachen Software aufbauen. Das hat mancher der alten Riesen zu spät verstanden – mit den bekannten Folgen. Neue Konkurrenten wie etwa Huawei dagegen haben mit klarem Fokus auf die Bedeutung innovativer Softwaresysteme in kürzester Zeit so manchen etablierten aber weniger dynamischen Hersteller verdrängt. Auch, weil der sein traditionelles Hardware-Geschäft nicht durch konkurrierende Software-Systeme aus dem eigenen Haus kannibalisieren wollte.
Dieses Problem hat Blackberry-Chef Chen nun mit der endgültigen Aufgabe seiner Hardware-Entwicklung bei Smartphones endgültig gelöst. Nun fokussiert sich der einstige Smartphone-Pionier tatsächlich ausschließlich auf die Entwicklung seiner Software-Angebote. Und längst bietet er nicht mehr nur für die eigenen Telefone seine Systeme an, mit denen sich E-Mails oder Unternehmensdaten auf Smartphones übertragen lassen, ebenso verlässlich wie gegen Hackerzugriffe geschützt. Chen hat die Software längst auch für Apple- und Android-Telefone verfügbar gemacht.
Mit Erfolg. Denn der parallel zum Niedergang des Handy-Geschäfts vollzogene Ausbau der Software- und Serviceangebote schlägt sich zunehmend in der Kasse nieder. Zwar vermeldete Chen – zeitgleich mit dem Ausstieg aus der Handy-Entwicklung – einen Quartalverlust von 372 Millionen Dollar. Doch der resultierte größtenteils aus Abschreibungen. Der Softwareumsatz dagegen verdoppelte sich – und fürs dritte Quartal peilt Chen zumindest eine rote Null an.
Es wäre der zumindest ökonomische Lohn für den endgültigen Abschied vom Crackberry. Und ein Hoffnungsschimmer für die trudelnden Netzwerkriesen, dass sich die Strategiewende auszahlen kann.