Twitter probiert doppelt so lange Tweets aus und stellt damit sein bekanntestes Markenzeichen in Frage. Der Kurznachrichtendienst zeigte sich schon vorab überzeugt, dass die Aufstockung der maximalen Länge von 140 auf 280 Zeichen einen positiven Effekt haben werde. Dennoch wolle Twitter die Änderung „mit einer kleinen Gruppe“ von Leuten testen, „bevor wir die Entscheidung treffen, sie für alle verfügbar zu machen“, hieß es. Viele Nutzer reagierten skeptisch.
Der Test solle in allen Sprachen außer Japanisch, Chinesisch und Koreanisch laufen - weil in diesen Sprachen ohnehin mehr Inhalt mit weniger Schriftzeichen vermittelt werden könne, erklärte Twitter. Nur 0,4 Prozent der Tweets auf Japanisch erreichten die Länge von 140 Zeichen, rechnete Twitter vor. Von den Twitter-Beiträgen in englischer Sprache seien es neun Prozent - und viele Nutzer seien über die Begrenzung frustriert. Die durchschnittliche Länge betrage dabei 15 Zeichen in japanischen Tweets und 34 Zeichen in englischen.
Twitter machte zunächst keine Angaben dazu, wie viele Nutzer genau in den Test einbezogen werden und wie sie ausgewählt werden sollen. Während die Twitter-Führungsetage und auch einige amerikanische Tech-Journalisten bereits Zugriff auf die 280 Zeichen bekamen, scheint US-Präsident Donald Trump nicht dazu zu gehören: Seine traditionellen Tweets aus den frühen Morgenstunden hatten die übliche knappe Länge.
Zahlen und Fakten zu Twitter
Twitter war zunächst nicht mehr als ein Nebenprodukt der Firma Odeo, die eine (allerdings wenig erfolgreiche) Podcasting-Plattform entwickelte. Die Macher suchten 2006 nach Alternativen – und entwickelten den Dienst mit seinen 140 Zeichen kurzen Texthäppchen. In den ersten Monaten gewann er zwar kaum Nutzer, doch nach einem erfolgreichen Auftritt auf der Technologiekonferenz SXSW hob Twitter ab.
Anfangs standen vier Freunde hinter Twitter: Evan Williams, der dank des Verkaufs seiner Plattform Blogger.com an Google auch Geldgeber war; außerdem Jack Dorsey, Biz Stone sowie Noah Glass. Letzterer wurde allerdings wegen seiner schwierigen Art schon bald aus der Firma gedrängt.
Die kurze Geschichte der Firma ist geprägt von Machtkämpfen zwischen den einstigen Freunden. Der erste Chef Jack Dorsey musste auf Veranlassung des Mitgründers Evan Williams sowie des Verwaltungsrates seinen Posten verlassen. Williams selbst hielt sich auch nicht dauerhaft an der Spitze – bei seiner Entmachtung im Oktober 2010 hatte Dorsey seine Finger im Spiel. Ab Oktober 2010 lenkte Dick Costolo, zuvor bei Google tätig, die Firma. Im Juli 2015 gab er seinen Rücktritt bekannt. Seit Oktober 2015 ist Dorsey wieder CEO von Twitter, nachdem er seit Juli als Interim-CEO gedient hatte.
Bislang hat Twitter die Erwartungen der Börse noch nicht erfüllt. Das Unternehmen hat trotz steigender Umsätze noch nie Gewinn gemacht:
Gewinn bzw. Verlust von Twitter weltweit* | |
2010 | -67,32 Millionen US-Dollar |
2011 | -128,3 Millionen US-Dollar |
2012 | -79,4 Millionen US-Dollar |
2013 | -645,32 Millionen US-Dollar |
2014 | -577,82 Millionen US-Dollar |
2015 | -521,03 Millionen US-Dollar |
2016 | -456,87 Millionen US-Dollar |
*Quelle: Statista/Twitter, Stand: August 2017
Die Gründer verzichteten in der Anfangszeit bewusst auf Werbung, um die Nutzer nicht zu verschrecken. Im Frühjahr 2010 starteten erste Versuche mit bezahlten Tweets. Inzwischen ist das Geschäft beträchtlich angewachsen, 2016 stammten von den 2.530 Millionen Dollar Umsatz fast 90 Prozent aus dem Werbegeschäft.
Werbeeinnahmen und Umsatz von Twitter weltweit (in Mio. US-Dollar) | ||
Werbeeinnahmen | Umsatz | |
2011 | 77,71 | 106,31 |
2012 | 269,42 | 316,93 |
2013 | 594,55 | 664,89 |
2014 | 1.255,69 | 1.403 |
2015 | 1.994,04 | 2.218,03 |
2016 | 2.248,05 | 2.529,62 |
Quelle: Statista/Twitter, Stand: August 2017
Twitter ist für die mobile Ära gerüstet. Ein Großteil der Werbeerlöse wird auf Smartphones und Tablets erwirtschaftet. Insgesamt hat Twitter mehr als 328 Millionen Nutzer pro Monat.
Anzahl der monatlich aktiven Nutzer von Twitter weltweit | |
Monatlich aktive Nutzer (in Mio.) | |
Q1 '10 | 30 |
Q2 '10 | 40 |
Q3 '10 | 49 |
Q4 '10 | 54 |
Q1 '11 | 68 |
Q2 '11 | 85 |
Q3 '11 | 101 |
Q4 '11 | 117 |
Q1 '12 | 138 |
Q2 '12 | 151 |
Q3 '12 | 167 |
Q4 '12 | 185 |
Q1 '13 | 204 |
Q2 '13 | 218 |
Q3 '13 | 232 |
Q4 '13 | 241 |
Q1 '14 | 255 |
Q2 '14 | 271 |
Q3 '14 | 284 |
Q4 '14 | 288 |
Q1 '15 | 302 |
Q2 '15 | 304 |
Q3 '15 | 307 |
Q4 '15 | 305 |
Q1 '16 | 310 |
Q2 '16 | 313 |
Q3 '16 | 317 |
Q4 '16 | 319 |
Q1 '17 | 328 |
Q2 '17 | 328 |
Quelle: Statista/Twitter, Stand: August 2017
Die Beschränkung auf 140 Text-Zeichen ging ursprünglich darauf zurück, dass Twitter beim Start vor mehr als zehn Jahren zunächst noch auf Basis von SMS-Nachrichten aufgebaut war. Nach kurzer Zeit war sie dann technisch nicht mehr erforderlich - blieb aber als Markenzeichen erhalten.
Twitter-Chef Jack Dorsey hatte zuletzt vor zwei Wochen betont, dass die Plattform grundsätzlich auf kurze Beiträge ausgerichtet bleiben solle. „Wir glauben, dass es wirklich wichtig ist, diese Kürze beizubehalten“, sagte er. Nach der Rückkehr an die Twitter-Spitze vor zwei Jahren hatte er noch mit dem Gedanken gespielt, die Einschränkung aufzuheben - und auf Nutzer verwiesen, die Screenshots von längeren Texten veröffentlichen müssten. Solche Inhalte seien dann zum Beispiel nicht per Textsuche auffindbar. Die Obergrenze von 140 Zeichen wurde allerdings nur für Direktnachrichten von Nutzer zu Nutzer gekippt. Danach sei diese Funktion mehr genutzt worden, betont Twitter.
Jetzt erklärte Dorsey in einem Tweet im neuen längeren Format, die 140 Zeichen seien eine „willkürliche“ Einschränkung gewesen. Die langen Nachrichten, die nun vereinzelt auf der Plattform auftauchen, sehen gewöhnungsbedürftig aus. Einige Twitter-Nutzer begrüßten in ersten Reaktionen den größeren Spielraum. Andere wiederum kritisierten, dass Twitter mit dem Schritt ein Stück seiner Identität aufgebe oder erklärten, dass das Unternehmen erst einmal konsequenter gegen andere Probleme wie das Publizieren von Tweets mit Hassrede oder Mobbing vorgehen sollte. Ein weiterer Twitter-Mitgründer, Biz Stone, argumentierte, mit 280 Zeichen komme man in Tweets auf Englisch auf etwa 50 Worte - und müsse sich damit immer noch kurz fassen.
Twitter erklärte in einem Blogeintrag, man hoffe, dass mit den Änderungen weniger Tweets an die Text-Obergrenze stoßen, „was es für alle einfacher machen sollte, zu twittern“. Der chronisch verlustbringende Kurznachrichtendienst steht unter dem Druck der Börse, schneller die Nutzerzahlen zu steigern.