Snapchat Snap bringt Fotobrille Spectacles nach Europa

In den USA ist die Fotobrille „Spectacles“ bereits im Handel, andere Snapchat-Nutzer mussten sich bislang gedulden. Nun vertreibt der Konzern die Brille auch in Europa – und hofft, damit erste Erfolge zu verzeichnen.

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Der „Snapbot“ dient als Verkaufsautomat für die „Spectacles“. Quelle: dpa

Düsseldorf In der Berliner Innenstadt ist am Freitag ein kurioser Gegenstand gelandet – eine Mischung aus Cola-Automat und Minion, einem jener quirligen, lustigen Männchen aus dem gleichnamigen Animationsfilm. Genauso lustig und unbeschwert will sich auch der Aufsteller Snap geben: Die sogenannten Snapbots sind in verschiedenen europäischen Großstädten angekommen, um die hippe Fotobrille „Spectacles“ anzubieten, die es seit Freitag nicht mehr nur in den Vereinigten Staaten zu kaufen gibt.

Und so quirlig und lustig die Automaten aussehen und so verspielt die Kamerabrille auch ist, mit der Snapchat-Nutzer 30-Sekunden-Videos aufnehmen und auf der Plattform hochladen können, so sehr braucht Snap endlich eine Erfolgsgeschichte. Denn die letzten Quartalszahlen waren enttäuschend, Gründer Evan Spiegel brachte mit arroganten Kommentaren Analysten gegen sich auf und die Konkurrenz wächst schneller als seine eigene Plattform.

Die Expansion nach Europa ist ein weiterer Schritt, um aus der simplen App endlich die „Camera Company“ zu machen, als die man sich bei Börsenlistung selbst bezeichnete. Ein bisher unbekannter Zukauf unterstreicht diese Ambitionen. Doch werden Spiegels Hardware-Pläne ausreichen, um endlich ein profitables Unternehmen zu schaffen?

In Amerika ging die Strategie auf: Landeten die Snapbots mit den Fotobrillen in US-amerikanischen Städten, bildeten sich lange Schlangen. Jeder wollte sein Exemplar der „Spectacles“ aus dem Automaten ziehen. Von London über Paris bis Barcelona – überall in Europa erhofft sich das Unternehmen aus Los Angeles zahlreiche Begeisterte und potenzielle Käufer. Wer es nicht in die Großstadt schafft, der kann sich seine Brille auch gleich online bestellen. Rund 150 Euro muss einem die Spielerei wert sein.

Snapchat glaubt daran, dass es das sein wird. Evan Spiegel sagte zuletzt, dass die Kamera im Telefon die unmittelbare Verbindung zum Internet sei. Die Brille soll dabei eine völlig neue Erfahrung sein: Eine neue Visualisierung der Realität, ein Video des Sichtfeldes des Nutzers. Doch wird das reichen? Mit „Google Glasses“ scheiterte bereits schon einmal ein Konzern an den Datenströmen auf der Nasenspitze: Alphabet nahm sein Produkt schließlich wegen mangelnder Akzeptanz vom Markt.

Spiegel will es anders machen: Während die „Google Glasses“ sehr technisch aussahen, sind die „Spectacles“ eher ein hippes Accessoire. Für das „Wall Street Journal“ inszenierte Modemacher Karl Lagerfeld den 26-jährigen Spiegel in Modelpose mit seiner Datenbrille. Malibu Beach statt Star-Trek-Enterprise. Auch Experten rechnen Spiegel damit bessere Chancen aus als Googles Brille: „Spectacles“ nehme dem Gegenüber damit auch das Unwohlsein, ständig aufgenommen zu werden.


Konkurrenz setzt Snap unter Druck

In den Vereinigten Staaten soll Snap rund 60.000 Exemplare an seine Nutzer gebracht haben. Zahlen, die nicht über die Schwäche des Konzerns hinwegtrösten konnten. Mit ihren ersten Quartalszahlen nach euphorischem Börsengang enttäuschte die Plattform: So wuchs Snap zwar von 39 Millionen Dollar im Vorjahresquartal auf 149,7 Millionen, lag aber unter den Analystenerwartungen von 158 Millionen – und das bei einem Verlust von 2,2 Milliarden Dollar. Davon entfielen allerdings rund zwei Milliarden auf Aktienoptionen für Mitarbeiter und Manager im Zuge des Börsengangs.

Und auch die Konkurrenz macht dem Bilder- und Videoschnipseldienst zu schaffen: Facebook-Chef Mark Zuckerberg kopierte nach und nach viele Funktionen von Snap für seine Dienste. Tochterfirma Instagram verkündete unlängst, dass ihr Snapchat-Klon auf mehr als 200 Millionen Nutzer kommt. Bei Whatsapp sieht es ähnlich aus: Dort nutzen die „Stories“-Funktion 175 Millionen User täglich. Zum Vergleich: Snap kam im abgelaufenen Quartal auf 166 Millionen Nutzer – ein Plus von gerade einmal acht Millionen. Zudem kämpfen sowohl das Facebook-Imperium als auch Snap um die Werbeetats für mobile Werbung. Und auch da sah es zuletzt nicht gut aus für das Unternehmen aus Los Angeles: Der Werbeumsatz pro Nutzer sank innerhalb von drei Monaten von 1,05 Dollar auf 90 Cent.

Manch ein Experte sieht da Snaps Zukunft auch eher als Hardware-Produzent: Konzerne wie Apple machen vor, wie sich erfolgreich und vor allem profitabel Soft- und Hardware miteinander verbinden lassen. Seine Zulassung an der Börse beantragte Snap dann auch als „Camera-Company“. Die „Spectacles“ sind das erste Produkt des Unternehmens, dass dieser Selbstbezeichnung eine Rechtfertigung gibt.

Weitere könnten folgen: In dieser Woche wurde bekannt, dass Snap das US-Start-up „Ctrl Me Robotics“ für den Schnäppchenpreis von weniger als einer Million Dollar übernommen hatte. Das Unternehmen entwickelte zum Beispiel eine Drohnenhalterung für Smartphones. Zusammen mit Snap könnte das Start-up nun laut Nachrichtenportal „Buzzfeed“ an Drohnen arbeiten.

Es ist nicht der einzige Zukauf von Spiegel: Im Dezember 2016 kaufte Snap für 40 Millionen Dollar das israelische Start-up „Cimagine“. Das Unternehmen entwickelt eine Augmented-Reality-Software, mit der Online-Kunden zum Beispiel Möbelstücke in ihre Wohnung setzen können.

Bei der Augmented Reality (Erweiterte Realität) legen sich digitale, interaktive Inhalte aus Nutzersicht wie eine zweite Ebene über die Realität. Snap bietet solche Funktionen bereits mit „Lenses“ an. Mit Hilfe dieser Effekte wird zum Beispiel aus dem Selfie ein Katzengesicht – nun auch in Europa aufgenommen durch die poppig-bunte Brille „Spectacles“. Ob Katzengesichter endlich schwarze Zahlen bringen?

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