Klassische Moderne Schrankenlose Freiheit

Hannah Höch und Sophie Taeuber-Arp waren experimentierfreudig. Auf die Prägung eines wiedererkennbaren Stils kam es ihnen nicht an. Auf dem Kunstmarkt haben sie es deshalb schwer.

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Hannah Höch, Siebenmeilenstiefel, um 1934, Photomontage, Leihgabe der Hamburger Kunsthalle. Quelle:

Hannah Höch hat an den wichtigen Ausstellungen der Avantgarde zwischen 1919 und 1936 teilgenommen. Aber sie stand nicht auf der Liste der Nazis, die 1937 die öffentlichen Sammlungen für ihre Ausstellung „Entartete Kunst“ durchforsteten. Warum? Die Antwort enthüllt das Dilemma, das mit ihr eine ganze Generation von Künstlerinnen teilte. Sie waren erfolgreich, auch gegen den Widerstand männlicher Kollegen, und schafften es dennoch nicht in die Museen.

Künstlerinnen wie Höch (1889-1978) oder Sophie Taeuber-Arp (1889-1943) sind auch in der an Hauptwerken der Moderne so reichen Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen nicht vertreten. Und sie sind kein Einzelfall. „Wie war es dazu gekommen, dass die weibliche Moderne aus dem Kanon verschwand“, fragt nun die renommierte Landessammlung in ihrer soeben anlaufenden Ausstellung „Die andere Seite des Mondes“.

Medienübergreifende Arbeit

Auf acht erstaunlich gut vernetzte Pionierinnen der Avantgarde im Europa der 1920er- und 1930er-Jahre lenkt die Kunstsammlung ihren Blick, und auf Oeuvres, die eines vor allem auszeichnet: den Mut, von Männern noch nicht besetzte neue Medien und Ausdrucksformen wie die Fotocollage und den Tanz auszuloten, kunsthandwerkliches Know-how zu nutzen und medienübergreifend zu arbeiten.

Das Lebenswerk von Höch und Taeuber-Arp ist für diese offene, experimentierfreudige Haltung beispielhaft. Ihre Parallelen findet sie in der weiblichen Avantgarde der siebziger Jahre, in Künstlerinnen, die wie Katharina Sieverding mit der Fotografie oder mit Video arbeiten wie Ulrike Rosenbach oder Friederike Pezold. Ein halbes Jahrhundert früher spielt Hannah Höch den Ingenieur, greift zu Schere statt zum Pinsel, um aus dem Zerschnittenen neue Bildwelten zu montieren. Taeuber-Arp arbeitet wie ein Architekt mit Raum und Proportion, indem sie monochrome quadratische und rechteckige Farbfelder aufeinander stoßen lässt.

Nicht festgelegt auf einen Stil

Höch legt sich früh fest. Aber eben nicht auf einen Stil. Der Kunsthistoriker Ralf Burmeister, Leiter der Künstlerarchive in der Berlinischen Galerie, bezeichnet sie deshalb auch als eine „Stilpluralistin“ und erinnert an ihr früh formuliertes Motto, das sie auf eine ihrer ersten Fotocollagen schrieb: „Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch“. Aus marktstrategischer Sicht wird ihr diese Haltung zum Verhängnis und sie weiß das. „Ich habe alles gemacht und mich um Handschrift und Merkmal nie gekümmert“, äußert Höch gegenüber dem Kunstkritiker Heinz Ohff, der 1968 die erste Monographie über sie verfasste.

Museale Ankäufe erst in Sechzigern

Zu Lebzeiten wird Höch zunächst ausgestellt von der Galerie Rosen im Berlin der 1940er- und 1950er-Jahren, regulär vertreten dann in den Sechzigern und Siebzigern von der Galerie Nierendorf in Berlin. In öffentlichen Besitz gelangen Arbeiten von ihr erst Anfang der sechziger Jahre, als die Galerie aus einer Ausstellung an die Nationalgalerie Berlin verkaufen kann. Noch Jahre später wundert sie sich, dass jemand so viel Geld für ihre Arbeiten bezahlen konnte.

Seit Mitte der 1980er-Jahre ist die Düsseldorfer Galerie Remmert & Barth Anlaufstelle für Höch. Ihr Bestand bildet das ganze Spektrum ihres Oeuvres ab, von frühen Zeichnungen und Aquarellen, Arbeiten in Deckfarben bis hin zu Ölbildern und späten Fotomontagen. Wer jedoch die frühen Fotomontagen sehen möchte, muss ins Museum gehen.

Ausreißerpreise bei internationalen Auktionen

„Zentrale wichtige Collagen sind schon lange nicht mehr auf dem Markt“, sagt Burmeister. Den größeren Teil bewahrt die Berlinische Galerie, ein weiteres Konvolut tourt seit 14 Jahren als Kulturbotschafter des Instituts für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, durch die Welt.

„Ökonomisch hat Höch Nachholbedarf“, stellt Peter Barth mit Blick auf die Preise fest, die selten mittlere fünfstellige Größenordnungen übersteigen. Doch das Interesse wird langsam wach, und es kauft sogar der japanische Sammler mit Privatmuseum. Das Gros der Käufe wird jedoch in Deutschland abgewickelt. Für einsame Rekordpreise sorgen reiche amerikanische Sammler. So kommen Ausreißerpreise zu Stande wie die 2007 bei Christie’s New York erzielten umgerechnet 538.930 Euro für die Gouache „Der mechanische Garten“.

Wenige Werke auf dem freien Markt

Bei Sophie Taeuber-Arp liegt der Fall anders. Nur der geringste Teil ihrer Arbeiten kursiert auf dem freien Markt. Das spiegelt auch die Zahl der Verkaufsergebnisse der Datenbank artprice. Es sind gerade mal 57, darunter zwei einsame Höchstpreise, die der Pariser Versteigerer Calmels-Cohen 2003 für ihre bemalten Holz-Skulpturen „Tête Dada“ von 1920 erzielt (1,2 und 1 Million Euro).

Der Großteil der Taeuber-Arp-Werke gelangt nach ihrem frühen Tod zeitig in Schweizer Privatbesitz und private Stiftungen. Noch ein Grund für die viel geringere Zahl der Marktbewegungen: Taeuber-Arp investiert ihre Energie nicht allein in ihre bildkünstlerische Produktion. Als Dozentin, Herausgeberin einer Kunstzeitschrift, als Inneneinrichterin, Architektin und Möbeldesignerin hat sich die Künstlerin einen Namen gemacht. Auch deshalb macht sie auf dem Kunstmarkt keine Karriere mehr. Dafür aber als Netzwerkerin.

Am 27. Oktober wird Frances Morris, Leiterin der Sammlung International Art der Tate in London, als letzte Gastrednerin einer dreiteiligen Vortragsreihe zur Rolle von Künstlerinnen in bedeutenden Museumssammlungen auftreten. Der Vortrag im Schmela Haus beginnt um 19:30 Uhr.

Die Ausstellung "Die andere Seite des Mondes. Künstlerinnen der Avantgarde" läuft bis 15. Januar 2012 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Der Katalog erscheint im DuMont Verlag und kostet an der Museumskasse 34 Euro, im Buchhandel 39,95 Euro.

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